Schuld und Sühne
Schuld- und Schubumkehr
Der Kredit des Himmels ist begrenzt. Nicht die Energiequellen sollten den Preis für seine Verschmutzung bestimmen, sondern seine CO2-Aufnahmefähigkeit. Internationale Klimapolitik könnte erfolgreich sein, wenn ein Großteil der Ressourcen im Untergrund bliebe – also die (Klima-)Schuldenaufnahme und ihre Tilgungskosten reduziert würden. Um die Atmosphäre als Globales Gemeingut zu schützen, brauchen wir eine entsprechend steigende CO2-Bepreisung. Unternehmen würden in emissionsarme Technologien investieren. Und Staaten könnten die Einnahmen in ihre Infrastrukturen und Bildungssysteme stecken – oder ihre Verschuldung abbauen.
Von Ottmar Edenhofer
Der Menschheit wird erst langsam bewusst: Die Atmosphäre ist ihr Gemeineigentum. Als Treuhänder dieses Vermögens haben wir die Aufgabe, es klug zu nutzen. Wir sind jedoch drauf und dran, dieses Eigentum zu verschleudern. Die Atmosphäre wird von uns wie ein Niemandsland benutzt: Sie steht als CO2-Senke unbeschränkt jedem kostenlos zur Verfügung.
Durch den unbeschränkten Zugang wird diese Deponie übernutzt. Die CO2-Emissionen wachsen heute sogar schneller als in den vorangehenden drei Dekaden, derzeit sind es 35 Milliarden Tonnen jährlich. Bereits in den nächsten 20 bis 30 Jahren könnte somit das komplette CO2-Budget aufgebraucht sein. Denn wenn wir das Zwei-Grad-Ziel noch mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen wollen, dürfen wir nur noch insgesamt ungefähr 1000 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen.
Dem steht gegenüber, dass noch etwa 15.000 Milliarden Tonnen an fossilen Brennstoffen in der Erde lagern. Auf den ersten Blick mögen diese riesigen Vorkommen wie ein wahrer Lotteriegewinn wirken. Vorschnell ließe sich ausmalen, wie damit der gigantische Energiehunger der Welt gestillt werden kann. Doch wer das globale Kohlenstoffbudget von 1000 Milliarden Tonnen mit dieser Zahl vergleicht, erkennt rasch: Ein Großteil der Vorräte an Kohle, Gas und Öl muss im Boden bleiben.
Kohle, Öl und Gas im Boden lassen
Wir müssen Emissionen senken. Konkret heißt das, dass wir zunächst ausgehend vom heutigen Niveau die jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent reduzieren und gegen Ende des Jahrhunderts gegen Null gehen lassen müssen, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen. Das bedeutet, dass mindestens 70 Prozent der derzeit bekannten Kohlevorkommen und mehr als 30 Prozent der Ressourcen und Reserven von Öl und Gas nicht mehr genutzt werden dürfen. Die Nutzung in diesem Umfang wird jedoch nur möglich sein, wenn die Menschheit nicht nur die Atmosphäre, sondern auch unterirdische Lagerstätten als Deponieraum für CO2 nutzen kann. Grundsätzlich kann bei der Verbrennung von Kohle, Öl, Gas und Biomasse freigesetztes CO2 eingefangen und dann unterirdisch eingelagert werden. Steht diese Option nicht zur Verfügung, können entsprechend weniger fossile Energieträger genutzt werden.
Die Hoffnung, die Erneuerbaren Energien könnten rasch billiger werden als Kohle, Gas und Öl, ist jedoch gefährlich. Diese Hoffnung könnte nämlich verhindern, dass es zu weiteren klimapolitischen Anstrengungen kommt. Zwar hat es bei den Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren deutliche Kostenreduktionen gegeben. Derzeit macht ihr Anteil am globalen Primärenergieverbrauch aber nur zwölf Prozent aus, wobei etwa die Hälfte davon auf die Nutzung traditioneller Biomasse entfällt. Zweifellos werden die Preise für fossile Energieträger irgendwann steigen und die Kosten für Erneuerbare fallen. Die Frage ist nur: Kommt dieser Strukturwandel schnell genug? Die Antwort nahezu aller Szenarienrechnungen aus dem Weltklimarat lautet: nein.
Ein Preis von Null wäre schon gut
Die Nutzung fossiler Energieträger muss also durch effektive Klimapolitik global gedeckelt werden. Das aber führt zu Verteilungskonflikten: Wenn ein Großteil ihrer Kohlenstoffressourcen im Boden bleiben muss, kommt Klimapolitik für die Besitzer von Kohle, Öl und Gas einer Entwertung ihres Vermögens gleich. Außerdem müssen die knappen atmosphärischen Nutzungsrechte beispielsweise zwischen Staaten in Afrika, China, den USA und anderen Weltregionen fair verteilt werden. Die Menschheit steht somit vor einer Herkulesaufgabe.
