Industrie

Die Circular Economy ist der Schlüssel

Eine zirkuläre Wirtschaft, die Stoffe im Kreislauf von Produktion und Nutzung führt, für langes Produktleben und Reparierbarkeit sorgt, gilt als die ressourcenschonendste Form des Wirtschaftens. Tatsächlich lassen sich eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft nur mit ihr wirklich erreichen. Noch gibt es keine Standards und Vorschriften für ihr Funktionieren, doch die unternehmerischen Chancen durch „Circular Economy“ (CE) sind bereits jetzt recht hoch. Für die bekanntermaßen ressourcenintensive Automobil- und Bauindustrie loten aktuelle Projekte beispielhaft aus, wie sich die CE etablieren kann.

Von Henning Wilts

Schon wenn es um die Kosten geht, ist die Sache eindeutig: Nur etwa drei Prozent der Kosten im verarbeitenden Gewerbe verursacht der Energieeinsatz – Rohstoffe schlagen dagegen mit rund 40 Prozent zu Buche, so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Von daher ist die Circular Economy, die genau auf die optimierte Nutzung von Rohstoffen abzielt, ein Schlüsselfaktor für Industrien, die in Zukunft klimaneutral und gleichzeitig wettbewerbsfähig sein wollen.
Dagegen geraten lineare Geschäftsmodelle, die allein auf der Produktion, dem Verkauf und der anschließenden Entsorgung von Produkten basieren, zunehmend an ihre Grenzen: Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass die für sie notwendigen Lieferketten immer unsicherer werden, Rohstoffpreise immer stärker schwanken und insbesondere China und viele südostasiatische Länder diese Prozesse längst kostengünstiger anbieten.

Die Grundlage zukünftiger Industrie

Der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft der Europäischen Kommission ist daher geprägt von der tiefen Überzeugung, dass Europa zukünftig nur mit einer Kreislaufwirtschaft eine Chance haben wird, im globalen Wettbewerb der Wirtschaftsregionen um Investitionen und Arbeitsplätze zu bestehen. Und gleichzeitig ist klar, dass sich die Pariser Klimaziele ebenfalls nur in einer weitestgehend zirkulären Wirtschaft erreichen lassen.

So zeigt eine Modellierung, an der das Wuppertal Institut im Rahmen der Circular Economy Initiative Deutschland beteiligt war, dass die Circular Economy einer der Schlüssel für die Dekarbonisierung der Industrie ist, die für einen 2 Grad Pfad der maximalen Erderwärmung notwendig wäre. Denn global etwa 50 Prozent der Treibhausgasemissionen, so hat das Internationale Ressourcenpanel der UN ermittelt, gehen auf die Übernutzung natürlicher Ressourcen zurück. Ohne Kreislaufwirtschaft wird es also keine klimaneutrale Industrie geben.

Auf dem Papier scheint die Kreislaufwirtschaft damit als klare „Win-Win-Strategie“ offensichtlich ökonomisch wie ökologisch alternativlos zu sein. Real zeigen die verfügbaren Indikatoren wie die sogenannte Circular Material Use Rate, also der Anteil recycelter Materialien in der Wirtschaft, dass wir jedoch noch immer überwiegend linear wirtschaften: Weit über 80 Prozent unserer Rohstoffe sind weiterhin Primärrohstoffe, die mit enormem Energie- und Ressourcenaufwand gewonnen, produziert und transportiert werden.

Wie immer bei komplexen Herausforderungen gibt es nicht nur das eine Hemmnis, das hier beseitigt werden müsste – schließlich ist die gesamte Industrie über Jahrzehnte auf lineares Denken getrimmt worden und war damit lange extrem erfolgreich. Zunehmend mehr Unternehmen erkennen nun allerdings für sich auch die Chancen der Kreislaufwirtschaft. Sie stehen aber vor der Herausforderung, die richtigen Ansatzpunkte zu finden: Wo fängt man an, wenn man eigentlich das gesamte Geschäftsmodell auf den Kopf stellen möchte?

