Industrie

Mit Künstlicher Intelligenz zu mehr Nachhaltigkeit in der Produktion

Über die Möglichkeiten der KI wird aktuell viel spekuliert und geforscht. Was können wir von ihr für die Nachhaltige Entwicklung und für eine zukunftsfähige Produktion erwarten? Wo wird sie jetzt schon sinnvoll eingesetzt? Und wenn: Wo liegen ihre Grenzen?

Von Christiane Schulzki-Haddouti

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März 2021 zur Generationengerechtigkeit ist ein konsequenterer Klimaschutz zur rechtlich bindenden Pflicht der politischen Gestaltung geworden. Die Zeit für eine wirksame Umsetzung ist knapp, das Emissionsbudget begrenzt. Der Weltklimarat betonte noch im August 2021 bei der Vorstellung des ersten Teils des 6. Sachstandsbericht, dass jede einzelne zusätzliche Tonne Treibhausgas die Lage nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere und Pflanzen verschlechtern wird. Somit muss auch die produzierende Industrie ihre Reduktionsleistung weiter erhöhen, um ihrerseits Klimaneutralität möglichst schnell zu erreichen.

Ihr Energie- und Ressourcenverbrauch steht hierbei im Fokus der Anstrengungen. Alexander Sauer, Leiter des Fraunhofer IPA und des Instituts für Energieeffiziente Produktion (EEP) der Universität Stuttgart, setzt auf den rigorosen Bruch: „Wir benötigen kurz- bis mittelfristig eine massive Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch.“

Größere Hilfe dafür verspricht man sich in Industrie und Forschung von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI). Immerhin würden bereits 42 Prozent der produzierenden Unternehmen in Deutschland diese einsetzen, heißt es. Die größten Einsparpotenziale sehen sie beim Material- und Energieverbrauch. Das zeigen mehrere Anwendungsszenarien im verarbeitenden Gewerbe in einer Studie des VDI Zentrum Ressourceneffizienz (ZRE) und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA).

Die Flexibilität in der Produktion optimieren

Mit KI-gestützten Methoden bieten sich viele unterschiedliche Ansatzpunkte, nachhaltige Prozesse zu befördern. Das berichten auch Anwender*innen im Interviewprojekt KI und Nachhaltigkeit der Plattform „Lernende Systeme“ des Bundesforschungsministeriums.

Beispielsweise arbeitet im Projekt „RELflex“ das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF mit weiteren Partnern daran, dynamische Energiemanagementsysteme (DEMS) in industriellen Prozessen optimal flexibel zu nutzen.

Dazu ermitteln die Forscher in einer Tischlerei in Magdeburg mit Messgeräten in Echtzeit, wieviel Energie die hauseigene Photovoltaikanlage generiert und wieviel Strom die Produktion verbraucht. Ziel ist es, die Produktion auf die Energieerzeugung mittels KI so zu optimieren, dass das Unternehmen Möbel fertigen kann, für die nicht nur das Holz, sondern auch der Strom ökologisch erzeugt wurde.

Die Forscher erstellen auf Basis der ermittelten Werte Vorhersagen für Last und Erzeugung. Damit kann zum einen die Produktion an die Energieerzeugung angepasst und ein Pufferspeicher genutzt werden. Das bedeutet, dass auf Vorrat produziert wird, wenn viel Energie zur Verfügung steht, und die produzierten Teile gelagert werden können. Zum anderen könnten die Mitarbeiter je nach Energielage flexibel arbeiten. Die Erforschung der Mitarbeiterakzeptanz für eine gewisse Flexibilität der Arbeitszeiten ist Teil des Projekts. Schließlich können Energiespeicher eingesetzt werden, die jedoch mit hohen Investitionskosten einhergehen.

Für Julia Arlinghaus, Leiterin des Fraunhofer IFF, Expertin für die Optimierung von Produktions- und Logistiksystemen und Mitglied des Wissenschaftsrats der Bundesrepublik Deutschland, ist dieses ein kleines, aber sehr wichtiges Projekt. Arlinghaus forscht zu Resilienz durch dezentrale Systeme. Sie ist davon überzeugt, dass Produktionsplanung und -steuerung von energieintensiven Prozessen auf die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien ausgerichtet werden können, wobei KI-gestützt eine flexible Produktionsauslastung erreicht werden könne.

Sie glaubt, wenn sogenannte Guards in den Anwendungen die Plausibilität von Sensordaten überprüfen und die Anpassung unterstützen, dass dann dezentral organisierte Systeme mit lokalen Daten schneller Entscheidungen treffen könnten.

Außerdem könnten so selbstheilende Lieferketten und Produktionsnetzwerke mit digitalen Zwillingen aufgebaut werden. Mit Hilfe eines KI-gestützten Process Mining ließen sich Plattformen aufsetzen, mit denen freie Kapazitäten in Unternehmen aufgedeckt werden. Diese könnten im Krisenfall auch Mitbewerbern zur Verfügung gestellt werden, was wiederum gemeinsamen Kunden nutzt und so die Resilienz des Gesamtsystems stärkt.

