Klimaneutral
Mit Circular Design zum zirkulären Produkt
Für das Ziel einer weitestgehend klimaneutralen Wirtschaft ist die Kreislaufführung von Ressourcen eine Pflichtaufgabe. Mit „zirkulärem Design“ lassen sich Organisation, Produktion und Produkte so gestalten, dass damit zukunftsfähige Geschäftsmodelle entstehen.
Von Lisa Venhues
Man kann es nicht oft genug betonen: Ressourcenschutz ist der beste Klimaschutz. Alle Material- oder Energierohstoffe, die nicht extrahiert, transportiert, verarbeitet und verbrannt werden, tragen auch nicht zur weiteren Erderwärmung bei. Angesichts der erschreckenden Aussichten auf eine drei bis sechs Grad wärmere Welt mit desaströsen Folgen für die globale Gesellschaft, ihre Wirtschaft und Umwelt sollte das eigentlich zum hoffnungsvollen Mantra des Wirtschaftens werden.
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben das zumindest für den Wandel der Energieerzeugung erkannt. Auch die Industrie entwickelt sich über den Weg der Ressourceneffizienz hin zu ersten Projekten der Kreislaufwirtschaft, wie in den factory-Magazin Industrie (2-2021) und Circular Economy (1-2017) beschrieben. Doch von einer echten Ressourcenschonung durch Kreislaufwirtschaft sind wir noch weit entfernt – für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 muss deswegen das Tempo der Regulierung und Umsetzung unbedingt anziehen.
Denn laut Circularity Gap Report 2021 landen immer noch jährlich 91,4 Prozent der weltweit hergestellten Produkte im Müll und werden zum größten Teil verbrannt. Nur 8,6 Prozent des Materials gehen wieder in den Stoffkreislauf. Durch die Corona-Krise hat sich dieser Anteil sogar noch verringert. Und das, obwohl Rohstoffpreise signifikant steigen, Rohstoffreserven endlich sind und Lieferengpässe zur Gewohnheit werden. Hinzu kommen problematische Rohstoffabhängigkeiten, die durch den Krieg in der Ukraine wieder sichtbarer geworden sind.
Europäische und -nationale Vorschriften werden kommen
An der Umwandlung der linearen in eine zirkuläre Wirtschaft führt also eigentlich gar kein Weg vorbei. Auch die bundesdeutsche Regierung hat sich das in ihrem Ampel-Koalitionsprogramm vorgenommen. „Wir fördern die Kreislaufwirtschaft als effektiven Klima- und Ressourcenschutz, Chance für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Arbeitsplätze. Wir haben das Ziel der Senkung des primären Rohstoffverbrauchs und geschlossener Stoffkreisläufe“, heißt es dort.
Die Regierung will dazu den rechtlichen Rahmen anpassen, Ziele setzen und mit einer „Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ Maßnahmen zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung umsetzen. „Produkte müssen langlebig, wiederverwendbar, recycelbar und möglichst reparierbar sein“. Dazu will sie die Hersteller EU-weit in die Verantwortung nehmen, digitale Produktpässe, ein Recycling-Label und Mindestquoten für Recycling und Sekundärrohstoffeinsatz einführen.
Auf übergeordneter Ebene hat die EU-Kommission die Weichen für eine umfassendere zirkuläre Wirtschaft bereits gestellt. Sie entwickelt Regulierungen und Gesetze, um die EU-Klimaziele bis 2030 und dadurch Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen: Im März 2022 veröffentlichte sie das erste von zwei Kreislaufwirtschaftspaketen zur Umsetzung des Circular Economy Action Plans aus dem Jahr 2020.
Herzstück darin: die Weiterentwicklung der schon in der Vergangenheit wegweisenden Ökodesgin-Richtlinie. Sie soll bis 2024 in eine Verordnung überführt sein und damit für mehr Gewicht und unmittelbare Umsetzung in den Mitgliedstaaten sorgen. Die Verordnung enthält dann Anforderungen für ein nachhaltiges zirkuläres Produktdesign und soll für fast alle Produkte und Produktgruppen gelten. Begleitend sind wirtschaftliche Anreize für die Umsetzung zirkulärer Produkte und Geschäftsmodelle vorgesehen: Mit dem ersten Paket soll vor allem die Textil- und die Baubranche auf den Weg gebracht werden. Im Sommer 2022 folgen mit dem angekündigten zweiten Kreislaufwirtschaftspaket Maßnahmen für Produkte aus dem Elektronik- und Kunststoffbereich.
