Circular Economy

Der Kreislauf als Alternative

Die „Circular Economy“ hat das Zeug für eine andere Systemlogik. Dem ressourcenfressenden Kapitalismus alter Art kann sie durchaus gefährlich werden. Nicht nur der Soziologe Jeremy Rifkin ist da optimistisch. So schaffen Sitting Bull und Grüner Punkt den Umsturz.

Von Andres Friedrichsmeier

BRD-Jugend der 1980er: „Spielen wir Indianer!“ Mit Pfeil und Bogen? Ich greife nach den Zweigen vom Nussbaum, doch meine Gefährtin belehrt mich: „Du musst Bruder Baum etwas zurückgeben.“ Damals stand Kreislaufwirtschaft noch nicht für stinkende gelbe Säcke auf dem Bürgersteig, sondern für Exotik. Plakatgeworden schmückte die Circular Economy der edlen Wilden Millionen Jugendzimmer. Mal Häuptling Sitting Bull, mal unbebildert „die Cree“ belehrten dort im Tonfall meiner Jugendfreundin: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann!“ 

Wer damals dieses Plakat aufhängte, hat heute in Deutschland im Schnitt einen ökologischen Fußabdruck von fünf Hektar, drei mehr als das Land regenerieren kann. Wir haben also nichts gelernt von den Cree. Das heutige Versprechen der Circular Economy stellt die alte Indianerutopie auf den Kopf: Statt konsequenzloser Exotik technische Umsetzbarkeit im Hier und Jetzt unseres ‚Geldesser-Systems‘. Aber auf den zweiten Blick funktioniert Kreislaufwirtschaft auch technisch nicht ohne den Traum einer anderen Welt. Selbst wenn die Circular Economy die Ressourcenverschwendung im ersten System unangetastet ließe, wie etwa beim Grünen Punkt die der Verpackungswirtschaft: Wo finden wir im Weltmaßstab den Umweltminister, der ein solches Alibi­system verordnen könnte? 

Ersatzweise, so die Literatur, verwirkliche sich Circular Economy über „das zielführende Zusammenspiel von Regierungen und Unternehmen, Bürgern und Konsumenten“. Das klingt mehr nach Verantwortungsdiffusion als Umsetzbarkeit. Vorstellbar wird ein solches Zusammenspiel im ‚Geldesser-System‘ überhaupt nur, weil die einschlägige Literatur in ihre technische Sprache neben „Produktlebenszyklus“ indianisch anmutendes Vokabular einstreut –„Lehrmeister Natur“ oder „kollektive Verantwortung“ etwa.

Doch der Teufel steckt im Detail: Treten wir aus der WTO aus, um chinesische Produzenten zur Altgeräterücknahme inklusive 20.000 Kilometer Transportweg zu verpflichten? Erzwingt Deutschland Open-Source-Konstruktionsdesign, damit lokale Repairshops funktionieren? Obwohl das Land seinen Wettbewerbsvorteil in Patentierung und geheimem Produktionswissen sieht? Für all das bräuchte die Welt eine andere Logistik und andere Informationsnetzwerke.

„Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch“, hoffen wir angesichts dieser Ausgangslage mit Hölderlin – und klopfen an beim Berufsoptimisten Jeremy Rifkin, dem für etablierte US-Amerikaner überraschend linken Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler. Fröhlich buchstabiert er in der 2014 übersetzten „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“, ein anderes Weltlogistik- und Informationssystem bedeute selbstverständlich auch eine andere Wirtschaftsordnung. Keine Angst: Das war schon so beim Wechsel vom Frühkapitalismus in Marx’ens Zeiten zur späteren industriellen Wirtschaftsordnung, die bei uns mit dem Wohlfahrtsstaat verknüpft ist. Für Rifkin – und viele andere Theoretiker – gibt es nicht bloß den einen Kapitalismus. Ferner verläuft ein solcher Epochenwechsel schrittweise und über Jahrzehnte. Keinesfalls aber sei Circular Economy das alte „Geldesser-System“. Sondern gehöre, so Rifkin, zu einer neuen Wirtschaftsordnung namens „Collaborative Commons“. Deren Charakteristikum ist das oben zitierte „Zusammenspiel von Unternehmen und Konsumenten“. Nicht weil wir uns in Indianer verwandeln oder als Konsumenten zunehmend lieber bei vorgeblich nachhaltigen Unternehmen einkaufen. Sondern weil es, jenseits der klassischen Industrie, eine Tendenz zum Zusammenwachsen unserer Produzenten- und der Konsumentenrolle gibt: Wir werden „Prosumer“. Wir konsumieren und produzieren „User-Generated-Content“ auf Youtube oder Facebook, in Ratgeber- wie Produktbewertungsforen, zunehmend aber auch jenseits des Internets: bei der Energiewende mit eigenem Solarkollektor auf dem Dach, künftig mit 3D-Drucker oder klassisch-Circular-Economy-mäßig auf Tauschbörsen, in Repair-Cafés, beim Urban Gardening, als Carsharing-Teilhaber usw.

