Vielfalt

Zukunftsfähige Geschäftsmodelle brauchen Vielfalt

Organisationen und Unternehmen sehen sich zunehmend gezwungen, rascher auf die wechselnden und sich ergänzenden Herausforderungen durch Klimakrise, Digitalisierung und anspruchsvolle Kunden und Mitarbeiter*innen zu reagieren. Es muss jedoch die Bereitschaft zu neuen, flexiblen Organisationsmodellen vorhanden sein, um ein höheres Maß an Reaktionsgeschwindigkeit und Kollaboration zu ermöglichen. Unternehmen brauchen Geschäftsmodelle mit einer Orientierung an Resilienz und Vielfalt, um die Große Transformation zu bewältigen, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Alexandra Palzkill-Vorbeck, Expertin für Transformation und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal im Gespräch mit Ralf Bindel.

factory: Resilienz, auch definiert als Widerstandsfähigkeit oder Krisenfestigkeit, ist in aller Munde. Was sind resiliente Geschäftsmodelle – und sind sie automatisch zukunftsfähig?

Prof. Alexandra Palzkill: Resiliente Geschäftsmodelle sind genau die, die den Sinn der Unternehmensexistenz, die Licence to operate, also das Nutzenversprechen und seine Umsetzung, einerseits so aufstellen können, dass sie sowohl im Hier und Jetzt überlebensfähig sind, als auch unter sehr anderen zukünftigen Bedingungen. Sozusagen die Gleichzeitigkeit von Gegenwartsbewältigung und Antizipation.

Sie haben diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet. Warum sind diese Modelle so wichtig?

Palzkill: Die These des Buches ist, dass Unternehmen, die wichtig für die Wohlstandserbringung sind aber auch einen hohen Ressourcenverbrauch haben, die notwendige Transformation blockieren, wenn sie sich angesichts geringer Resilienz nicht sicher sein können, ob sie auch in Zukunft ökonomisch erfolgreich sein werden. Ich stelle dort Ansätze vor, wie sie resilienter werden können, wie ihr Modell transformativ werden kann.

Was ist denn das Besondere an derartigen Modellen gegenüber den bisherigen? Haben Unternehmen nicht ohnehin den Blick auf die Zukunft gerichtet?

Palzkill: Unternehmen bedeutet ja, unter Risiken Entscheidungen zu treffen. Trotzdem ist die Besonderheit dabei heute das Multiple, eben die immer zahlreicher und in rascher Folge auftretenden Krisen, dazu die zunehmende Ungewissheit. Einerseits soll das Geschäftsmodell an sich zukunftsfähig sein, nennen wir es mal „Resilienz 1.0“. Gleichzeitig hat das aber auch Wirkung auf die Resilienz der Umwelt, der Gesellschaft, der ökologischen Systeme. Dort wird der Begriff ja auch viel diskutiert. Man muss das verknüpft sehen: Ohne die Resilienz der Umwelt funktioniert auch eine vernünftige Resilienz der Unternehmung nicht. Das ist die Idee von einer Wirtschaft, die eingebettet ist in gesellschaftliche Prozesse. Eigentlich nichts Neues, aber es muss eben übersetzt werden, damit es in die Richtung der Nachhaltigen Entwicklung geht, über die es einen gesellschaftlichen Konsens gibt.

Es ist nicht standardisiert, kein neues Managementsystem, Berater können damit nichts verdienen. Wie soll das funktionieren?

Palzkill: Es gab ja die Idee des Vielklangs, also Risiken und Trends, die man sowieso erst einmal aufnehmen muss. Das wissen theoretisch auch alle Unternehmer*innen, aber praktisch sieht es anders aus: Priorität haben die unmittelbaren, finanziellen Risiken der Gegenwart. Die Risiken der Zukunft, nämlich dass der Klimawandel irgendwann auch mein Unternehmen in der Wertschöpfungskette treffen wird, sind zwar klar, aber so lange das jetzt noch nicht so ist, ist das außerhalb des Radars. Die Übersetzung externer Bedrohungen in interne Strategien, konkurrierende Ziele und Prozesse ist nicht ganz trivial. Dann gibt es natürlich die Dimensionen, wie lernfähig ist das Unternehmen, wie agil, flexibel und vielfältig ist es. Wichtig für eine resiliente Entwicklung ist eben nicht durchgetaktete Effizienz, sondern Zeit, um nach rechts und links zu schauen. Um Redundanzen zu schaffen, die zwar nicht effizient sind, dafür aber relevant. Und auch bei Ressourcen und Lieferanten ist Vielfalt wichtig: Die Unternehmen sind oft zu sehr gebunden, da sind Handlungsspielräume nicht besonders groß. Das nach innen und nach außen aufzubrechen, dazu brauchen sie Mut zu Experimenten, zu Vielfalt – und das am besten in Netzwerken.