Die Notwendigkeit, sich als Unternehmen auf eine zirkuläre Wirtschaft einzustellen und seine Produkte und Dienstleistungen entsprechend zu gestalten, dürften daher auch jene erkennen, die sich bisher nur teilweise mit Ressourcenschutz beschäftigt haben. Diejenigen, die bereits vor Gültigkeit der Verordnung ihr Geschäftsmodell anpassen, dürfen dadurch Wettbewerbsvorteile erwarten.
Auch wenn aktuell recycelte, alternative Materialien oftmals noch teurer sind und auch die Erhöhung der Nutzungsdauer oder Reparatur- und Leasingmodelle für manche Unternehmen noch kein wirtschaftlicher Business Case sind – der Wandel zu mehr Rohstoffproduktivität schreitet in jedem Fall voran, auch der ökonomische Druck wird stärker. Viele Unternehmer*innen sind dadurch schon jetzt motiviert, den Wandel innerhalb ihres Betriebes voranzutreiben.
Zeitgemäße zirkuläre Konzepte
Gute Beispiele für funktionierendes Circular Design gibt es bereits. Don’t buy this jacket! lautete eine aufsehenerregende Kampagne zum Black Friday 2011 der kalifornischen Outdoor-Marke Patagonia. Neben dem Aufruf, keine weitere ihrer Fleecejacken zu kaufen, wurden Kundinnen und Kunden mit dieser Kampagne darüber aufgeklärt, wieviel Wasser und welche Materialen für die Herstellung ihrer Bestseller-Fleecejacke zum Einsatz kommen: 135 Liter Wasser, neun Kilogramm CO2 für den Transport des Polyesters (das 24-fache Gewicht der Jacke) und der produzierte Ausschuss (Zweidrittel des Jackengewichts).
Geworben wurde in einem ausführlichen Werbetext damit, dass diese Jacke von Patagonia nur den einen Kauf nötig mache, da sie im Sinne des Circular Designs gestaltet sei: Lange nutzbar, reparierbar, recycelbar und bereits zu 60 Prozent aus Recyclingmaterial bestehend. Auch die ökologische Wahrheit kam zur Sprache: Die Jacke verursache höhere Umweltkosten als ihr Preis von rund 100 Euro. „Kauf nicht, was Du nicht brauchst“ lautete der Appell.
Das Ergebnis der Kampagne: Die Verkaufszahlen stiegen innerhalb eines Jahres um 30 Prozent. Allerdings, so vermutet Patagonia, durch den Zuwachs an Neukund*innen.
Kann Circular Design also zum vorerst exklusiven Alleinstellungsmerkmal werden und mehr Kund*innen dazu bewegen, ein Produkt zu kaufen, wenn auch auf lange Sicht weniger davon?
Ja, sagt auch Olaf Thiessies, geschäftsführender Gesellschafter der UTK Solution aus Lüdenscheid, Spezialist für medizintechnische Produkte. Das Spül- und Saugsystem BlueLavage, das während Operationen zum Einsatz kommt, gestaltete das Entwicklungsteam „aus alten Hasen, Designern und Ingenieuren“ nach der Maxime des zirkulären Designs.
Denn der große Materialverlust ist gerade in der Medizintechnik aufgrund strenger Hygienevorschriften ein dringendes Thema. Bisher muss alles, was mit Patient*innen in Kontakt kommt, entsorgt werden. So entstehen allein 5,7 Prozent der CO2-Emissionen Deutschlands im Gesundheitssektor. Zwei Drittel davon ließen sich durch Abfallvermeidung reduzieren, sagt Dr. Christian Schulz von der Allianz für Klimawandel und Gesundheit und fordert: „Wir müssen weg von Einwegprodukten hin zur Kreislaufwirtschaft.“
Zudem bedeutet mangelnde Kreislaufführung in der Gesundheitswirtschaft nicht nur eine Vernichtung von Rohstoffen, sondern auch von Kapital. Olaf Thiessies jedenfalls wollte den jährlichen Verlust der 434.000 Systeme, jedes einzelne bestehend aus Batterien, Elektromotor, Verkabelung und Kunststoffgehäuse, nicht länger akzeptieren.
Die Effizienz-Agentur NRW unterstützte die innovative Entwicklung eines zirkulären Systems durch ihre Ressourceneffizienz-Beratung. Im Ergebnis ist das System BlueLavage nicht nur umweltfreundlicher als die bisherige Lösung, sondern auch kostengünstiger. Gleichzeitig zeigt es, dass Nachhaltigkeit und medizinische Sicherheit durchaus vereinbar sind – sonst hätte das System die medizinische Zulassung nicht erhalten.
