Mit seinem Urteil zur Einschränkung der Freiheit Nachwachsender durch mangelnden Klimaschutz hat das Bundesverfassungsgericht in der letzten Woche sowohl Klagende wie Beobachter*innen überrascht. Das Klimaschutzgesetz sei in seiner Gestaltung zu wenig zielführend und lasse besonders nach 2030 keine konkreten Emissionsminderungsschritte erkennen – es müsse bis 2022 verbessert werden.
In der Folge geht es im Bundestagswahljahr jetzt schnell: Laut einem Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums soll das erneuerte Klimaschutzgesetz festschreiben, dass Deutschland schon bis 2045 statt wie bisher erst 2050 treibhausgasneutral wirtschaftet. Das Klimaschutzziel bis 2030 soll von 55 auf 65 Prozent weniger CO2 gegenüber 1990 angehoben werden. Das war ohnehin erwartet worden, um auch dem inzwischen verschärften EU-Ziel folgen zu können. In den letzten 30 Jahren hat Deutschland 40 Prozent Reduktion erreicht. Nach 2045 sollen dazu Negativemissionen durch CO2-Speicher erreicht werden – ob durch Anrechnung von CO2-Senken wie Wäldern oder durch neue Technologien ist noch nicht klar.
Im Entwurf angepasst werden auch die Ziele für die einzelnen Wirtschaftsbereiche, die so genannten Sektorziele. Demnach müssen Industrie und Verkehr zehn bis 15 Prozent Emissionen mehr einsparen als bisher vorgesehen – ab nächstem Jahr.
"Bei den neuen Sektorenzielen muss vor allem die Energiewirtschaft liefern und die zusätzliche Jahresemissionsmenge um fast zwei Drittel reduzieren. Dafür braucht es jetzt ambitionierte Maßnahmen, denn fossile Energieträger müssen früher und stärker durch Erneuerbare ersetzt werden", schreibt der Bundesverband Erneuerbare Energien e.V. (BEE). Auch das Erneuerbare Energiengesetz, das Bundesimmissionsschutzgesetz und das Energiewirtschaftsgesetz müssten jetzt schnell angepasst werden.
Größter Garant für die Zielerreichung soll die Energiewirtschaft werden, die um rund ein Drittel mehr CO2 reduzieren muss (38 Prozent). Aller Voraussicht dürfte das nur mit einem schnelleren Kohleausstieg bis 2030 gelingen und einem verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energiequellen. In der Landwirtschaft müssen sieben und bei Gebäuden sechs Prozent mehr Emissionsreduzierungen als bisher geplant erreicht werden.
Um dem Karlsruher Urteil des Verfassungsgerichts zu genügen, sieht der Gesetzentwurf auch jährliche CO2-Minderungsziele vor, schreibt die tagesschau.
Schon in der kommenden Woche soll ein endgültiger Entwurf im Bundeskabinett beschlossen werden.
Ob die vorgesehenen Verschärfungen reichen, ist noch fraglich. Bei den bisher im Gesetz verankerten Reduktionen um 65 Prozent, würde Deutschland sein CO2-Restbudget bereits bis 2030 bereits zu rund 85 Prozent verbraucht haben. Danach wären so drastische Maßnahmen notwendig, dass sie die Freiheitsrechte der jungen Generation erheblich verletzten, hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
Greenpeace fordert nun, dass Deutschland seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 um mindestestens 70 Prozent verringern muss. "Nur dann lassen sich die Rechte der jungen Generation sichern. Und nur dann orientiert sich die deutsche Klimapolitik endlich am Klimaabkommen von Paris. An einem beschleunigten Kohleausstieg bis 2030, einem Ende für die Neuzulassung von PKW mit Verbrennungsmotor bis 2025 und schneller Abschaffung der Massentierhaltung führt kein Weg mehr vorbei", kommentiert Lisa Göldner, Klima-Expertin von Greenpeace.
Der Thinktank Agora Energiewende hatte Anfang dieser Woche bereits Vorschläge gemacht, wie das Klimaschutzgesetz verbessert und das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad Erderwärmung erreicht werden kann. Neben der Klimaneutralität bis 2045 und der Erhöhung des 2030-Klimaschutzziels auf -65 Prozent sollten auch neue Ziele für 2035 (-77 Prozent) und 2040 (-90 Prozent) aufgenommen werden.
Weil das Klimaschutzgesetz bisher erlaubt, die Verfehlung einer Jahresemissionsmenge in einem Sektor auf die Folgejahre des Jahrzehnts anzurechnen – und dies ist de facto eine Verschiebung der Klimaschutzanstrengungen auf spätere Generationen sei – müsse das Gesetz eine automatische CO2-Preis-Erhöhung bei Zielverfehlung vorsehen. Bundesregierung und Bundestag dürften diese Erhöhung nur abwenden können, wenn sie vergleichbar effektive Maßnahmen beschließen.
Zudem sollten die Kompetenzen des deutschen Expertenrats deutlich ausgeweitet werden – gerade, weil das Bundesverfassungsgericht auf die stets vorhandenen wissenschaftlichen Unsicherheiten hingewiesen habe, so Agora Energiewende. So sollte der Rat künftig nicht nur die Plausibilität von Daten, Erhebungsmethodik und Annahmen bewerten, sondern auch inhaltliche Stellungnahme abgeben, Trends abschätzen und Maßnahmen vorschlagen.
Außerdem plädiert die Agora für die Einführung eines CO?-Schattenpreises. Weil das EU-Klimagesetz bereits vorschreibe, dass die EU-Kommission künftig ihre Folgeabschätzungen für Regulierungen dahingehend ergänzen muss, ob sie mit dem Klimaneutralitätsziel und den Klimaschutzzielen für 2030 und 2040 vereinbar sind, sei eine entsprechende Regelung für Deutschland ebenso sinnvoll. Für ökonomische Analysen und Berechnungen ist es dabei sinnvoll, einen Schaden in Höhe von 195 Euro je Tonne CO2 einzupreisen.
Mehr zum Thema Freiheit und Klimawandel bzw. -schutzmaßnahmen im factory-Magazin Freiheit. Dort könnten auch die Verfassungsrichter*innen zu ihrer Urteilsfindung Unterstützung gefunden haben, als wir dort schrieben, dass die zukünftigen Freiheitseinschränkungen durch verpassten Klimaschutz wohl erheblicher höher sein werden, als die empfundenen z.B. durch CO2-Steuern und Tempolimits: "Erforderliche Lebensstilanpassungen nähmen sich gegenüber den Freiheitsbeschränkungen durch Pandemien wie Covid-19 geradezu harmlos aus. Dass im Gegenteil Klimaschutz und Begrenzung der Erderhitzung überhaupt erst Freiheit und Menschenrechte fördern, wäre eine weitere wichtige Botschaft", heißt es in der factory Freiheit, die kostenlos zum Download steht.
Bild: "Kraftwerk Walsum" by LeonardoDaQuirm is licensed under CC BY-SA 2.0