Warum die Zusammenarbeit mit anderen?

Palzkill: Weil das allein kaum funktioniert, sondern nur durch die Verknüpfung von empowernden Akteuren, die zusammen etwas verändern wollen. Das muss gar nicht die medienwirksame Ankündigung sein, alles sofort zu ändern, sondern der Wille, das erstmal intern zu diskutieren. Die Dilemmata, die da zu lösen sind, wenn der Anspruch der Nachhaltigkeit auf ein kommerzielles Modell trifft: Wie lässt sich das anders betrachten, wie erreicht man eine Sicht, die das Unternehmen nicht hemmt? Das funktioniert natürlich in Vielfalt und Netzwerken besser als allein.

Das erinnert sehr an moderierte CSR-Prozesse (Corporate Social Responsibility, gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen), die in Netzwerkprojekten stattfinden. In diesem Rahmen wären doch auch die zukunftsfähigen Geschäftsmodelle diskussionswürdig – in Verbindung mit Vielfalt und Ressourcen.

Palzkill: Ein wirklich ernstgemeinter CSR-Prozess geht in diese Richtung. Wichtig ist einfach die richtige Übersetzung von Worten in Taten, nach innen wie nach außen. Wenn zum Beispiel kommuniziert werden muss, dass die nachhaltigeren Produkte mit höheren Preisen für die Kunden verbunden sind, weil externe Kosten internalisiert werden. Das funktioniert wirklich nur im gemeinsamen Prozess, im Miteinander, und es braucht den Mut, offene Fragen zu stellen. Ein CSR-Prozess ist gut, muss aber wirklich das bisherige Geschäftsmodell auch in Frage stellen dürfen. Er darf nicht im Greenwashing enden, wie wenn z. B. ein ressourcenintensives Unternehmen es als alleinige gesellschaftliche Verantwortung versteht, für den örtlichen Fußballverein zu spenden. Das bestrafen auch irgendwann die Stakeholder und Kunden, wenn CSR nicht glaubwürdig ist.

Viele Unternehmen scheuen diese grundsätzlichen Fragen.

Palzkill: Unternehmen machen sich zwar angreifbar durch diese Öffnung, aber sie werden auch angreifbar, wenn sie es nicht tun. Sie kommen also eigentlich gar nicht drum herum. Die Forderung von außen lautet: Liebe Leute in den Unternehmen, denkt darüber nach, wie Ihr aktive Player werden könnt in einer resilienten Art und Weise, die die Umwelt nicht zerstört. Denn es wird andere geben, die das tun werden. Es kommen immer wieder neue Ideen auf den Markt, die alte Ideen unter Druck setzen. Seid Ihr nicht dabei, dann habt Ihr ein Problem. Ein Weiter-so gefährdet uns alle und Ihr setzt auch eure Zukunftsfähigkeit aufs Spiel.

Welche Rolle spielt denn die Vielfalt in dem Prozess des „resilienter Werdens“? Muss das zukunftsfähige Unternehmen nur eine breite Multiperspektive haben oder besonders divers aufgestellt sein? Wie sieht Ihr Plädoyer für Vielfalt in resilienten Unternehmen aus?

Palzkill: Auf der Ebene des Kunden-Nutzen-Versprechens ist zum Beispiel ein Automobilhersteller nicht besonders vielfältig. Definiert er sich aber als Mobilitätsdienstleister, ist das Auto eine von vielen Möglichkeiten, seine Licence to operate zu erfüllen. Da gibt es viele Ideen, die Unternehmen noch nicht gut nutzen. Grundsätzlich haben sie aber viele Anknüpfungspunkte, um eine solche Transformation entwickeln zu können: Muss ich mich komplett neu aufstellen, ist es ein harter Schnitt und sehr viel schwieriger als wenn ich einen  Handlungsspielraum zur vielfältigen Bedürfnisbefriedigung habe.
Andersherum brauche ich auf der Ebene des Unternehmens natürlich Flexibilität, Kreativität, Lernfähigkeit, Netzwerke, um Trends zu erkennen, aber vor allem, um Ressourcen zu erhalten für Disruptionen, die ich nicht planen kann. Denn ich werde nicht alle Trends, die mich treffen, erkennen können. Ereignisse wie Corona, Fukushima und ähnliches lassen sich nicht einplanen. Sicher haben das nur wenige Unternehmen als Risiko auf dem Schirm gehabt. Für derartige, fundamentale Risiken ist es sehr sehr schwierig, Ressourcen aufzubauen.
Und genau dafür brauche ich die Vielfalt. Weil ich nicht weiß, welche Ressourcen und welche Prozesse ich denn in zukünftigen Welten benötigen werde. Dafür muss ich mir eine Vielfalt an Möglichkeiten aufbauen. Ich muss versuchen, diese Fähigkeiten in meinem Unternehmen zu verankern, auch wenn ich nicht weiß, ob ich sie jemals brauchen werde. Denn wenn ich sie nicht habe, habe ich wirklich ein Problem. Dafür auch das Netzwerk, mit dem ich für weiterführende Strategien zusammenarbeiten kann.

