Klar ist, dass es ohne eine konsequente Kreislaufwirtschaft bzw. eine Circular Economy nicht gelingen wird, Ressourcen, Klima und Artenvielfalt so zu schützen, dass die Erderwärmung und damit die Zerstörung der Lebensgrundlagen in noch beherrschbaren Grenzen bleibt. Eine Energiewende von der fossilen zur erneuerbaren Energieproduktion reicht allein dazu nicht aus. Sie muss zwingend mit einer zirkulären, ressourcenleichten Wirtschaftsweise einhergehen. Warum das so ist, zeigt z. B. das factory-Magazin Ressourcen.
Diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch, auch in Politik, Wirtschaft und Teilen der Gesellschaft. Fakt ist aber auch, dass bisher zu wenig geschieht, um den Ressourcenverbrauch in einer konsumorientierten Wirtschaftsordnung deutlich zu begrenzen – die Recyclingquote ist zu gering, Rohstoffkonsum und Naturzerstörung sind zu hoch.
Und wenn schon der noch lange nicht abgeschlossene Umbau des Energiesystems mit hohem Aufwand und Widerständen verbunden ist, vom Verkehrssystem ganz zu schweigen, stehen mit der Circular Economy (CE) noch größere Aufgaben für Wirtschaft und Gesellschaft an.
Circular Economy ist keine Abfallwirtschaft
Die gute Nachricht ist, dass sich diese bewältigen lassen – wenn entsprechende Instrumente dazu eingesetzt werden. Sicher, diese sind schon länger diskutiert, aber mit der Einsicht, dass die CE unabdingbar für den Weg zu Klimaneutralität und Versorgungssicherheit ist, bestehen vielleicht zügigere Realisierungschancen. Diese zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft darf man jedoch nicht verwechseln mit einem System, dass lediglich Abfallmanagement per Kreislaufwirtschaftsgesetz betreibt. Sie muss das Ziel haben, den Ressourcenverbrauch insgesamt zu verringern.
Zur Circular Economy gibt es zahlreiche Studien und Initiativen. Die Ellen MacArthur Foundation arbeitet wegweisend dazu, die EU hat im Rahmen ihres Green Deals einen CE-Aktionsplan, die Bundesregierung arbeitet an einer nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie, die sie im Jahr 2024 vorgestellen will.
Auch die Zahl der wissenschaftlichen Projekte wächst und auch deren Erkenntnisse, wie aus dem CEWI-Projekt. Was bisher hierzulande fehlte, sind konkrete Zahlen zu den Wirkungen und Kosten bestimmter Maßnahmen.
Die Studie Modell Deutschland Circular Economy von WWF Deutschland, Öko-Institut, Fraunhofer ISI und FU Berlin kommt zur rechten Zeit. Sie liefert jedenfalls ein umfassendes Bild für zirkuläres Wirtschaften und zirkulären Konsum in Deutschland – eine Vorlage für die zielgerichtete politische Umsetzung.
Hoher Verbrauch heißt große Verantwortung
Die Studie bestätigt, dass die Transformation der deutschen Gesellschaft zu einer Circular Economy große positive Effekte auf den Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätsschutz hätte. Zudem würde die deutsche Wirtschaft erheblich an Versorgungssicherheit gewinnen und ihre Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen reduzieren.
Die Menschen in Deutschland verbrauchen mit rund 16,4 Tonnen pro Kopf rund 13 Prozent mehr Rohstoffe als der EU-Durchschnitt. Zudem ist die Rohstoffentnahme und -verarbeitung in Deutschland für 40 Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das konsumfreudige Land hat nicht nur deswegen besondere Verantwortung. Der Verbrauch pro Kopf müsste auf rund sieben Tonnen sinken.
Das Plädoyer der Studie dafür ist eindeutig: "Machen wir endlich Gebrauch von allen Strategien der Circular Economy und geben wir ihnen die nötige politische Unterstützung. Setzen wir uns dafür ein verbindliches Ziel, wie wir unseren Rohstoffkonsum senken wollen, und geben wir uns ein Ressourcenschonungsgesetz – eines nach dem Vorbild des nationalen Klima- schutzgesetzes", zeigen Heike Vesper und Rebecca Tauer vom WWF schon im Vorwort die notwendigen Konsequenzen auf.
Gewinn höher als Kosten
Dabei sprechen alle Argumente natürlich für eine Umsetzung. Denn der gesamtgesellschaftliche Nutzen einer Circular Economy in Deutschland (und darüber hinaus) wäre deutlich höher als die damit einhergehenden sozio-ökonomischen Kosten der Transformation, zeigt die Studie.
„Die zirkuläre Transformation könnte die Treibhausgasemissionen um bis zu 26 Prozent reduzieren und den Rohstoffkonsum um bis zu 27 Prozent bis zum Jahr 2045 senken”, bilanziert Siddharth Prakash, Projektleiter und Leiter Zirkuläres Wirtschaften & Globale Wertschöpfungsketten beim Öko-Institut.
Allein mit nur fünf Maßnahmenbündeln ließen sich über alle untersuchten Sektoren hinweg schon fast 84 Prozent der Treibhausgasreduktion erzielen: „Geringere Wohn- und Bürofläche, weniger Individualverkehr, eine stärker pflanzenbasierte Ernährung, ressourceneffizientere Rechenzentren und ein geringerer Konsum von Textilien sind Ansätze, die eine große Wirkung erzielen“, sagt Prakash. Diese Maßnahmen würden außerdem zu 30 Prozent weniger Landnutzung in den betrachteten Sektoren führen und so zum Schutz der Biodiversität beitragen.
