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  • Grafiken aus dem Prüfbericht des Expertenrats für Klimafragen für die Klimaziele 2024 und die Projektionsdaten 2025. Quelle: EKR

Expertenrat: Puffer im Emissionsbudget bis 2030 gering, Klimaziele 2030 bis 2045 so nicht erreichbar

In seinem Prüfbericht zu den Treibhausgasemissionen 2024 und den Projektionen für 2025 erwartet der Expertenrat für Klimafragen (ERK), dass das Emissionsbudget für die Jahre 2021 bis 2030 weder unter- noch überschritten wird. Der Puffer für Einhaltung sei aber gering, so dass der Rat ab 2030 eine Verfehlung der Klimaziele erwarte. Auch das Ziel Klimaneutralität im Jahr 2045 werde mit der angekündigten Politik nicht erreicht. Die Zielverfehlungen dürften auch die Verfassungsklagen für mehr Klimaschutz stützen.

Im vergangenen Juni 2024 war der EKR noch von einer Zielverfehlung für das in diesem Jahrzehnt bis 2030 laut Klimaschutzgesetz (KSG) erlaubte Emissionsvolumen ausgegangen, als er die Projektionsdaten des Umweltbundesamtes (UBA) geprüft hatte.

Die Prognose des Amtes befand er für zu optimistisch, weil sie die Kürzungen im Klima-und Transformationfonds nicht berücksichtigte, aber auch veränderte Markterwartungen für Gaspreise und CO2-Zertifikatspreise im EU-Emissionshandel ETS nicht.

Der Bruch der 2021 gestarteten Ampelkoalition im Herbst 2024 stand da noch bevor. In seinem Zweijahresgutachten im Februar 2025 bestätigte der EKR die Zielverfehlung erneut. Zur Erreichung empfahl er, dass die umfassende Einbettung klimapolitischer Maßnahmen in eine politische Gesamtstrategie jetzt wichtiger denn je sei – und die sozial-gerechte Gestaltung der Maßnahmen.

 

Entwarnung, aber keine Beruhigung

Nun kommt vom EKR so etwas wie eine leichte Entwarnung – zumindest für die Einhaltung des erlaubten Emissionsbudgets: Die Einhaltung bis 2030 sei zwar unsicher, aber der Rat bestätige die Ergebnisse des UBA. Allerdings bleibe es bei den erwarteten deutlichen Zielverfehlungen ab 2030.

Für die Bundesregierung ist das zunächst eine gute Nachricht. Denn hätte der Rat zum zweiten Mal in Folge eine Überschreitung festgestellt, müsste die Regierung noch in diesem Jahr zusätzliche Maßnahmen beschließen – so schreibt es das KSG vor.

Andererseits stellten die Expert*innen fest, dass vom neuen Regierungsprogramm, dem Koalitionsvertrag 2025, keine Impulse ausgehen, die eine Erreichung der Klimaziele 2030 bis 2045 ermöglichen. Sie empfehlen entsprechende Maßnahmen in das Klimaschutzprogramm aufzunehmen, das laut KSG jede neue Regierung innerhalb eines Jahres vorlegen muss, also bis März 2026.


Puffer unfreiwillig entstanden

Laut UBA-Projektionsdaten wird das im Klimaschutzgesetz festgelegte Emissionsbudget bis 2030 mit einem Puffer von 81 Megatonnen CO2-Äquivalenten eingehalten werden. Das bestätigt nun auch der Expertenrat, er hält allerdings die vom UBA kalkulierten Emissionsmengen bis 2030 für tendenziell unterschätzt.

Die derzeitige Unterschätzung läge aber in etwa der Größenordnung des Puffers, so dass die “Summe der Treibhausgasemissionen der Jahre 2021 bis 2030 die entsprechende nach Klimaschutzgesetz zulässige Menge weder über- noch unterschreitet” – daher komme der “Auslösemechanismus zur Nachsteuerung” nicht zur Anwendung.

Der Puffer sei aber keine Folge guter Klimapolitik: "Zwar stellen wir im Ergebnis unserer Prüfung keine Überschreitung des Emissionsbudgets bis 2030 fest. Aber ohne den Puffer, der sich in den Jahren 2021 bis 2024 unter anderem durch Corona und die schwache Wirtschaft aufgebaut hat, wäre bis Ende 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutliche Budgetüberschreitung zu erwarten gewesen“, so der Ratsvorsitzende Hans-Martin Henning.