Wer jetzt denkt: „Schön und gut, aber im Vergleich zum Industriemaßstab sind das doch Spielereien.“ – für den definiert Rifkins Null-Grenzkosten-Gesellschaft einen Trend, der die Macht der Industrie auf Spielzeugmaßstab schrumpft. Denn die drastischen Produktivitätsfortschritte durch die „Mikroelektronische Revolution“ lassen die Grenzkosten verschwinden, welche, mikroökonomisch gesehen, in funktionierenden Märkten nichts weniger als die Trendrichtung des Marktpreises angeben. Folgerichtig schließt Rifkin:

Je mehr Güter und Dienstleistungen, die das Wirtschaftsleben unserer -Gesellschaft ausmachen, sich in Richtung Nahezu-null-Grenzkosten bewegen und fast kostenlos zu haben sind, desto mehr wird sich der kapitalistische Markt in schmale Nischen zurückziehen“.

Wir werden uns wahrscheinlich später wundern, wie groß ReUse, Refurbish, Repair und Remanufacturing geworden sind. So wie die Physiokraten, die Ökonomenschule des 18. Jahrhunderts, irgendwann die einst bewährte Überzeugung beerdigen mussten, Wertschöpfung erfolge nur in der Landwirtschaft – die heute ebensowenig verschwunden ist wie die Industrie im Rifkin-Szenario.

Dass es so kommt, ist für Rifkin kein Automatismus. Geliefert wird eine Trend-as-your-friend-Analyse, die man nun übertrieben optimistisch finden mag oder nicht. Konkreter Wert von so weitreichenden Entwürfen wie dem ­Rifkins ist gleichwohl, dass sie uns Orientierung auch für die kleinsten nächsten Schritte zu einer umfassenden Circular Economy anbieten. Denn die Industrie, so zeigt uns das Rifkin-Szenario, wird kein Partner sein in einem solchen Prozess; bestenfalls mitspielen als Getriebene, schlimmstenfalls mit wütender Gegenwehr, wenn es um mehr geht als eine Alibimaßnahme hier und ein lokales „Grüner Punkt“-System dort.

Einige Autoren, die weniger weitreichend als Rifkin über Gesellschaftswandel reflektieren, setzen ihre Hoffnung deshalb bisher in der Regel anders. Sie schauen gern zuerst auf jene Akteure, bei denen auf einen Schlag die größten Effekte zu erzielen sind: Sind es nicht gerade große Chemiekonzerne, die umfassende Erfahrung mit Recycling haben und ihren Ressourceneinsatz ständig optimieren? Oder Logistikunternehmen, die Leerfahrten vermeiden? Sollten wir nicht unterstützen, wenn Ketten wie H&M, Starbucks oder McDonald‘s neuerdings auf ein grüneres Image setzen?

In Anlehnung an Rifkin wäre zu erwidern: Jene, durch die ein Problem am stärksten auftritt, haben nicht automatisch den stärksten Vorsatz, es real zu lösen, zumal bei ihnen Ressourcenverbrauch zum Geschäftsmodell gehört. Dieselbe Erwiderung lässt sich freilich auch ohne Rifkin führen. Am praktischen Beispiel der Mineralölkonzerne, die US-Klimaleugner sponsern, aber auch auf theoretisch-abstrakter Ebene. Auch um Rifkins Behauptung zu überprüfen, Circular Economy bedeute eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, wechseln wir zur Frage, inwiefern Industriekapitalismus notwendig „Linear Economy“ ist.

