Termine

  • Grafik verteilter Naturräume mit Korridoren zur Erholung von Klima und Arten.
    Mosaikansatz zum verbindenden gerechten Arten- und Klimaschutz. Quelle: Science-Magazin

Wie sich Klima- und Naturschutz effektiv verbinden lassen

Die Bewältigung der Klimakrise steht häufig im Vordergrund gesellschaftlicher Debatten und politischer Maßnahmen. Die Krise der biologischen Vielfalt, des dramatischen Verlusts von Tier- und Pflanzenarten, wird dagegen meist eher isoliert behandelt. Der konsequente Schutz von Ressourcen wie Flächen, Meeren und Rohstoffen würde aber sowohl Artensterben wie Klimawandel begrenzen können. Globale UN-Abkommen wie lokale Lösungen müssten beide Krisen zusammendenken, fordert erneut eine Studie – und könnten mit dem Mosaikansatz konkrete Verbesserungen erreichen.

Seit 2015 gibt es das Paris Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung auf weniger als 1,5 Grad, seit 2022 das Montreal-Kunming-Abkommen zum Schutz von mindestens 30 Prozent der globalen Land- und Meeresfläche. Mit dem UN High Seas Treaty machten die Mitgliedsstaaten 2023 nach fast zwei Jahrzehnten einen ersten Schritt zum Schutz der Hochsee dazu.

Klimawandel und Artensterben werden bislang getrennt verhandelt und gedacht – auf lokaler wie auf globaler Ebene. Dabei sind beide Teile einer multiplen Krise, in der sich verschiedene Krisen wie auch die der wachsenden sozialen Ungleichheit einander beeinflussen und verstärken.

Die Krisen sind vernetzt und können auch nur vernetzt gelöst werden. Ansätze zur Lösung einzelner Krisen ohne Rücksicht auf die Wirkungen auf die jeweils anderen "Sektoren" werden nicht zum Erfolg führen, das prognostizieren die Wissenschaftler*innen der verschiedenen Forschungsbereiche seit langem.

 

Mehr Windkraftausbau ohne Artenschutz?

Beispiel Deutschland: Das Osterpaket des Klima- und Wirtschaftsministeriums von 2022 sollte den Zubau von Windkraftanlagen an mehr Standorten beschleunigen, das geänderte Bundesnaturschutzgesetz listet dafür nun weniger gefährdete Vogelarten als zuvor. Ein Verstoß gegen das europäische Artenschutzrecht, wie der NABU klagt, und dadurch würde wegen fehlender Rechtssicherheit der Ausbau gerade nicht beschleunigt.

Das "Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung" der Bundesregierung vom März 2023 soll Deutschland dazu bringen, seine Klimaschutzziele zu erreichen, die es bisher verfehlt. Für Energie- und Wärmewende gibt es Lösungen, wobei der Ausgleich für den Heizungsaustausch für Mieter*innen und weniger vermögende Hausbesitzer*innen sozial ungerecht gestaltet ist – und deren erwartbare Ablehnung von den Klimaschutzgegner*innen entsprechend genutzt wird.

Zudem soll auch noch das Klimaschutzgesetz geändert werden, damit der Verkehrssektor weiterhin sein Sektorziel ohne Politikkorrekturen überschreiten kann – mit mehr Druck auf den anderen Sektoren und einer entsprechend höheren Belastung für natürliche Ressourcen. Eben selbst auch durch den Verkehrssektor, denn der Aus- und Neubau von Straßen soll zudem auch noch beschleunigt werden.

Hinzu kommt die Verlagerung von Lösungen aus dem Klimaschutzgesetz in den Markt, wie es beim CO2-Emissionshandel für Verkehr und Gebäude geplant ist. Das werden insbesondere sozial schwächere Gruppen treffen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden, heißt es vom Rat für Nachhaltige Entwicklung.

 

1,5 Grad-Ziel plus 30 Prozent Schutzgebiete

Die beispielhafte Entwicklung in Deutschland zeigt, dass Klimawandel, Artenkrise und soziale Ungleichheit zu wenig zusammen gedacht und Lösungen in einzelnen Bereiche meist krisenverschärfend in andere wirken.