Bei der Überprüfung der Daten des UBA stellt der EKR fest, dass “der Gebäudesektor sowie der Verkehrssektor im Jahr 2024 zum wiederholten Male die vorgegebenen Jahresemissionsmengen überschreiten.” In beiden Sektoren sei die Überschreitung höher als im Vorjahr. Schon die Ampelkoalition hatte dort kaum Wirkung gezeigt, trotz “Heizungsgesetz” bzw. seiner mangelhaften Ausgestaltung, und zur Vermeidung von Sofortmaßnahmen auch im Verkehrsbereich das Klimaschutzgesetz geändert.


Klimaziele so nicht erreichbar

Zudem würden laut Projektionsdaten des UBA die nationalen Verpflichtungen unter der europäischen Lastenteilung ab dem Jahr 2024 verfehlt, befindet der EKR. Die Daten wiesen eine im Vergleich zum vorigen Jahr eine gewachsene Ziellücke bis 2030 auf. Auch das übergeordnete 65 Prozent-Ziel für das Jahr 2030 werde nicht erreicht, so Henning.

Für die Jahre nach 2030 würden die Daten eine deutliche und im Zeitverlauf zunehmende Zielverfehlung zeigen. So wird der Sektor Landnutzung LULUCF in den Projektionsdaten nicht mehr als Senke von Emissionen, sondern als Emissionsquelle ausgewiesen – ein Trend, der laut Projektion bis 2045 und darüber hinaus anhält.

Der Grund dafür sei der schlechte Zustand des Waldes. Damit verblieben laut den Projektionsdaten im Jahr 2045 ohne den Sektor LULUCF Emissionen in Höhe von 204 Megatonnen CO2-Äq. Werde der Sektor LULUCF einbezogen, würden die Restemissionen sogar noch höher aus. Das übergreifende Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 würde damit sehr deutlich verfehlt.


CO2-Senken verschwinden, neue nicht in Sicht

Um Klimaneutralität zu erreichen, müssten die Restemissionen durch die Senkenleistung des Sektors LULUCF und durch technische Senken ausgeglichen werden. Ob und unter welchen Bedingungen sich der Sektor LULUCF wieder zu einer Emissionssenke entwickeln könne, sei jedoch unsicher.

Auch der Einsatz negativer Emissionstechnologien sei bislang mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden, so die Expert*innen des Rats. In ihrem Gutachten empfehlen sie daher die Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes und eine konsistente Klimaschutzpolitik, weil dieses bislang kein eigenständiges Ziel für die Restemissionen im Jahr 2045 enthalte.

"Bisher hat die Bundesregierung das Ziel für die technischen Senken noch nicht definiert, und das Ziel für LULUCF wird in den Projektionsdaten weit verfehlt“, erläutert Ratsmitglied Marc Oliver Bettzüge und ergänzt: „Damit ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar, wie die Bundesregierung das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 erreichen will.“


Bundesregierung muss Klimaschutzprogramm 2026 vorlegen

Auch wenn kein Nachsteuern aufgrund einer zweiten Zielverfehlung notwendig ist, steht laut Klimaschutzgesetz der Beschluss eines Klimaschutzprogramms innerhalb der ersten zwölf Monate nach Beginn der Legislatur an, in diesem Fall bis Ende März 2026.

Gemäß Gesetz müssen darin die festgestellten Zielverfehlungen bis 2040 vollständig adressiert werden. Zusätzlich sollte aus Sicht des Expertenrats auch die Zielverfehlung der Klimaneutralität bis 2045 in den Blick genommen werden, auch wenn letztere nicht ausdrücklicher Bestandteil eines Klimaschutzprogramms sein muss.

Im Bericht identifiziert der Expertenrat eine Reihe von Handlungsfeldern, die eine besondere Aufmerksamkeit im Klimaschutzprogramm verdienen, unter anderem Maßnahmen im Verkehrs- und Gebäudesektor, die Umsetzung des 2. Europäischen Emissionshandels EU-ETS 2 sowie Maßnahmen im Sektor LULUCF und zur Umsetzung von technischen Senken.