Den Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung solcher Resilienz fördernden Netzwerke sieht Arlinghaus in der Bereitschaft von Unternehmen zur Kooperation und zu gegenseitigem Vertrauen.

Unternehmerische Wertschöpfungsprozesse auf Nachhaltigkeit optimieren

Wertet man die Datenflüsse unternehmerischer Prozesse systematisch im laufenden Betrieb aus, lassen sich Prozesse auf Effizienz optimieren. Mit diesem sogenannten Process Mining können betriebliche Prozesse auch auf ökologische Nachhaltigkeit getrimmt werden. Das zeigen Beispiele aus der Praxis des Münchener IT-Unternehmens Celonis. Es wertet die Prozessdaten in den IT-Systemen aus.

Unterstützt mit Methoden der künstlichen Intelligenz werden daraufhin Verbesserungsmaßnahmen empfohlen. Diese können entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Prozesseffizienz erhöhen. Celonis setzt mit einer KI-gestützten Analysesoftware die Methode des Process Mining um, die der niederländische Professor Wil van der Aalst entwickelt hatte. Zu den Kunden gehören beispielsweise Siemens, Bayer und Lufthansa.

Celonis-Anwender konnten mit Prozessoptimierung im Produktionsbereich die Ausschussrate nahezu auf Null bringen, die normalerweise bei 15 bis 25 Prozent liegt. Im Logistikbereich können Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck verkleinern, wenn sie Transporte effizienter steuern.

Mit Blick auf das Lieferkettengesetz erwartet Julia Arlinghaus, dass große Unternehmen bei der Umsetzung zügig voranschreiten und Lieferanten, die keine Transparenz im gewünschten Maße liefern könnten, aus ihrem Portfolio ausschließen werden. Celonis-Nachhaltigkeitsmanagerin Janina Nakladal kann das bestätigen: Die Transparenz des Lieferantenportfolios in Sachen Nachhaltigkeitskriterien sei derzeit für viele Unternehmen „das spannendste Thema“.

Beispielsweise können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über automatisierte Handlungsempfehlungen Lieferanten auswählen, die ein ähnliches Set an ökologischen und sozial-nachhaltigen Kriterien erfüllen. Nakladal hält es allerdings für ein „großes Problem“, dass es hinsichtlich der Nachhaltigkeitskriterien noch zu wenige Standards gibt.

Auch sei es meistens noch nicht möglich, „die Herkunft aller Komponenten eines Produktes bis ins kleinste Detail nachzuverfolgen“. Derzeit sei es bereits eine große Hilfe, wenn überhaupt schon eine Bewertung zu einem Lieferanten vorliegt. Nakladal: „Die Verbesserung der Datenqualität ist die größte Herausforderung im Nachhaltigkeitsmanagement.“ Gleiches stellen auch die Berater*innen der Effizienz-Agentur NRW fest, wenn sie Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse zur Ressourceneffizienz 4.0 unterstützen.

 

Den Schluss zur Kreislaufwirtschaft finden

Noch gibt es keinen Celonis-Anwender, der Process Mining bereichsübergreifend für die Optimierung der Lieferkette sowie der Produktions- und Logistikprozesse einsetzt. Auch gibt es niemanden, der es bereits nutzt, um im Sinne der Kreislaufwirtschaft Altteile werterhaltend aufzuarbeiten.

Damit sind es in den Unternehmen bisher nur einzelne Bereiche, in denen Process Mining für Nachhaltigkeitseffekte sorgt. Doch das wird sich bald ändern. Forschungsprojekte arbeiten daran, mit KI-Methoden die Kreislaufwirtschaft voranzubringen: Prozesse der Rohstoffgewinnung bzw. Lebensmittelerzeugung können KI-gestützt beobachtet und analysiert werden. Produkte können so gestaltet werden, dass sie abhängig von Art und Zustand recycelt oder aufbereitet werden können.

Wie sich der KI-gestützte Anschluss an die Kreislaufwirtschaft (siehe auch Die Circular Economy ist der Schlüssel im factory-Magazin Industrie) finden lässt, zeigt das Projekt „Sensorische Erfassung, automatisierte Identifikation und Bewertung von Altteilen“ (EIBA) von der TU Berlin und dem Fraunhofer-Institut IPK in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Circular Economy Solutions GmbH (C-ECO).

Sensorisch erfasste Daten der Altteile aus der Automobilbranche werden hier mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in Kombination mit weiteren Informationen ausgewertet, um eine Entscheidungsempfehlung zu generieren. Ziel ist es, ein System zur Identifikation und Zustandsbewertung zu entwickeln, wobei die Datenbasis mit neuen Produkten und Anforderungen kontinuierlich erweitert werden soll, um den Menschen in seinen Entscheidungen maschinell zu unterstützen.

Für Investoren Nachhaltigkeitsbewertungen optimieren

Man sieht: Die domänenspezifischen KI-Anwendungen zur Optimierung von Nachhaltigkeitsprozessen stecken oftmals noch in den Kinderschuhen. Ihre Transformationskraft werden sie erst im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren entwickeln. So werden neue Ansätze zur nachhaltigen Gestaltung ökonomischer Wertschöpfungsprozesse diskutiert, die beispielsweise Wege in eine resiliente Kreislaufwirtschaft bahnen oder die Entkopplung von unternehmerischer Wertschöpfung von der Emissionsintensität befördern.