Das bedeutet aber auch einen gewissen Überfluss an internen Aufstellungen, an parallelen Ideen und Organisationsstrukturen, die im Falle eines Falles zu nutzen sind. Das kostet erhebliche interne Ressourcen, für die sich die Geschäftsführung klar einsetzen muss. Was macht denn der Automobilzulieferer, die Härterei, der Oberflächenbehandler, wenn die Verbrennertechnologie nicht mehr für die meisten Aufträge sorgt? Wie spielen da die Ideen von Suffizienz, Circular Economy oder Ecodesign rein? Das ist ja alles noch nicht etabliert. Wie können wir den Unternehmen eine derartige „Vielfältigkeit“ schmackhaft machen?

Palzkill: Genau das ist es vielleicht, was Vielfalt trifft. Mit dem Mut, zu experimentieren, geht es im ersten Schritt gar nicht darum, gleich zweigleisig zu fahren, indem ich zwei Fertigungsstraßen aufbaue, die eine nach Circular Economy, die andere klassisch. Sondern darum, Ideen überhaupt zu denken, die nicht nur effizient sind. Zu überlegen, was mich denn in einer suffizienten Welt erwartet. Und Suffizienz ist zur Effizienz ja genau gegensätzlich. Von der Grundlogik her steckt man in diesem Dilemma: Ich bin ein total effizientes Unternehmen, meine Margen sind gering und ich kann da auch nicht viel machen. Trotzdem muss man das einmal durchdenken: Was ist, wenn wir wirklich von diesem hohen Ressourcenverbrauch noch weiter runter müssen? Was bin ich dann noch? Bin ich dann einfach weg oder habe ich eine Idee, was dann passieren muss? Welches kleine Rädchen bin ich dann noch, um Wohlstand in die Welt zu bringen? Und dann bin ich ganz schnell bei Circular Economy. Dann wird es auch für den Automobilzulieferer interessant. Der stöhnt natürlich über die Investitionen, aber er weiß, er muss sich darüber Gedanken machen und nicht wie bisher – das wird ja vielen etablierten Unternehmen von der Transformationsforschung vorgeworfen – ausschließlich die Rolle des Bremsers einnehmen.

Ein gewisser Kampf, mit dem Bisherigen weiter oben- und mitzuschwimmen, ist doch verständlich.

Palzkill: Man kann ihre Angst ja vielleicht verstehen, morgen nicht mehr dazusein, und dass sie deswegen auch in entsprechende Lobbyarbeit investieren, aber gleichzeitig haben viele verschlafen, neue Konzepte und Ideen zu entwickeln, was in einer konsistenteren Welt wie der der Circular Economy und auch in einer suffizienteren Welt eigentlich die Licence to operate sein kann. Es geht nicht um den redundanten Aufbau von Fertigungsstraßen, sondern um die grundsätzlich vielfältige Ideenentwicklung. Das wurde in vielen Branchen versäumt, wie in der Energiewirtschaft, die lange die Erneuerbaren Energien nicht ernst genommen und auf ihre alte Art und Weise bestanden hat. Und in der Automobilindustrie, wo es vielleicht nicht ganz so krass ist, aber man doch ihre Schwierigkeiten sieht, aus ihrem engen, nicht vielfältigen Korsett herauszukommen. Es braucht einfach Mut zum gedanklichen Experimentieren – erst dann wird umgesetzt.

Unternehmer*innen zeichnen sich doch genau dadurch aus.

Palzkill: Und eigentlich ist das auch für Unternehmer*innen nichts neues. Man muss herumexperimentieren, herausfinden, was funktioniert und was nicht. Es bleibt die gleiche Idee des Unternehmertums, allerdings in einer komplexeren Welt und mit einer  Dringlichkeit, die die Nachhaltigkeit mit sich bringt und die uns auch zeitlich einfach anders unter Druck setzt als andere Trends, die nicht gesteuert sind. Denn der Wandel in eine nachhaltige Gesellschaft ist die erste große Transformation, die gesteuert werden muss – und bei der man auf die Hilfe der Unternehmen angewiesen ist, sonst wird es nicht funktionieren.