Denn, so die folgende These, die klassische Marktwirtschaft nimmt keinesfalls auf die leichte Schulter, wenn man ihr die Wegwerfwirtschaft wegnimmt. Schließlich berührt das die Grundlagen von Marktwert und Gewinn, also nicht weniger als die Basislegitimation der klassisch-industriellen Marktwirtschaft.

Da wir nun einmal marktwirtschaftlich denken, erkennen wir dies leichter, wenn wir uns mit dem Indianer der 1980er-Phantasie vergleichen. Anders als er kann heute niemand von uns unabhängig produzieren, niemand allein einen Gewinn erzielen. Jeden Arbeitsschritt, den Einzelne oder Unternehmen verrichten, verrichten wir nicht mit selbstgebautem Pfeil und Bogen, sondern in einem Netzwerk von Dienstleistungen, Zuarbeiten und Vorprodukten, also in einer Welt, die vernetzter und interdependenter ist als je zuvor. Während unser Phantasieindianer sein selbsterlegtes Bison selbstverständlich mit anderen teilt, beharren wir auf der Sicht, ein von uns jeweils erzielter Gewinn oder Arbeitserlös stünde allein uns zu. 

Obwohl wir nichts außerhalb der gesellschaftlichen Netzwerke zu produzieren vermögen, halten wir -Gewinn und Erlös für eine Art zweite Natur, statt für den Outcome gesellschaftlicher Konstellationen, die politisch beliebig anders gesetzt werden könnten.

Dass Unternehmen ausgebaut werden, welche der Allgemeinheit schaden, aber Gewinne abwerfen, scheint uns natürlich. Denn in der klassischen Marktwirtschaft folgt Wirtschaftsstruktur im Grundsatz den Bewertungen von Produkten auf einem Markt.

So weit, so bekannt, wenn auch im Alltag meist verdrängt. Aber was hat das mit Wegwerfgesellschaft zu tun? Im gegenwärtigen Kapitalismus ist die gefühlte Natürlichkeit von Marktbewertungen darauf angewiesen, dass es ein nicht hinterfragbares Ende jeder Wertschöpfungskette gibt. Erst dieses Ende verleiht den vorangehenden Wertschöpfungsschritten den Anschein einer neutralen Zurechenbarkeit von Wert. Alle Abnehmer von Zwischen- und Investitionsgütern kalkulieren auf den Folgewert für ein Endprodukt. In einer Linear Economy endet die Linie beim Endverbraucher, der eben mehr oder weniger auszugeben bereit ist. Er bewehrt seine Wünsche, wie irrational sie auch sein mögen (wir haben uns angewöhnt, dass uns keine Nachfrage zusteht), mit seiner Zahlungsbereitschaft. Und Letztere bestimmt abschließend, wie viel die vorangehenden Wertschöpfungsschritte wert waren. Der Konsument ist Endreferenz aller Marktwerte der klassischen Marktwirtschaft. Deshalb muss auch die Geschichte seines Konsumprodukts zu Ende erzählt sein. Recycling ist hier nur als abgetrennte zweite Geschichte denkbar, etwa als eine von Gelben Säcken, die eine Sekundärindustrie in Parkbänke und Schallschutzwände verwandelt.

Die marktwirtschaftliche Endreferenz begründet ebenfalls die Macht der Industrie, etwa im Unterschied zum eigentlich größeren öffentlichen Sektor, der nach uns vertrauter Denkweise bloß existieren kann, indem er per Steuer aus der eigentlichen Wertschöpfung in der Industrie alimentiert werde. Aus ebendieser Sichtweise erscheint uns auch naiv, Repair-Café und Remanufacuring seien mehr als Indianerspiele und Rifkins Collaborative Commons könnten je den alten Kapitalismus ablösen. Irgendetwas in uns fragt ungläubig, woher denn dann der Wert kommen soll?