Das ist nicht nur im Interesse von Unternehmen, sondern auch von Investoren: Datenanalyse-Unternehmen entwickeln sozialökologische Kennzahlen, die auch nicht nur steuernd in Process-Mining-Systemen eingesetzt, sondern auch von Börsen-Analysten und Investoren zur Marktanalyse verwendet werden können. Im Rahmen einer Überarbeitung der europäischen Richtlinie zu Corporate Social Responsibility (CSR) sollen verpflichtende Standards für die Veröffentlichung nicht-finanzieller Risiken ausgeweitet werden.

Wenn Klimarisiken in Kennzahlen ausgedrückt werden können, lassen sie sich für automatisierte Analysen verwenden. Das Frankfurter Start-up right.based on science beispielsweise hat mit der X-Degree Compatibility (XDC) eine Klima-Kennzahl entwickelt, welche die Entkopplung unternehmerischer Wertschöpfung von der Emissionsintensität misst. Sie drückt sich in Grad Celsius aus und zeigt, welche Erderwärmung ein Unternehmen oder ein Aktien-Portfolio erzeugen würde, wenn die ganze Welt so emissionsintensiv wirtschaften würde wie es selbst. Ein Unternehmen, das auf einem 4°C-Kurs ist, kann Maßnahmen suchen und wiederum mit XDC bewerten, die es auf einen 1,5°C-Kurs bringen können.

Die XDC-Kennzahl kann laut Unternehmensgründerin Hannah Helmke auch dazu genutzt werden, um in KI-Anwendungen die ökonomische Emissionsintensität zu optimieren. Damit würde in der ganzen Wertschöpfungskette des Unternehmens die Entkopplung von Emissionen und Wertschöpfung vorangetrieben.

Helmkes Unternehmen hat bei einer Studie von Capgemini mitgewirkt. Diese kam in einer Befragung von 400 Unternehmen zu dem Schluss, dass Unternehmen sich dann an das Pariser 2°C-Ziel annähern können, wenn sie nicht nur eine klare Klimastrategie verfolgen, sondern auch gezielt KI zur Verfolgung dieses Ziels einsetzen.

An der ETH Zürich entwickeln Bjarne Steffen, David Friederich und Lynn Kaack im Rahmen des Projekts „GREENFIN - Der Beitrag grüner Finanzpolitik zur Energiewende“ zu diesen Fragen gerade ein KI-Modell. Für ihre Analyse planen sie tausende Jahresberichte von börsennotierten Unternehmen mit Methoden des maschinellen Lernens automatisiert zu filtern.

Für das Modell haben sie einen eigenen Trainingsdatensatz erstellt, der auf einer präziseren Definition der Klimarisiken beruht, die sie eigens für den automatisierten Ansatz entwickelt haben.
Vorläufige Ergebnisse des Projekts zeigen, dass europäische Unternehmen in den letzten Jahren ihre Berichterstattung über Klimarisiken kontinuierlich erweitert haben. Nach dem Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015 ist ein sichtbarer Anstieg zu verzeichnen. Dabei hat sich der Fokus mehr und mehr von den physikalischen zu den transitorischen Risiken verschoben.

Problemzentriert interdisziplinär forschen und arbeiten

Die Hauptherausforderung besteht aktuell weniger in der konkreten Entwicklung und Anwendung der KI-Methoden, sondern eher in der kooperativen Entwicklung von interdisziplinären Konzepten. Um Brücken zwischen der Informatik und den Ingenieurwissenschaften einerseits und zwischen Disziplinen wie den Klimawissenschaften und der Ökologie, der Rechts- und Politikwissenschaft sowie Ökonomie andererseits zu schlagen, wurden in den letzten Jahren neue Dialog- und Diskursplattformen organisiert, aber auch neue Tagungsformate wie Bits und Bäume oder Konferenzen zu Climate Change AI.

In der Praxis verändert sich so eine zu Beginn eines Projekts möglicherweise technikzentrierte, solutionistische Handlungsorientierung hin zu einer problemzentrierten und vielfältigen Herangehensweise. Die Wissenschaftsphilosophin Jessica Heesen sagt in diesem Zusammenhang: „Es ist ganz wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Technik eben nicht alle Probleme lösen kann. Die technikzentrierte Herangehensweise fragt dann nur: Welche Vor- und Nachteile hat die KI für die Lösung dieses Problems? Und damit konzentriere ich mich stark auf die technische Lösung. Aber eine problemzentrierte Herangehensweise würde die KI vielleicht herausnehmen und sagen: Jetzt lass einfach diesen Blühstreifen stehen. Aber das hat dann nichts mit KI zu tun.“


Christiane Schulzki-Haddouti ist Wissenschaftsjournalistin und arbeitet für zahlreiche Medien und Organisationen wie Technology Review, die Hochschule Darmstadt und das Bundesumweltministerium. Im factory-Magazin Mobilität berichtete sie über die Möglichkeit zur klimaneutralen Mobilität bis 2030.

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