CE erhöht Versorgungssicherheit
Auch die Versorgung mit kritischen Rohstoffen ließe sich durch die CE verbessern. Diese sind für eine erfolgreiche Energie- und Mobilitätswende notwendig, verursachen aber hohe Umweltschäden, sind häufig mit menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen verbunden und sind in Bezug auf Versorgungsrisiko und wirtschaftliche Bedeutung eben "kritisch.
„Im ‚Modell Deutschland‘ zeigt sich, dass der Rohstoffbedarf in Deutschland durch verringerten Verbrauch und vermehrtes Recycling bei vielen Rohstoffen entspannt werden kann“, bestätigt Antonia Loibl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.
Für Neodym, Kobalt und Kupfer beispielsweise ließe sich der angenommene Bedarf für das Jahr 2045 durch das ‚Modell Deutschland‘ zu mehr als 50 Prozent durch zirkuläre Maßnahmen decken. "Das Risiko für Versorgungsengpässe sinkt durch die Maßnahmen der Circular Economy", so Loibl.
Wandel will aktiviert werden
Ohne Regulierung werde es jedoch nicht gehen, der zirkuläre Markt benötige entsprechende Randbedigungen, so die Studienautor*innen. „Damit die Vision, Leitprinzipien und Ziele einer Circular Economy umgesetzt werden können, braucht es Verbindlichkeit. Dafür ist eine Governance-Struktur für ein Ressourcenschutzgesetz, analog zum Klimaschutzgesetz, zentral“, betont Klaus Jacob, Leiter der Forschungsgruppe Policy Assessment an der FU Berlin.
Die Instrumente zur Förderung von zirkulären Maßnahmen seien zwar in der Regel bekannt, müssten allerdings weiterentwickelt und viel ambitionierter gestaltet werden, damit die erwünschte ökologische Lenkungswirkung eintritt.
Beispielsweise sollte die Steuer- und Finanzpolitik bessere Anreize für zirkuläres Wirtschaften liefern, die öffentliche Beschaffung verbindlich Umweltaspekte einplanen und Hersteller sowie Inverkehrbringer von Produkten eine größere Verantwortung für ihre Produkte übernehmen, so die Analyse.
Die Autor*innen empfehlen, dass im Zieljahr 2045 nur noch ein Pro-Kopf-Rohstoffkonsum von 7 Tonnen pro Jahr vorliegt, zudem sollte der absolute Rohstoffkonsum auf rund 500 Millionen Tonnen gesenkt werden. Außerdem müsste die zirkuläre Materialnutzungsrate (Circular Material Use Rate) in Deutschland auf 25 Prozent bis 2030 erhöht werden.
„Deutschland muss mit der Circular Economy dringend aufholen und damit das schlummernde Potenzial für Klima- und Biodiversitätsschutz nutzen. Dafür sollte die Bundesregierung eine ambitionierte und konkrete nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie bis nächstes Jahr verabschieden“, fordert Rebecca Tauer vom WWF Deutschland. „Die Circular Economy stärkt langfristig den Wirtschaftsstandort Deutschland und ist der tragende Baustein für das Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen.“
Sozialer Ausgleich ist Pflicht
Ein Manko der Studie: Die Auswirkungen der CE-Instrumente auf die weniger vermögenden Haushalte bleiben eher unbeleuchtet. Deutlich werden die gesamtwirtschaftlichen und ökologischen Vorteile für alle – der Gewinn ist höher als die Kosten. Dennoch: Angesichts der herrschenden Vermögensungleichheit müssen Vorschläge zu notwendiger politischer Regulierung auch die soziale Gerechtigkeit im Blick haben.
Schließlich sind Ressourcen- und soziale Frage unmittelbar gekoppelt. Werden Fragen des Ausgleichs nicht oder zu spät geklärt, nutzen das die politischen und wirtschaftlichen Gegner*innen eines derartigen Wandels das gern für ihre Lobbyarbeit – und verzögern entsprechend notwendige Maßnahmen oder schwächen ihre Wirkung.
"Ausschlaggebend für die Akzeptanz und den Erfolg staatlicher Umweltpolitik ist auch der Aspekt sozialer Gerechtigkeit", heißt es richtigerweise auch im "Modell Deutschland", und: "Sozialpolitische Flankierung muss einkommensschwächere Gruppen schützen und Verteilungseffekte adressieren."
Die Autor*innen fordern dazu einen breiten sozialpolitischen Instrumentenkasten und einen offenen gesellschaftlichen Dialog. Schließlich sind schon jetzt ärmere Haushalte diejenigen, die Lebensmittel "retten", Haushaltsgeräte und Möbel reparieren oder gebraucht kaufen, dazu den "Reparaturbonus" und eher ÖPNV sowie Räder und ältere Pkw nutzen.
Ihr Einsatz für die CE müsste deswegen eigentlich belohnt werden: durch die Umverteilung von abzubauenden umweltschädlichen Subventionen und möglichen Ressourcensteuern, die Unternehmen bei überhöhtem Naturverbrauch zu leisten hätten – und ohnehin auf ihre Produktpreise aufschlagen würden.
Die beißende Frage nach gerechtigkeits- und ressourcenkompatiblen Konsumkorridoren, die eine solche Honorierung wären und eine Leitlinie für alle wären, stellt die Studie nicht. Um diese Frage kommen Industriegesellschaften jedoch nicht herum, wenn sie gerecht gestaltet sein wollen.
Mehr zu Ressourcenschutz und sozialer Frage im factory-Magazin Ressourcen, mehr zur CE natürlich im factory-Magazin Circular Economy. Zu Grundeinkommen und Absatzförderung hat factory etwas im Themenbereich Freiheit, zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs durch Gleichheit hat das factory-Magazin Rebound nicht nur einen schönen Beitrag.