In der Regel klappt das nicht alleine, sondern erfordert intensive Abstimmungen mit Akteuren entlang der Wertschöpfungskette, mit denen man bisher nur über Preise gesprochen hatte, nicht aber über Themen wie langlebiges Produktdesign, Recyclingfähigkeit oder Rücknahmesysteme. Hier fehlt es häufig noch an der Konkretisierung: Wie kriegt man das Thema Kreislaufwirtschaft von der Theorie in die Praxis?

Hilfestellung dazu kommt aus der Praxis: Das Projekt „Circular Economy als Schlüsselstrategie einer klimaneutralen und ressourceneffizienten Wirtschaft“, kurz CEWI, soll praxisnah und konkret Möglichkeiten aufzeigen, wie Circular Economy nicht nur zur Ressourcenschonung und zum Klimaschutz beitragen, sondern auch Innovationen vorantreiben und zum nachhaltigen und erfolgreichen Geschäftsmodell werden kann. Konkret geht es um unternehmensgetriebene Konzepte und Pilotprojekte, die auf dem Verantwortungsbewusstsein und der Problemlösungskompetenz der deutschen Wirtschaft aufbauen und ihre Innovationskraft aktivieren sollen. Im Fokus stehen hierbei die beiden ressourcenintensiven Sektoren Gebäude und Automobil, in denen sich viel drehen muss.

Aus den Handlungsfeldern zu den Konzepten

Die Grundlage für das CEWI-Projekt bildeten zwei Vorstudien, die den Gebäude- und den Automobilsektor näher untersuchten. Zunächst entstanden – auf Basis unterschiedlicher Verständnisse und Definition einer Circular Economy aus Wissenschaft und Praxis – vier Circular Economy Ansätze für das Projekt. Diese kombinieren unterschiedliche Modelle wie das so genannte 9R-Modell, das Butterfly Diagramm oder das ReSOLVE-Modell, veranschaulicht in Abbildung 1.

Eine Analyse des Status Quo der Kreislaufwirtschaft – inklusive politischer Rahmenbedingungen und Herausforderungen – sowie eine Untersuchung von mehr als 50 Praxisbeispielen ermöglichten es, innerhalb der vier CE-Ansätze für jeden Sektor je sechs Handlungsfelder zu identifizieren, die große Potenziale für Ressourceneffizienz und Klimaneutralität aufweisen.

Darüber hinaus untersuchen die Beteiligten den Stand der Entwicklung sowie die Chancen für neue Geschäftsmodelle innerhalb der Handlungsfelder: Gibt es bereits etablierte Lösungen in der Praxis? Und inwiefern besteht ein Potenzial für neue innovative Geschäftsmodelle?

Zirkuläre Praxis im Gebäudebau

Für den Gebäudesektor ergaben sich daraus die in Abbildung 2 dargestellten Themen.
Die sechs Handlungsfelder decken dabei jeden Schritt in der Wertschöpfungskette eines Gebäudes ab. Das Handlungsfeld der Nachwachsenden Rohstoffe setzt direkt beim Baugewerbe, dem verarbeitenden Gewerbe und den Dienstleistungen an. Auf dieser ersten Stufe der Wertschöpfung planen beispielsweise die Architekten und Konstrukteure die notwendigen Baustoffe, die die Baustoffhersteller produzieren.

Die Modulare Bauweise beeinflusst die Vorleistungen ebenfalls direkt. Sie kann dabei die Planung und den weiteren Verlauf des Baus gestalten und maßgeblich zu einer Ressourceneffizienz und damit zu den notwendigen Treib­hausgaseinsparungen beitragen.

Das Handlungsfeld Leichtbau beinhaltet beispielsweise konkrete Maßnahmen zur Reduktion des Materialeinsatzes bei der Bauausführung. So lässt sich unter anderem durch eine Holz-Hybrid-Bauweise der Bedarf an dem energieintensiven Baustoff Beton reduzieren und damit Ressourcen und Emissionen einsparen.