Koalitionsvertrag ohne Klimaambition

In seinem Gutachten nimmt der Expertenrat auch einen Abgleich dieser Handlungsfelder mit den Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag 2025 vor. „Vom Koalitionsvertrag geht kein nennenswerter Impuls für die Zielerreichung im Jahr 2030 aus“, fasst die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf das Ergebnis zusammen.

Zudem adressiere der Koalitionsvertrag die maßgeblichen Problemfelder nicht explizit und bleibe an vielen Stellen vage. “Wir empfehlen daher, das anstehende Klimaschutzprogramm neben der Sicherstellung der Zielerreichung für das Jahr 2030 auch explizit auf die identifizierten Handlungsfelder und die langfristige Erreichbarkeit der Klimaneutralität auszurichten”, sagt Knopf.

 

Wissenschaftler*innen empfehlen …

Den Einschätzungen des Expertenrats stimmt eine ganze Reihe vom Science-Media-Center zum Gutachen befragten Wissenschaftler*innen weitgehend zu.

Die Strafzahlungen an die EU aufgrund der erwarteten Gesamtüberschreitung in der Europäischen Lastenteilungsverordnung (ESR) schätzte Sascha Samadi vom Wuppertal Institut bei einem angenommenen CO2-Preis von 50 bis 100 Euro pro Tonne CO2 auf mindestens 11 bis 22 Milliarden Euro “infolge seiner unzureichenden Emissionsminderungen insbesondere in den Sektoren Verkehr und Gebäude bis 2030.” Die befragten Expert*innen kommen zu Abschätzungen der gleichen Größenordnung.

Zudem appelliert Samadi an die Bundesregierung, dafür zu sorgen, "dass der dringend notwendige ambitionierte Klimaschutz auf keinen Fall für bestimmte Bevölkerungsgruppen eine unzumutbare Belastung darstellen wird."

 

… sozial gerechte Gestaltung …

Von Verbesserungen im öffentlichen Verkehr und einem Ausbau umweltfreundlicher Fernwärme in Ballungsgebieten profitierten beispielsweise überdurchschnittlich Menschen mit relativ geringem Einkommen. Und die Förderung von Elektroautos, Heizungstausch und Gebäudesanierung könne zukünftig deutlich stärker als bisher darauf ausgerichtet sein, "denjenigen Menschen Fördermittel bereitzustellen, die sich diese Maßnahmen ohne Förderung nicht leisten könnten.“

Ein Beispiel sei das Bonus-Malus System zur Steigerung der Neuzulassung von Elektroautos oder das Social Leasing, wie es Frankreich praktiziert. Dort erhalten Menschen bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze einen staatlichen Zuschuss für das Leasen von Elektroautos.

Zur Beschleunigung der Gebäudesanierung verweist Samadi auf die staatliche Unterstützung von so genannten One-Stop-Shops, die als zentrale Anlaufstellen und Organisatoren für die oft herausfordernden Sanierungsaufgaben diese vereinfachen und attraktiver machen können.

 

… und die Wiedereinrichtung des Klimakabinetts

Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institute in Köln, freut sich, dass Deutschland einen unabhängigen Expertenrat für Klimafragen hat, weil er die Transparenz und Rechenschaftspflicht der Regierung erhöhe.

"Der Bericht macht deutlich, dass die Umsetzung des neuen Koalitionsvertrags eher zu mehr und nicht zu weniger Emissionen im Vergleich zu den bereits umgesetzten Maßnahmen der Vorgängerregierung führen wird," so Höhne.

So empfehle der Rat deutlich, Klimapolitik breit in der Regierung einzubetten, beispielsweise über ein Klimakabinett. Höhne: "Das Gegenteil hat die Regierung gerade beschlossen, indem Kompetenzen für Klimaschutz und Energie auf zwei unterschiedliche Ministerien aufgeteilt wurden, die dazu noch von unterschiedlichen Parteien geführt werden. Konflikte sind hier vorprogrammiert.“

Es sei bedauerlich, so Höhne, dass die neue Regierung das Thema Klimaschutz auf die lange Bank schiebe "und so ihrer Verantwortung für die Zukunft nicht nachkommt.“

 

Puffer könnte rasch schwinden

Stefan Lechtenböhmer vom Institut für Thermische Energietechnik an der Universität Kassel und Experte für Industrietransformation verweist noch einmal auf die Unsicherheiten des nur kleinen Puffers für die Einhaltung des Emissionsbudgets.