Stellen wir uns zum Kontrast eine Circular Economy vor, in der Rohstoffe so sehr verteuert sind, dass ihre Wiedergewinnung in einem Hochlohnland günstiger als Raubbau in Afrika, China oder Russland ist, beispielsweise aufgrund einer am Gemeinwohl orientierten Öko-Abgabe oder Ressourcensteuer. Diese ist hoch genug, dass unser Konsument sein Konsumprodukt als später weiter zu verwertendes Investitionsobjekt begreift – und sich selbst als Prosumer. Verloren geht in diesem Szenario die Endreferenz des Wertes, schlimmer sogar: wichtigste Referenz des Wertes würde die gemeinwohlorientierte Öko-Abgabe/Ressourcensteuer, also eine politische Setzung.

Ist das dann Kommunismus? Gemach, so unvertraut ist uns gar nicht, wenn Werte zu wesentlichen Teilen politisch statt durch den Endkonsumenten gesetzt werden.Denken wir an den durch staatliche Regulationsbehörden eingesetzten Wettbewerb auf dem deutschen Energie- und Telefonmarkt oder die Einspeisevergütung für Ökostrom. Oberflächlich gesehen ist das weiterhin marktwirtschaftlich, gleichwohl ist kein Zufall, dass es die Macht der etablierten Marktführer ins Wanken brachte. Nebenbei stellt auch der jüngere Finanzkapitalismus, die neue Herrschaft der Finanzinstrumente, eine Abkehr von den Wertreferenzen des Industriekapitalismus dar.

So gesehen bezeichnet Circular Economy tatsächlich eine andere Wirtschaftsordnung. Aber ist es nicht naiv, anzunehmen, sie könne und werde je den alten Kapitalismus ablösen? Das beurteile jeder selbst. Zum Schluss aber die These, dass es aktuell immer mehr Menschen gibt, die den Eindruck haben, genau dies passiere – und sich dagegen wehren wollen. Werfen wir dazu einen Blick darauf, wer aktuell politisch die Gegnerschaft zum herrschenden System verkörpert: Die lautesten Stimmen der Systemkritik sind heute, interessanter Weise, klassische Gallionsfiguren des Kapitalismus: Ein Milliardär (Donald Trump) oder eine Gruppe von Wirtschaftsprofessoren (die Gründer der AfD). Und ist nicht der Slogan des Ersteren überraschend unamerikanisch auf die Vergangenheit gerichtet: „Make America great AGAIN“. Schließlich wählen die Arbeiter Trump, obwohl er Kapitalist ist, die AfD trotz der (nach Abspaltung der Wirtschaftsprofessoren) verbliebenen wirtschaftsliberalen Positionen. Denn sie stehen beide für einen Kapitalismus, den sie nostalgisch in der Vergangenheit verorten; im Fall der AfD den der politisch im Nationalstaat eingehegten goldenen „D-Mark“. In beiden Fällen ist die Affinität zu Klimaleugnern überzufällig. Anlass immerhin, um unsere eigenen Vorstellungen von ‚Kapitalismus‘ zu überprüfen.

Bleibt die Frage nach dem Erfolgsgaranten für die Circular Economy: Es reicht nicht, sie zu erfinden. Man muss sie auch machen.

Dr. Andres Friedrichsmeier ist Organisationssoziologe und arbeitet für das Thüringer Bildungsministerium. Im factory-Magazin Utopien schrieb er in „Seien wir realistisch, haben wir Visionen“ darüber, dass der Klimawandel dem Neoliberalismus die utopische Kraft nimmt.

Mehr Beiträge zum Themenspektrum Circular Economy oder Kreislaufwirtschaft, zu Remanufacturing, Repair und ReUse, zu Zero-Waste und Möglichkeiten einer neuen Wirtschaftsordnung finden Sie im factory-Magazin Circular Economy. Das PDF-Magazin ist kostenlos herunterladbar und lässt sich besonders gut auf Tablet-Computern und am Bildschirm betrachten. Vorteil des Magazins: Es ist durchgehend gestaltet und enthält sämtliche Beiträge, Fotos und Illustrationen sowie zusätzliche Zahlen, Zitate und eine Wordcloud – während online zunächst nur wenige Beiträge verfügbar sind.

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