Die Alternativen Konzepte fokussieren demgegenüber auf die Nutzungsphase eines Gebäudes und versuchen beispielsweise Bestandsgebäude einer Umnutzung zuzuführen, um den bestehenden Wohn- oder Arbeitsraum möglichst effizient zu nutzen.

Die beiden Handlungsfelder der Wiederverwendung von Gebäudekomponenten und der zirkuläre Baustoffhandel verfolgen das Ziel, Bauteile wie Fenster und Türen sowie Baustoffe wie Beton und Fliesen aus dem „End-of-Life“ eines Gebäudes erneut in der Ausführungs- oder der Nutzungsphase einzusetzen – zum Beispiel bei einem Umbau.

Kreislaufwirtschaften beim Automobilbau

Im Bereich Automobil ließen sich sechs Handlungsfelder mit einem großen Potential für die Erreichung einer Ressourceneffizienz und Klimaneutralität identifizieren (Abbildung 3):
Hier wird deutlich, dass die wesentlichen Stellschrauben in der Rohstoffverarbeitung sowie Forschung und Entwicklung im Bezug auf die Herstellung von Bauteilen, -gruppen und Automobilen zu finden sind. So lassen sich mit dem Einsatz von Kunstoffrezyklat, der recyclingorientierten Konstruktion und Leichtbaumaterialien wie mit kohlefaserverstärkten Kunststoffen erhebliche Mengen Primärmaterial einsparen.

Nachwachsende Rohstoffe können darüber hinaus den Bedarf an energieintensiven Materialien wie Kunststoffen reduzieren. Besonders relevant an dieser Stelle: die frühzeitige Integration der Maßnahmen in den Planungs- und Designprozessen.

Die Altfahrzeugverwertung ist ebenfalls ein wichtiger Baustein für die klimaneutrale und ressourceneffiziente Automobilindustrie. Schließlich spielt die Verwertung von Altfahrzeugen und die Wiederverwendung einzelner Bauteile eine entscheidende Rolle. Somit kann die Produktion von neuwertigen Bauteilen reduziert und existierende Fahrzeug(-teile) einer weiteren Nutzung zugeführt werden.

Sektorübergreifende Kooperation ist essenziell

Diese zwölf Handlungsfelder sind die Grundlage für den Erfahrungsgewinn aus der Praxis. So wird bei ihrer Betrachtung entlang der Wertschöpfungsketten eines Gebäudes oder Autos deutlich, dass der Übergang zu einer zirkulären Wirtschaftsweise – und damit zu Ressourcenschonung und Klimaneutralität – nur mit sektorübergreifenden Kooperationen realisiert werden kann.

CEWI hat deshalb das Ziel, mit etwa 30 Akteuren aus Wissenschaft, Verwaltung, Industrie und Politik gemeinsame Pilotprojekte und Konzepte auszuformulieren und zu modellieren. Der Fokus liegt dabei klar auf einer Kooperation unterschiedlicher Industrien und Akteure auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette eines Gebäudes oder Autos. Schlussendlich sollen innovative branchenübergreifende Geschäftsmodelle und Pilotprojekte im Gebäude- und Automobilsektor mit folgenden Zielen entwickelt werden: Sie sollen an zentralen CO2-Minderungspotenzialen ansetzen, den Materialeinsatz transformieren, systemische Veränderungen anstoßen sowie unternehmerische Lösungen entwickeln und kommunizieren.

Schnell zeigt sich auch in der Projektarbeit: Es mangelt nicht an Ideen für neue Geschäftsmodelle oder technologische Innovationen, die in Zukunft zu einer ressourcenleichten und klimaneutralen Kreislaufwirtschaft beitragen können. Zahlreich sind auch die Studien, die nicht müde werden, die möglichen Kostenersparnisse der Kreislaufwirtschaft zu betonen – wohlgemerkt auch von großen kapitalorientierten Wirtschaftsberatungsagenturen wie McKinsey oder Accenture, für die der Klima- oder Ressourcenschutz bislang erstmal zweitrangig war.