So werden alle Teile, die während der Operation nicht direkt mit dem Patienten in Berührung kommen, wiederverwendet – bis zu 150 Mal. Die meisten Elektro- und Kunststoffteile der Geräte lassen sich ebenfalls erneut einsetzen.
Die Chancen, sich im kostenfixierten Wettbewerb zu behaupten, sind für UTK Solution gut: Das Produkt ist einzigartig, umweltfreundlich, günstiger und es herrscht großer Bedarf. Immerhin werden in Europa jährlich 1,2 Millionen Menschen an Knie und Hüfte operiert, beides Eingriffe, für die das System benötigt wird.
Zurecht ist man bei UTK ein bisschen stolz: „Wir haben mit unserer BlueLavage bewiesen, dass Umweltschutz in allen Bereichen funktioniert“, meint Geschäftsführer Olaf Thiessies. „Wenn man bestehende Lösungen in Frage stellt, sind auch bei single-use Produkten große Verbesserungen möglich.“
Wer nicht analysiert, kann auch nicht korrigieren
Ein entscheidender Schlüssel zur Beschäftigung mit den eigenen Emissionen und Ressourcenverbräuchen ist die CO2-Bilanzierung der Unternehmensaktivitäten. Sie ist gleichzeitig auch am populärsten, weil sich mit ihr auch die Wege zum attraktiven Label der Klimaneutralität ergeben. Sie ist aber auch der Weg, die größten Ressourcenverbräuche und Kostentreiber zu identifizieren. Und inzwischen gibt es eine Reihe von Bilanzierungswerkzeugen, mit denen sich relativ schnell eine Übersicht erfassen lässt – auch mit kostenlosen Online-Tools, wie zum Beispiel dem ecocockpit der Effizienz-Agentur NRW.
Wichtig ist, dass man dazu den Fokus auf die Bilanzräume mit der größten Klimawirkung legt. Nach dem Greenhouse-Gas-Protokoll des World Resources Institute sind die Emissionsquellen in den sogenannten Scopes 1 bis 3 zu untersuchen. So beinhalten Scope 1-Emissionen diejenigen innerhalb der betrachteten Systemgrenzen, etwa der Bezug von Energieträgern für die interne Verbrennung: Fossile Brennstoffe wie z. B. Gas, Öl, Diesel zum Heizen und für Dienstreisen mit firmeneigenen Fahrzeugen. Die Scope 2-Emissionen entstehen bei der Erzeugung von Energie, die von außerhalb bezogen wird – wie z. B. Strom und Fernwärme. Die Scope 3-Emissionen sind sämtliche übrigen Emissionen durch den Bezug von Leistungen und Produkten durch Dritte wie z. B. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Geschäftsreisen sowie beanspruchte Dienstleistungen.
Wer sich mit Treibhausgasbilanzen beschäftigt, weiß: Diese Scope 3–Emissionen haben in den meisten produzierenden Unternehmen den größten Impact auf den CO2-Ausstoß des gesamten Unternehmens. Die Rohstoffintensität und -produktivität der Produkte während ihres gesamten Lebenszyklus ist hauptverantwortlich für die größten Emissionen. Produkte in den Umlauf zu bringen, die eine längere Lebensdauer haben oder die umweltfreundlichere Materialien beinhalten, verbessert sofort signifikant die eigene Klimabilanz: Ressourcenschutz ist der beste Klimaschutz.
Circular Design als Enabler einer Circular Economy
Mit dem Design eines Produktes bestimmen Hersteller rund 80 Prozent der lebenslangen Umweltauswirkungen des Produktes – und darüber hinaus, wie beim Mikroplastikproblem zu sehen. Circular Design hebt den bisher dominierenden linearen Designansatz komplett auf und stellt das Denken in Kreisläufen im Sinne einer Circular Economy von Beginn an in den Vordergrund.
Ein „Circular Product“ wird so konzipiert, dass es niemals zu Abfall wird – z. B. durch ein Design, das es ermöglicht das Produkt zu reparieren, es wiederaufzubereiten, seine Teile wiederzuverwenden oder die eingesetzten Materialien zu recyceln. Ecodesign-Prinzipien wie Material- und Energieffizienz sowohl während der Produktion als auch in der Nutzungsphase sowie Langlebigkeit und der Einsatz umweltfreundlicher Materialien spielen darüber hinaus ebenfalls eine große Rolle.
