So genannte Klimaklagen sind Gerichtsverfahren, die Betroffene des Klimawandels gegen Staaten oder Unternehmen führen können, um sie zum Handeln oder zu Schadensersatz zu verurteilen. Weltweit erregen sie große Aufmerksamkeit, weil sie tatsächlich zu Umsetzungen führen können. So verbesserte Deutschland nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021 sein Klimaschutzgesetz mit höheren Zielen.
Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strasbourg zum ersten Mal auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Klimaklage positiv für die Klägerinnen entschieden – und die Schweiz quasi zu mehr Klimaschutz verurteilt.
Es sei ein Urteil mit Signalwirkung, wegweisend, bahnbrechend, ein Sieg für uns alle, heißt es in vielen Medien." Es könnte auch die deutsche Regierung in die Pflicht nehmen, weil es sein CO2-Emissisionsrestbudget für das 1,5-Grad-Ziel bereits überschreitet.
Europäisches Menschenrecht bedeutet wirksamen Klimaschutz
In Strasbourg geklagt hatten vier Frauen und dem Verein "KlimaSeniorinnen Schweiz", die vor den Schweizer Gerichten keinen Erfolg hatten. Heute gab der EGMR mit seiner Entscheidung den Klägerinnen recht, dass ihre Regierung nicht genug gegen den Klimawandel tue.
"Der Gerichtshof stellte fest, dass die Konvention ein Recht auf wirksamen Schutz vor den schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität durch die staatlichen Behörden umfasst", so die Mitteilung des EGMR.
Die Beschwerde der Frauen erkannte der EGMR nicht an, die des Vereins sei aber berechtigt, "weil eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß der Konvention und eine Verletzung des Rechts auf Zugang zum Gericht vorlag."
Die 17 Richter*innen hatten festgestellt, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft ihren Pflichten ("positive Verpflichtungen") aus der Konvention in Bezug auf den Klimawandel nicht nachgekommen sei.
Abgewiesen hat das Gericht die Klage des ehemaligen Bürgermeisters Damien Carême der Stadt Grande-Synthe an der nordfranzösischen Kanalküste, der gegen sein Land geklagt hatte, keine ausreichenden Maßnahmen zur Verhinderung der globalen Erwärmung ergriffen zu haben. Den Opferstatus nach Artikel 34 erfülle er jedoch nicht, so das Gericht.
Auch in der Rechtssache Duarte Agostinho und andere gegen Portugal und 32 andere Länder ging es um die gegenwärtigen und künftigen schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels. Das Gericht erklärte jedoch die Klage als nicht zulässig, da die Kläger*innen zunächst den Rechtsweg in Portugal hätten suchen müssen.
Verhandelt hatten die Klimaschutzklagen die Große Kammer des EGMR, was Zeichen für die Bedeutung der Entscheidung ist.
Schweiz muss Klimaschutz verbessern
Die KlimaSeniorinnen feierten ihren Sieg in Strasbourg. Dem von Greenpeace initiierten Verein gehören mehr als 2000 Frauen im Alter von durchschnittlich 73 Jahren an. Geklagt hatte sie wegen Versäumnissen der Schweizer Behörden beim Klimaschutz, die ihren Gesundheitszustand ernsthaft beeinträchtigen würden. Diese würde sie in Gefahr bringen, bei Hitzewellen zu sterben.
Das Urteil gegen die Schweiz kann diese nicht anfechten und dürfte sie dazu zwingen, ihre Klimaschutzziele für 2030 zu verbessern, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius im Sinne des Pariser Abkommens zu begrenzen.
Die beschworene Signalwirkung hat das Urteil gegen die Schweiz allerdings: Das EGMR gehört zum Europarat, in dem neben den EU-Staaten auch Länder wie die Türkei oder Großbritannien vertreten sind.
"Das Urteil könnte nun also ein Präzedenzfall für weitere Klimaklagen nicht nur vor dem EGMR, sondern vor unzähligen nationalen Gerichten werden,"
so die tagesschau.
Beobachter*innen von Ländern und NGOs hatten die Entscheidung mit Spannung erwartet. Zwar hatte der EGMR schon in Fällen der Umweltemissionen entschieden, wie bei Lärm oder Luftverschmutzung, aber noch nie zu den CO2-Emissionen eines Landes.
Deutschland ebenfalls verpflichtet?
Die Entscheidung des EGMR könne auch für Deutschland Konsequenzen haben, teilt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit. Sie unterstützt neun Jugendliche und junge Erwachsene, die vor dem EGMR auf ähnliche Weise gegen die Bundesregierung und für ambitionierteren Klimaschutz klagen.
Der Gerichtshof hatte die Entscheidung in diesem Verfahren so lange ruhend gestellt, bis über das Verfahren der Schweizer Klimaseniorinnen entschieden ist.
Zwar beteuere die Bundesregierung, Deutschland auf einen 1,5-Grad-Pfad bringen zu wollen, so die DUH. Doch die jüngsten Untersuchungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen belegen, dass das 1,5-Grad-Budget für Deutschland bereits aufgebraucht ist.
"Das ist nicht akzeptabel und widerspricht den Menschenrechten", sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Die Bundesregierung dürfe das Klimaschutzgesetz nicht wie geplant entkernen, sondern müsse es erneut verbessern.
Eine Novellierung des Klimaschutzgesetzes steht derzeit aus. Die Bundesregierung will darin die Verpflichtung zu Einzelzielen der Sektoren aufheben, weil sie diese in den Bereichen Verkehr und Gebäude seit langem nicht erreicht. 2023 waren die CO2-Emissionen zwar auf ein Rekordtief gefallen, das lag aber vor allem an der zurückgegangen Industrieproduktion aufgrund hoher Energiepreise.
Gegen das derzeit gültige Klimaschutzgesetz verstößt die Bundesregierung, das hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg nach einer Klage des BUND und einer weiteren der DUH entschieden und die Bundesregierung zum Erlass von Klimaschutz-Sofortprogrammen für die Sektoren Gebäude und Verkehr verurteilt.