Insofern kommt der Appell, den Wissenschaftler*innen des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) gemeinsam in Pressemitteilungen veröffentlichten, gerade zur rechten Zeit.

"Klimakrise und Biodiversitätskrise dürfen nicht isoliert betrachtet werden", fordern AWI und KIT. Wissenschaftler*innen beider Institute sind an einer internationalen Übersichtsstudie beteiligt, die nun im Fachmagazin Science erschienen ist.

Darin empfehlen sie die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und den Schutz und die Renaturierung von mindestens 30 Prozent der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen – aber darüber hinaus ebenfalls ein Netzwerk von miteinander verbundenen Schutzgebieten sowie eine verstärkte fachübergreifende Zusammenarbeit der oft zu isoliert agierenden politischen Institutionen.

„Wir müssen Klima- und Artenschutz zwingend zusammen denken. Denn Maßnahmen, die sich beispielsweise allein auf den Klimaschutz konzentrieren, können sich durchaus auch negativ auf die Biodiversität auswirken“, sagt Professorin Almut Arneth vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung, dem Campus Alpin des KIT in Garmisch-Partenkirchen, und Mitautorin der Studie.

 

Menschengemachtes Artensterben

Die Übersichtsstudie fasst noch einmal zusammen: Menschliche Aktivitäten haben rund 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Ozeangebiete der Erde stark verändert. So stark, dass heute unter anderem rund 80 Prozent der Biomasse natürlich vorkommender Säugetiere sowie 50 Prozent der Pflanzenbiomasse verloren sind und mehr Arten vom Aussterben bedroht sind, als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte, weiter verstärkt durch den ebenfalls menschengemachten Klimawandel.

Die Erwärmung und die Zerstörung natürlicher Lebensräume reduzierten nicht nur die Arten, sondern auch die Speicherkapazitäten von Organismen, Böden und Sedimenten für Kohlenstoff, was wiederum die Klimakrise verschärfe, so die Forschenden. Weil Organismen bestimmte Toleranzfenster für Umweltbedingungen wie die Temperatur haben, verschieben sich infolge der globalen Erwärmung die Lebensräume der Arten oder sie verschwinden ganz.

Um den Krisen zu begegnen und ihre schon heute drastischen sozialen Folgen abzumildern, schlagen die Forschenden ein ambitioniertes Aktionspaket aus Emissionsreduktion, Renaturierungs- und Schutzmaßnahmen, intelligentem Management von Nutzflächen sowie institutionsübergreifenden Kompetenzen der politischen Akteure vor.

„Ganz oben auf der Prioritätenliste steht natürlich nach wie vor die massive Reduktion der Treibhausgasemissionen und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels“, sagt Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner, Leiter der Sektion Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

„Darüber hinaus müssen mindestens 30 Prozent der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen unter Schutz gestellt oder renaturiert werden, um die größten Biodiversitätsverluste zu vermeiden und die Funktionsfähigkeit der natürlichen Ökosysteme zu erhalten. Das hilft uns dann auch im Kampf gegen den Klimawandel."

Die tatsächliche Umsetzung des vor Weihnachten 2022 beschlossenen Kunming-Montreal Protokolls zum Schutz der Biodiversität habe daher ebenso hohe Priorität wie das Pariser Klimaabkommen, betont KIT-Forscherin Arneth.

 

15 Prozent Renaturierung rettet zu 60 Prozent der aussterbenden Arten

Laut der Studie könnte schon eine weitgehende Renaturierung von 15 Prozent der zu Nutzland umgeformten Flächen ausreichen, um 60 Prozent der noch zu erwartenden Aussterbeereignisse zu verhindern. Zudem könnten damit bis zu 300 Gigatonnen Kohlendioxid langfristig aus der Atmosphäre entnommen und gebunden werden, was 12 Prozent des seit Beginn des Industriezeitalters insgesamt ausgestoßenen Kohlenstoffs entspräche.

Weiterhin schlagen die Studienautor*innen vor, Schutzgebiete nicht als isolierte Rettungsinseln für Artenvielfalt zu begreifen, sondern als Teil eines Netzwerks, das Gebiete mit naturnaher Wildnis über Migrationskorridore miteinander verbindet.