Sind große Unternehmen, die sich vielleicht auch Redundanzen leisten können, da besser aufgestellt als nicht nur der kleine Handwerker, sondern auch mittelständische Unternehmen, die eben in engen Bahnen agieren müssen, um ökonomisch überleben zu können?

Palzkill: Das sind unterschiedliche Rollen, die die Unternehmen je nach Größe einnehmen. Große Unternehmen, die die Marktmacht haben, können sich einen solchen Versuch leisten, um zum Beispiel die Circular Economy auch aus der Nische zu tragen. Die haben einfach einen hohen Impact. Andererseits haben natürlich auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) großen Einfluss. Ihr Problem ist, dass sie selten eine Strategieentwicklungsabteilung haben, das wird alles eher „hands on“ gemacht. Und trotzdem, das sagen mir zumindest Mittelstandsforscher*innen, ist von ihnen einiges zu erwarten, weil KMU zum Beispiel auf politische Strategien der Bundesregierung oder der EU einfacher, schneller und pragmatischer reagieren und diese umsetzen können, da nur ein kleiner Kreis bei ihnen darüber entscheidet. Während große Unternehmen dabei nicht immer die großen Vorreiter sind, obwohl sie eigentlich als „brand firms“ viel stärker im Licht der Öffentlichkeit stehen. Trotz Strategieentwicklungsabteilung sieht man sie oft überrascht von kleineren Unternehmen, die jetzt nicht nur StartUps sind.

Viele Große kaufen sich deswegen einfach neue StartUps.

Palzkill: Das sieht man häufig, aber danach ist es auch oft vorbei mit der eingekauften Innovation. Auch da können Netzwerke von großen ökonomischen, marktmächtigen Playern mit StartUps besser sein, damit beide Seiten längerfristig etwas davon haben. Womit wir auch wieder bei der Vielfalt wären. Statt mehrmals kleinere Unternehmen zu übernehmen, würde den Großen eine Netzwerkkooperation mit Kleinen viel mehr Verzahnung bieten und eben mehr Vielfalt an Ideen, die nicht der eigenen Steuerung und Logik unterliegen – denn eigentlich müssen sie ja das Neue wollen.

Erfahren Unternehmen durch Prozesse wie CSR, Ökobilanzierung und Effizienzberatung nicht auch mehr Resilienz und Vielfalt? Ich denke an das Beispiel der Bäckerei von Roland Schüren, der für sein Engagement viele Preise wie auch den Effizienzpreis NRW erhalten hat. Er hat nicht nur seine Filialbäckerei ressourceneffizienter und klimaschonender aufgestellt, sondern durch Synergieeffekte auch den größten privaten Solarladepark Deutschlands initiiert – und kandidiert jetzt für den Bundestag. Wäre das eine Empfehlung, auch mal auf Nebenspuren zu fahren und somit zu resilienzfördernder Vielfalt zu gelangen?

Palzkill: Genau mit solchem Herumexperimentieren lässt sich diese Vielfalt aufbauen! Zwei Standbeine sind zwar kraftaufwändig, man steht aber auch sicherer. Das ist bestimmt kein Patentrezept für alle. Aber zu überlegen, wie kann ich mein Geschäftsmodell in unterschiedliche Trends einbetten, wo gibt es Überschneidungen, die auf einmal gut funktionieren, obwohl man es vorher nicht auf dem Schirm hatte, ist grundsätzlich richtig. Proaktives Entscheiden, ohne Pistole auf der Brust, sich anderweitig einzubringen in die Gesellschaft, ist der richtige Weg. Zusätzlich einen wahren Nutzen für die Gesellschaft zu erbringen – denn das ist ja eigentlich der Sinn von Unternehmen, sonst würden sie nicht existieren –, den grundsätzlichen Nutzen auszubauen, das brauchen wir für die Transformation, für mehr Resilienz. Und natürlich auch den Mut zu scheitern. Denn unternehmerisches Risiko ist ja nichts Neues. Gerade die Großen haben offenbar vergessen, dass es vielleicht nicht immer eine Pflicht gibt, sie zu retten.


Dr. Alexandra Palzkill ist Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin und forscht als Juniorprofessorin an der Bergischen Universität Wuppertal zu nachhaltigen Geschäftsmodellen und Transformationsprozessen. Ihr Buch Geschäftsmodell-Resilienz ist 2017 bei Springer erschienen.

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