Gezielte Design- und Businessmodellstrategien können Unternehmen dabei helfen, bestehende Produkte zirkulärer zu machen. Der Ansatz CIRCO – Circular by Design, eine an der Technischen Universität im niederländischen Delft entwickelte Methode, beschreibt sechs Business- und Designstrategien, die für das Funktionieren einer Circular Economy wichtig sind: die Bindung und das Vertrauen zum Kunden und zu Lieferanten, die Langlebigkeit, die Standardisierung und Vergleichbarkeit, die Instandhaltungs- und Reparaturfreundlichkeit, die Ausbaufähigkeit und Adaptierbarkeit sowie die De- und Remontage.
Darüber hinaus gibt es bereits viele Ansätze von Businessmodell-Strategien, die ebenfalls dazu beitragen, dass sich Produkte länger nutzen lassen und Unternehmen nicht nur imagemäßig davon profitieren:
- Klassisches Long Life Modell
- Hybrid Modell: z. B. Toner von Druckern, wiederbefüllbare Verpackungen, Mehrweg
- „Lückenschluss”-Modell: z. B. Reparaturservice anbieten oder die Rücknahme von Produkten
- Access Modell: „zur Verfügungstellung von Produkten”, z. B. Bike- oder Carsharing (DB)
- Performance Modell / Dienstleistungsmodell: z. B. Pay per Lux (Philipps)
Mit Hilfe dieser Strategien lassen sich erste Denkanstöße und Ideen für die eigene Produktum- und -neugestaltung entwickeln. So arbeiten z. B. im Rahmen der von der der Effizienz-Agentur NRW angebotenen CIRCO–Workshops produzierende Unternehmen an ganz konkreten zirkulären Lösungen für eigene Produkte: angefangen mit der Analyse der Wertschöpfungskette bis hin zum Erstellen einer Roadmap und einem Pitch zu der erarbeiteten Lösung.
Die konkreten Aufgaben, die sich den Workshopteilnehmer*innen stellen, beziehen sich immer auf eine genaue Betrachtung der eigenen Wertschöpfungskette. So müssen sie sich fragen, an welcher Stelle der Kette die größten Wertverluste entstehen. Weil die meisten Unternehmen ihren Bilanzraum nur um ihr Werksgelände ziehen, übersehen sie die wirklichen großen Wertverluste ihrer Produkte außerhalb. Doch gerade aus diesen Wertverlusten ergeben sich die effektivsten Möglichkeiten, diese Verluste zu eliminieren. Und so erhalten die Teilnehmer*innen durch die Impulse der Design- und Businessmodellstrategien und die Erfahrungen der Trainer bereits nach fünf halbtägigen Workshops ein konkretes Ergebnis.
Die Beispiele aus der Beratungspraxis zeigen, dass der Weg zu einem zirkulären Geschäftsmodell sowie die Entwicklung entsprechender Produkte oder Dienstleistungen für die Unternehmen möglich ist. Aus der Analyse der Wertschöpfungskette ergeben sich die ressourceneffizientesten Ansätze, im Dialog mit Lieferanten und Kunden Ideen für Materialsubstitution und Businessmodell. Diverse Tools wie ecocockpit und Workshopformate wie CIRCO können dabei helfen. Erforderliche Maßnahmen und Investitionen lassen sich durch die Ressourceneffizienz- und Finanzierungsberatung erheblich erleichtern.
Der Erfolg kann dann ein neues zirkuläres Produkt oder eine Dienstleistung sein, mit denen sich im Kreislauf und in der Kette Ressourcen und Klima schützen lassen. Und das Ergebnis ein resilienteres Geschäftsmodell, das ohnehin bald verbindlich werden dürfte, wie die politische Entwicklung zeigt.
Lisa Venhues ist Diplom-Ingenieurin für Umwelttechnik und Ressourcenmanagement und leitet das Geschäftsfeld Entwicklung & Kooperationen bei der Effizienz-Agentur NRW.
Das factory-Magazin Klimaneutral enthält alle Beiträge zum Thema, reich illustriert mit einer Bilderserie zu den natürlichen CO2-Senken, dazu gibt es Zahlen, Zitate und eine Wordcloud. Das PDF-Magazin im Querformat lässt sich auf allen Screens inklusive Smartphones und Tablets lesen – und kostenlos downloaden. Im Online-Themenbereich Klimaneutral erscheinen die Beiträge des Magazins erst nach und nach. Dort sind sie auch mit entsprechenden aktuellen News verbunden.
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