Dabei gelte es, vor allem indigene Gesellschaften in das Schutzmanagement einzubinden und staatlich zu unterstützen. In der Landwirtschaft und Fischerei gehe es um ein nachhaltiges Nutzen der Flächen, das Ressourcen schont und die Lebensmittelversorgung sichert. Konzepte, die zu einer verstärkten Kohlendioxidaufnahme und Kohlenstoffbindung in Biomasse und Böden führen, seien dabei zu bevorzugen.

Zugleich gehe es darum, Refugien für Arten zu schaffen, die ihrerseits den Ertrag erst möglich machen, wie Insekten, die Obstbäume bestäuben. In Städten schließlich sollte nach Einschätzung der Forschenden vor allem die Verbesserung der Kohlendioxid-Bilanz absolute Priorität haben.

 

Lösung: Klimaschutz, Artenschutz und Gerechtigkeit

„All das funktioniert in Zukunft nur, wenn bei allen beschlossenen Maßnahmen Klimaschutz, Biodiversitätserhalt und soziale Vorteile für die lokale Bevölkerung zusammengedacht werden“, sagt Hans-Otto Pörtner. „Die für 2030 und 2050 geplanten neuen globalen Biodiversitäts-, Klima- und Nachhaltigkeitsziele werden wahrscheinlich scheitern, wenn die einzelnen Institutionen nicht verstärkt fachübergreifend zusammenarbeiten.

Die separaten UN-Konventionen zu Biodiversität und Klimaschutz, also Paris- und Montreal-Kunming-Abkommen, betrachteten die Krisen zu isoliert und seien noch dazu fokussiert auf die nationalen Interessen der Vertragsstaaten. "Hier brauchen wir dringend einen ganzheitlichen Ansatz, wenn die Ziele erreicht werden sollen", so Pörtner.

Die nun im Fachmagazin Science erschienene Studie ist das Ergebnis eines Workshops, den die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) und das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC), beide auch bekannt als „Weltbiodiversitätsrat“ und „Weltklimarat“, im Dezember 2020 gemeinsam durchführten.

Im IPCC IPBES Workshop Bericht 2021 empfahlen die beteiligten Forscher*innen erstmals die gemeinsame Betrachtung und Behandlung von Klima-, Arten- und sozialer Krise. Die jetzt erschienene Studie ist eine aktualisierte Darstellung, die helfen könnte, das "Silodenken" zu überwinden, wie Pörtner dem factory-Magazin sagte.

 

"Naturschutz nicht dem Klimaschutz opfern"

Angesprochen auf die Entwicklung in Deutschland, wo Naturschutzverbände beim Ausbau der Windkraft auf die Einhaltung des EU-Naturschutzgesetzes verweisen müssen, rät Pörtner, "das Kind nicht mit dem Bade" auszuschütten und "den Naturschutz dem Klimaschutz zu opfern".

Die Initiative des BMUV zum natürlichen Klimaschutz wie zum Schutz und zur Wiedervernässung von Mooren sei hier lobend zu erwähnen, aber die Technologiediskussion scheine zu dominieren, so Pörtner und fordert auf: "Fehlentwicklungen sind zu vermeiden."

Denn beim gleichzeitigen Voranbringen von Klima- und Artenschutz gehe es selbstverständlich nicht nur um Schutzgebiete im geringer industrialisierten globalen Süden, während hierzulande die Sicherung der Biodiversität zugunsten des Ausbaus der Erneuerbaren Energien zurückgedrängt werde.

Zwar seien die sich entwickelnden Länder hier zu Recht sehr empfindlich, er sähe aber zunächst jedes Land in der eigenen Verantwortung. Denn diese hätten im Idealfall originäre Ökosysteme zu schützen, wie in Deutschland z. B. Buchenwälder und Moore. "Wir haben 'Rest'natur vor der Haustür, die gestärkt und renaturiert werden sollte, auch im Interesse der körperlichen und mentalen Gesundheit des Menschen."

Umgekehrt seien die Ökosysteme des Planeten Gemeingut und Welterbe, mit unterschiedlicher Wichtigkeit für den globalen Klimaschutz. "Hier sollten sich alle beteiligen, die Kosten für nachhaltigen Schutz zu tragen", sagt Pörtner. "Das schließt ja nachhaltige Nutzung nicht aus und wird von vielen Indigenen so gelebt."

