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Deutschlandpakt zur Planungsbeschleunigung erhält NABU-Negativpreis "Dinosaurier des Jahres"

Der Verlust der biologischen Vielfalt verringert auch in Deutschland die Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit der Ökosysteme. Das diesjährige Gesetzespaket zur Beschleunigung von Infrastrukturmaßnahmen dürfte auch die Naturzerstörung weiter beschleunigen, befürchtet der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und kürt die Politik als "Dinosaurier des Jahres 2023".

Eigentlich muss auch Deutschland seine Natur besser schützen, geschützte Flächen und die biologische Vielfalt ausbauen. Nicht nur, um Arten- und Klimakrise wirksam zu bekämpfen, sondern auch wegen seiner nationalen und internationalen Verpflichtungen zum Arten- und Klimaschutz.

Schließlich ließen sich durch eine weitgehende Renaturierung von 15 Prozent der Flächen rund 60 Prozent der zu erwartenden Aussterbeereignisse verhindern – und zudem große Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen und gebunden werden, heißt es in einer Übersichtsstudie zur Verbindung von Biodiversitäts- und Klimakrise.

Eine Planungsbeschleunigung von Baumaßnahmen bei Energie- und Verkehrs-Infrastruktur, die auf Umweltverträglichkeitsprüfungen und Beteiligungsverfahren verzichtet, werde so auch zu einer Beschleunigung der Naturvernichtung beitragen, befürchten Natur- und Umweltschutzorganisationen seit Vorstellung der Gesetzespakete.

Sie loben zwar den grundsätzlichen Willen zum schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energiequellen und einer umweltfreundlicheren Verkehrsinfrastruktur in Deutschland, sehen den eigentlichen Hebel dafür aber im Personalmangel bei den Behörden.

Dieser ließe sich bei höheren öffentlichen Investitionen in Personal, Ausbildung und Integration auch realisieren – dazu müssten aber wohl Steuern steigen, gerechterweise vor allem aus den hohen Vermögen. Ein Verzicht auf Prüfungsaufwand, Beteiligung und “Compliance” kommt da wesentlich günstiger und kostet lediglich vermeintlich wertlose natürliche Ressourcen.

Planungsbeschleunigung beschleunigt Naturkrise

2023 geht deswegen der seit 1993 verliehene Negativpreis „Dinosaurier des Jahres” an den so genannten „Deutschlandpakt“. Unter diesem euphorischen Titel hatten Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsident*innen der Länder im Oktober 2023 ein Maßnahmenpaket zur „Planungsbeschleunigung“ beschlossen.

Die dazu im Eiltempo entwickelten Vorschläge drohten auch die Naturkrise zu beschleunigen, heißt es vom NABU dazu, obwohl der Verlust der natürlichen Vielfalt zu den größten Bedrohungen der Menschheit zähle. Künftig solle beim Naturschutz nicht mehr so genau hingeschaut werden, damit unter anderem klimaschädliche Infrastruktur und Autobahnen schneller gebaut werden können.

„Ja, es ist wichtig, Planungsverfahren zu beschleunigen”, begründet NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger die Entscheidung der Jury, „aber was wir derzeit bei der Planungsbeschleunigung an politischer Leistung erleben, ist ein Wettlauf um die Zerstörung von Landschaften.“

Bundesländer besonders verantwortlich

Der 2,6 Kilogramm schwere Negativpreis geht diesmal stellvertretend und per “Expressversand” an den turnusgemäßen Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz und hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein, weil gerade die Länder den "Deutschlandpakt" verlangt und vorangetrieben hätten.

“Wenn die Ministerpräsidentenkonferenz und der Bundeskanzler Planungsverfahren beschleunigen wollen, indem sie nicht mehr so genau auf die Auswirkungen der Planungen für die Natur schauen, dann verliert langfristig das ganze Land”, sagt Krüger.

Um Lebensgrundlagen und Lebensqualität zu erhalten, brauche man eine andere Grundhaltung. Eine, die gesellschaftliche Bedürfnisse, Ökonomie und Ökologie besser in Einklang bringe. Dazu gehöre auch, ineffiziente Prozesse, überbordende Bürokratie und Personalmangel in den Griff zu bekommen.

Es seien besonders die Länder, die sich nicht auf bundesweit einheitliche, wissenschaftlich fundierte Standards und Verfahren einigen wollen, obwohl es an vielen Stellen keinen sachlichen Grund für ein unterschiedliches Vorgehen gibt.

Zerstörerische Gefahren der Beschleunigung 

Den Ruf von Wirtschaft und Politik nach schnelleren Genehmigungen – etwa für die Energiewende und andere Infrastrukturprojekte – verstehen auch die Naturschützer*innern. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 stehe die deutsche Politik unter großem Druck. Deutschland brauche schnell alternative Energiequellen.

In Windeseile aber LNG-Anlagen an den deutschen Küsten zu bauen und Bedenken hinsichtlich der damit verbundenen Eingriffe in sensible Meeresökosysteme per Gesetz vom Tisch zu wischen, sei eine Rechnung, die langfristig nicht aufgehen werde, heißt es in der Pressemitteilung zum Preis.

Ein kurzfristiges, rücksichtsloses Vorgehen verursache erhebliche Schäden im Bereich des Natur- und Artenschutzes. Schließlich können, auch wenn nur eine Art verschwindet, ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht kommen.

Ein Aspekt, den die entscheidenden Personen beim Thema Planungsbeschleunigung offensichtlich nicht ausreichend berücksichtigen, beklagt der Nabu.

Gemeinsame Lösungen suchen

Stattdessen stellten sich offenbar Ministerpräsident*innen und der Bundeskanzler einen Bauboom auf der grünen Wiese wie in den 70ern vor, ohne Rücksicht auf Flora und Fauna. Obwohl vermutlich die wenigsten Menschen mit diesem Baustil eine lebenswerte Umgebung verbinden würden – und obwohl es auch flächenschonender ginge.

Die damit einhergehende Naturzerstörung könne mit der Aufnahme von Schulden verglichen werden: Irgendwann sind sie zu hoch und nicht mehr rückzahlbar.

Welchen Schaden diese Vorgehensweise anrichten kann, erkennt der NABU in vielen Regelungen, wie beispielsweise dem Aussetzen der Umweltverträglichkeitsprüfung. Der NABU fordert daher auf, die Bremsen an den richtigen, den entscheidenden Stellen zu lösen, statt sich auf Scheindebatten zu versteigen.

Gleichzeitig bietet Deutschlands mitgliederstärkster Umweltverband an, sich in einen solchen Prozess einzubringen und gemeinsam mit Politik und Verwaltungen Lösungen für die gezielte Verbesserung von Planungsverfahren zu erarbeiten.

Seit 2020 prämiert der NABU nicht mehr Personen, sondern die “Umweltsauerei des Jahres”. Preisträger 2021 war das Baugebiet Conrebbersweg in Emden stellvertretend für den Flächenfraß in ganz Deutschland. Im vergangenen Jahr erhielt die Oder den Preis.

Mehr zu den steigenden Schulden durch Naturzerstörung im factory-Magazin Schuld & Sühne, alles zur Vielfalt im gleichnamigen Magazin.

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