Die Lösung wäre eine Bepreisung von CO2. Denn ein CO2-Preis führt dazu, dass Investoren ihre Strategien verändern. Wenn der Preis der Nutzungsrechte steigt, gibt es einen ausreichenden Anreiz, die Emissionen zu vermindern und in emissionsarme Technologien zu investieren. Allerdings werden von einem steigenden Nutzungspreis arme und reiche Länder unterschiedlich betroffen sein. Daher wird man im Rahmen eines globalen Klimaabkommens auch darüber verhandeln müssen, wie die Nutzungsrechte zu verteilen sind, damit dies von den beteiligten Staaten als fair empfunden wird.
Grundsätzlich kann die Knappheit dieses Deponieraums auf zwei Weisen institutionell verankert werden: Man legt entweder eine CO2-Steuer fest oder implementiert ein Emissionshandelssystem. In beiden Fällen wird den Investoren, Firmen und Konsumenten über den Preis eine Knappheit des begrenzten Deponieraums signalisiert. Egal, welchen Weg man wählt: Die Nutzung des CO2-Deponieraums Atmosphäre darf nicht mehr kostenlos sein.
Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir in einem ersten Schritt zumindest einen CO2-Preis von Null hätten. Das würde bedeuten, dass die sehr hohen Subventionen für fossile Energien wegfallen – immerhin derzeit 548 Milliarden US-Dollar weltweit. Gleichwohl ist auf dem Weg zu einer CO2-Bepreisung die Hürde der politischen Machbarkeit zu nehmen. Manche Länder empfinden zum Beispiel eine CO2-Steuer als Bedrohung ihres Wirtschaftswachstums – welches schließlich ein zentrales Ziel fast aller Regierungen und Gesellschaften weltweit darstellt. Global gesehen kostet es aber dieses Vermögen nicht, wenn wir über eine CO2-Bepreisung die Atmosphäre schützen. Wir würden das Wirtschaftswachstum bis 2050 lediglich um anderthalb Jahre verzögern.
Mit der Tilgung die Armut bekämpfen
Vielmehr könnte diese Form der Klimapolitik Regierungen in vielen Ländern in die Lage versetzen, weitere drängende und nationale Probleme leichter und zu geringeren Kosten zu lösen. Zum Beispiel wäre es denkbar, dass die Einnahmen aus einer CO2-Steuer in die Versorgung mit sauberem Wasser investiert werden. So würden die Emissionen reduziert und zugleich die Qualität der Wasserversorgung und anderer Infrastrukturen gehoben.
Denn die Klagen über die Situation der Infrastruktur nehmen weltweit zu, der Erneuerungsbedarf ist gewaltig. Das lässt sich beispielsweise an Indien zeigen: Würde die Regierung dort die Tonne CO2 mit zehn Dollar belasten, könnte sie aus den Einnahmen jedes Jahr mehr als 60 Millionen Menschen zusätzlich Zugang zu Elektrizität, sauberem Wasser, Sanitäreinrichtungen und Telekommunikation verschaffen. Die CO2-Bepreisung käme somit einem riesigen Programm zur Armutsbekämpfung gleich. Ähnliches gilt für China oder auch für Mexiko, wo eine CO2-Bepreisung ebenfalls helfen würde, die lokale Luftqualität drastisch zu verbessern.
Der Erfolg dieser Doppelstrategie hängt zwar von den lokalen Gegebenheiten ab. Generell aber lässt sich sagen, dass die Einnahmen Investitionen in die Standortqualität der Staaten auslösen können. So könnten die Länder das Geld auch in „weiche Infrastrukturmaßnahmen“ wie Bildungssysteme stecken, die Steuern auf Arbeit senken oder die Staatsverschuldung abbauen.
In vielen Ländern der Erde hat sich mit Blick auf die nationalen Haushalte die Einsicht durchgesetzt, dass eine zu hohe Verschuldung auf Dauer nicht funktioniert. Eine kluge Bewirtschaftung der Gemeinschaftsgüter bietet hier einen kühnen und zugleich praktikablen Lösungsansatz. Klimapolitik bürdet der Wirtschaft nicht einfach Lasten auf, sondern leistet im Gegenteil einen Beitrag zur Vermögensbildung und zum Wohlstand. Die Natur hat uns mit der Atmosphäre als Senke für Treibhausgase einen Kredit gewährt. Wir dürfen ihn nicht überziehen – sonst verspielen wir unser Vermögen, statt es zu mehren.
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer ist Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und Chefökonom am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie einer der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates IPCC. Seine Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit dem Einfluss induzierten technologischen Wandels auf Vermeidungskosten und -strategien sowie der Entwicklung von Instrumenten in Kontext von Klima- und Energiepolitik.
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