 

Mit dem Mosaikansatz das Gesamtsystem schützen

Auch in Deutschland und Europa sei nachhaltiger Schutz von Biodiversität möglich und nötig, nicht nur in komplett geschützten Gebieten. "Es geht nicht nur darum, charismatische Arten zu behalten, sondern die Gesamtheit aller Ökosysteme, die auch unsere natürliche Lebensgrundlage darstellt. Erhalten heißt gesund erhalten, genügend Raum geben. Wir profitieren unter anderem durch gesunde Luft und gesundes Wasser und natürlichen Klimaschutz."

Danach gefragt, ob der Biodiversitätsschutz durch massiven Umstieg auf Erneuerbare Energien wie Windkraft und Photovoltaik nicht wesentlich größer sei, als die Sicherung einzelner Arten durch das Zurückweisen von Bauvorhaben in deren Regionen, plädiert Pörtner auf den Mosaikansatz, den auch die Studie vorstellt.

Dieser beruht darauf, dass das Mosaik von intakten und geteilten Naturräumen (unterschiedlich intensiv genutzt von Menschen und Artenvielfalt) mit Korridoren verbunden wird. Die Erholung der Biodiversität in den übernutzten Gebieten beginne durch Migration von Arten aus den intakten Gebieten. So könnten große Schutzgebiete mit geteilten und übernutzten Gebieten zur Renaturierung und neuen "nachhaltigen" Nutzung verbunden werden, das Gesamtsystem gesunden und resilienter werden.

 

Mehr Erneuerbare durch Verzicht auf Fleisch

Mit dem Mosaikkonzept ließen sich Konflikte um Räume und Umnutzungen vermeiden oder zumindest minimieren – aber man musse dafür bereit sein und sollte eine neue Flurbereinigung für nachhaltige Nutzung nicht ausschließen, erklärt Pörtner.

"Wenn die Notwendigkeit greift, Fleisch- und Milchkonsum im Interesse des Klima- und Gesundheitsschutzes zurückzufahren, dann werden auch Landschaftsräume für die Renaturierung und nachhaltige Nutzung frei." Immerhin würden international 80 Prozent der Kulturflächen für den Anbau von Tierfutter verwendet, "eine sehr ineffiziente Art der Nahrungsproduktion für den Menschen", so Pörtner.

Auch Feuchtgebiete könnten dann renaturiert werden, um das knapper werdende Wasser in der Landschaft zu halten. Bauvorhaben und ihr Flächenverbrauch müssten sich vorrangig auf Altbestand und Baulücken konzentrieren.

Biodiversitätsschuztz sei jedenfalls nicht auf Schutzgebiete oder bedrängte Arten beschränkt, sondern könne überall erfolen, auch in Städten, in den so genannten Blau- und Grünräumen, auch wenn es hier keine vollwertigen Ökosysteme geben werde. Tatsächlich seien Städte aktuell ja schon Rückzugsräume für Biodiversität. "Auch die Biodiversität in unseren Böden gilt es, nachhaltig zu schützen, das ist Teil unserer Lebensgrundlage", sagt Pörtner. "Der Mosaikansatz hift auch hier."

Den Neubau von umstrittenen LNG-Terminals für Flüssiggasanlieferungen per Schiff wie vor Rügen hält Pörtner jedenfalls nicht für eine Unterstützung der Biodiversitätssicherung. "Existierende Naturräume sollten nicht mehr als Raumreserven für wirtschaftliche Entwicklung gesehen werden", empfiehlt er. "Wir sollten uns auf die Umnutzung alter Industrieräume konzentrieren."

 

Mehr zum Nutzen der Diversität, nicht nur der biologischen, im factory-Magazin Vielfalt, mehr zum Ressourcenschutz als Konzept für Klima-, Artenschutz und Gerechtigkeit im factory-Magazin Ressourcen, mehr zur Nutzung von Industriestandorten im factory-Magazin Industrie – und verbunden mit den entsprechenden Nachrichten in den jeweiligen Themenbereichen.

Zurück