Damit stellt sich natürlich die Frage: Warum ist die Kreislaufwirtschaft dann eigentlich kein Selbstläufer? Sollte die Industrie nach Abschluss von Projekten wie CEWI nicht ausreichend Anreize haben, in Zukunft nur noch in zirkuläre Geschäftsmodelle und langlebige Produkte zu investieren?

Hier zeigen sich zugleich Fluch und Segen der Kreislaufwirtschaft, denn sie kann zwar einen ganz wesentlichen Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz leisten, kommt aber ohne entsprechende Leitplanken nicht dazu.

So kann der Einsatz von recycelten Sekundärrohstoffen, von neuen Geschäftsmodellen auf Basis von Leasing oder Sharing oder anderen Strategien der Kreislaufwirtschaft durch die Kosteneinsparungen zu massiven Reboundeffekten führen: Die Haushalte sparen Geld und kurbeln damit ihren Konsum noch weiter an. Führt zirkuläres Bauen nur dazu, dass die Durchschnittsgröße von Wohnungen noch schneller steigt, ist im Endeffekt nichts gewonnen.

Gleichzeitig ist erkennbar, dass der Fokus auf zirkuläre, recyclingfähige Produkte vielen Unternehmen ein Alibi liefert, immer größere Mengen an teilweise völlig überflüssigen Produkten auf den Markt zu bringen. Ob diese Produkte dann am Ende tatsächlich recycelt werden oder beispielsweise in Länder exportiert werden, in denen die dafür notwendige Technik überhaupt nicht verfügbar ist, spielt dabei viel zu häufig überhaupt keine Rolle.

Ein anderes, ressourcen--schonendes Wirtschaftsmodell ist möglich

Die Kreislaufwirtschaft ist somit kein Ziel an sich – sie ist ein Instrument, ein Paradigmenwechsel, der die nachgewiesen nicht zukunftsfähige lineare Wegwerfgesellschaft ablösen soll. Für eine tatsächlich ressourcenleichte und klimaneutrale Kreislaufwirtschaft braucht es jedoch einen klaren regulatorischen Rahmen, der weit über Recyclingquoten und Abfallrecht hinausgehen muss.

Eine solche Kreislaufwirtschaft ist eine Querschnittsaufgabe, die wir wie den Klimaschutz in einer Vielzahl von Politikfeldern verbindlich verankern müssen: in der Industriepolitik, in der Handels- ebenso wie in der Sozialpolitik, wo sie bislang jedoch kaum eine Rolle spielt.

Denn die Europäische Kommission will durch Kreislaufwirtschaft zwar 700.000 neue Arbeitsplätze schaffen, dafür werden sich aber etwa zwei Millionen Menschen einen neuen Job suchen und neue Qualifikationen erwerben müssen.

Deshalb: Wir brauchen eine klare, langfristig ausgerichtete und technologieoffene Strategie – und jede Menge Zukunftswissen, um sie dann konkret in Hunderttausenden von Unternehmen umzusetzen.

Dr. Henning Wilts ist Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft im Wuppertal Institut. Über die Möglichkeiten der CE für den Ressourcenschutz schrieb er bereits in den factory-Magazinen Circular Economy und Digitalisierung.


Literatur

Buchberger, Silvia u.a. (2019): „Das Konzept der Circular Economy als Maxime für Beschaffung und Vertrieb in der Industrie.“ In: Arbeitsberichte - Working Papers, (2019), 46.Tambovceva, Tatjana; Titko, Jelena (o. J.): Introduction to Circular Economy. Ekonomikas un kulturas augstskola.

Ellen MacArthur Foundation (2015): Towards a Circular Economy: Business Rationale for an Accelerated Transisition.

Material Economics (2018): The Circular Economy: A Powerful Force for Climate Mitigation.

McKinsey (2016): The circular economy: Moving from theory to practice | Sustainability | McKinsey & Company.

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