So könnten durch einen geringeren CO2-Preis im bisherigen Emissionshandelssystem 1 der EU die Emissionen von Energiewirtschaft und Industrie auch dreimal höher als der Puffer ausfallen.

„In allen Bereichen sind grundsätzlich dringend weitere Maßnahmen erforderlich", empfiehlt Lechtenböhmer deswegen. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und besonders der Netze würden die Sektoren Wohngebäude und Verkehr ihren Zielen besonders hinterherhinken.

 

CO2-Abscheidung beschränkt und teuer

In diesen Bereichen werde jedoch die CO₂-Abscheidung und -Speicherung keine Rolle spielen. Diese werde sich vor allem auf anderweitig schwer zu vermindernde Emissionen in der Grundstoffindustrie und eventuell auf die Erzeugung von blauem Wasserstoff fokussieren.

„Hinzu kommt, dass die CO₂-Abscheidung technisch aufwendig ist und für den Abtransport signifikanter Mengen an CO₂ entsprechende Pipelines, beispielsweise an die Küste, erforderlich sein werden", so Lechtenböhmer.

Selbst bei sehr aktiver politischer Unterstützung müsse man damit rechnen, dass bis 2030 insgesamt – wenn überhaupt – nur wenige Millionen Tonnen CO₂ abgetrennt und gespeichert werden. "Langfristig kann diese Technologie allerdings dort einen gewissen Beitrag zur Emissionsminderung leisten, wo es keine anderen Optionen gibt.“

 

Klimaschutzminister will handeln

In seiner Regierungserklärung hatte der neue Klimaschutzminister Carsten Schneider (SPD) auf das Gutachten des Expertenrats reagiert und angekündigt, "das in Ordnung bringen" zu wollen. “Ich werde mich deshalb sofort an die Arbeit machen und das Klimaschutzprogramm 2025 voranbringen, das bis Ende dieses Jahres verabschiedet sein muss.”

Er werde sich darauf konzentrieren Umwelt-, Klima- und Naturschutz „wieder ins Zentrum des gesellschaftlichen Interesses zu rücken“. Klima- und Umweltschutz müsse sozial gerecht organisiert werden.

Schneider versprach außerdem, das von der Vorgängerregierung aufgelegte Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz fortzusetzen, schreibt die taz. Damit sollen Moore wiedervernässt, Städte begrünt und Wälder und Wiesen wieder in die Lage versetzt werden, CO2 aufzunehmen.

 

Statt Fossile zu fördern …

Vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft kommt anlässlich des Expertengutachtens deutliche Kritik an den Absichten der neuen Regierung. Diese habe sich zwar zur Klimanneutralität 2045 bekannt, steuere aber in die Gegenrichtung.

Denn diese wolle das sogenannte Heizungsgesetz novellierem oder sogar abschaffen, das Dieselprivileg fortführen und den Ausbau der Gaskraftwerke gegenüber den Plänen der Ampel-Regierung noch verdoppeln.

 

… sie besser im Boden lassen …

„Das Kabinett Merz hat bislang keine Pläne präsentiert, wie es unsere Lebensgrundlagen schützen will – eher das Gegenteil: Statt Fossile endlich dort zu lassen, wo sie hingehören, nämlich in der Erde, sollen sie auch hierzulande weiter gefördert werden", kommentiert Viviane Raddatz, Klimachefin beim WWF Deutschland.

Weil mit den Zielen der Koalition die Klimaziele nicht erreicht werden könnten, fordert der WWF, das Sondervermögen im Sinne der Klimaneutralität bis 2045 einzusetzen und weitere Mittel für die nachhaltige Transformation Deutschlands auf den Weg zu bringen – und hat dazu eine Analyse vorgelegt.

 

… weil Zielverfehlungen Verfassungsklagen stützen

Greenpeace und Germanwatch fordern in ihren Kommentaren zum Gutachten ebenfalls eine ambitioniertere und sozial gerechte Klimapolitik. Sie und Einzelpersonen hatten dazu bereits Klagen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, die das Gericht in diesem Jahr behandeln dürfte.

Die im Prüfbericht des Expertenrats festgestellten erwarteten Verfehlungen könnten da eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Klagen spielen. Schon 2021 hatte eine solche Klage und das entsprechendes Urteil des Gerichts zur Verschärfung des Klimaschutzgesetzes geführt.

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