Glück-Wunsch
Zum Glück gibt es das Postwachstum
Wenn Menschen und Gesellschaften Glück und Zufriedenheit jenseits von materiellem Konsum und wirtschaftlicher Wachstumsorientierung erlangen wollen, benötigen sie dazu positive Bedingungen auf individueller, wirtschaftlicher und politischer Seite.
Von Marcel Hunecke
Ein stetig steigendes Wachstum des materiellen Wohlstandes und des damit einhergehenden Energie- und Ressourcenverbrauchs ist mit dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung dauerhaft nicht vereinbar. Deshalb ist ein Nachdenken über Postwachstumsgesellschaften unumgänglich, die dem einzelnen Bürger ein glückliches Leben ermöglichen können, ohne hierbei auf eine Steigerung des materiellen Wohlstandes angewiesen zu sein. Fällt in einer Postwachstumsgesellschaft das Streben nach materiellem Wohlstand nicht nur als gesellschaftliches, sondern auch als individuelles Lebensziel weg, müssen an dessen Stelle alternative Lebensziele kultiviert werden, um das subjektive Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit in größeren Bevölkerungskreisen zu sichern.
Hierbei handelt es sich keinesfalls um ein aussichtsloses Vorhaben. Schon heute ist zu beobachten, dass sich in Ländern mit einem hohen Lebensstandard die Lebenszufriedenheit durch Steigerungen im materiellen Wohlstand kaum noch erhöhen lässt. Doch was sichert die individuelle Lebenszufriedenheit in Postwachstumsgesellschaften, wenn dort die Steigerung des materiellen Wohlstands kein erstrebenswertes Ziel mehr darstellt?
Das strategisch gute Leben denken
Ein Blick in die Positive Psychologie (die weniger an der Beseitigung von psychischen Störungen oder von normabweichenden Verhalten interessiert ist, als an der Förderung der positiven Entwicklungspotenziale im Menschen) bietet hierzu interessante Einsichten. So wird die Frage nach dem guten bzw. gelingenden Leben zwar nicht zum ersten Mal von der Positiven Psychologie gestellt, sondern wurde bereits seit Jahrtausenden in vielfältigen Philosophien und Weisheitslehren reflektiert.
Das Spezifische am Ansatz der Positiven Psychologie besteht jedoch in dem Versuch, die möglichen Antworten auf diese Frage nach dem guten Leben empirisch zu fundieren. Zwar kann man an dieser Stelle weder eine quantifizierbare, noch inhaltlich exklusive Antwort von der Positiven Psychologie erwarten, da die Frage nach dem guten Leben untrennbar mit Wertvorstellungen verknüpft ist und sich dadurch empirisch nicht eindeutig klären lässt. Trotzdem kann das Nachdenken über das gute Leben durch empirisch abgesicherte Erkenntnisse über die positiven Eigenschaften und Potenziale des Menschen sowohl inhaltlich fokussiert als auch angereichert werden.
Insgesamt lassen sich drei Strategien der guten Lebensführung identifizieren, die nicht nur in der philosophischen Reflexion diskutiert, sondern deren Alltagstauglichkeit auch von der Positiven Psychologie empirisch bestätigt wird: Das vergnügliche Leben (Genuss), das engagierte Leben (Ziele) und das sinnbestimmte Leben (Sinn). Genuss, Zielerreichung und Sinn sind drei Quellen, die Menschen zu einem glücklichen Leben motivieren können.
Ob der Einzelne diese Quellen für sich nutzen kann, hängt dabei jedoch von seiner individuellen Persönlichkeit ab. So können einige Menschen weitgehend sinnbestimmt glücklich werden, z. B. wenn sie ihr Leben erfolgreich nach religiösen oder spirituellen Idealen verwirklichen. Auch ein genussorientierter Hedonist kann glücklich leben, wenn er das richtige Maß in dem Ausleben seiner Genusserfahrungen für sich entdeckt und diese auslebt. Glücklich ist auch, wer seine selbst gesteckten Lebensziele erreichen kann, und sich diesen durch wohldosierte Teilziele annähert.
Die drei Strategien der guten Lebensführung widersprechen sich dabei allenfalls in der philosophischen Reflexion, wenn sie auf ihre Extrempositionen hin verdichtet werden. Gerade dem Hedonisten wird dann häufig die notwendige Eignung für ein wahrhaft gutes Leben abgesprochen. Aber in der Empirie der Alltagspraxis finden sich derartige Widersprüche kaum. Vielmehr besteht aus psychologischer Perspektive die Kunst darin, die drei Strategien der guten Lebensführung entsprechend der Passung mit der eigenen Persönlichkeit klug miteinander zu kombinieren.
Die psychischen Ressourcen wachsen lassen
Diese Konsequenz aus der sogenannten Genuss-Ziel-Sinn-Theorie des subjektiven Wohlbefindens sollten auch alle Bemühungen berücksichtigen, die sich bei den anstehenden Transformationen in Postwachstumsgesellschaften weder auf moralische Appelle noch auf letztlich unbezahlbare materielle Anreize verlassen wollen. Stattdessen müssen Menschen positive Emotionen ermöglicht werden, wenn sie sich aus einer gewohnten und nicht allzu unangenehmen Gegenwart in eine andere, noch nicht am eigenen Leib erfahrene Postwachstumskultur bewegen sollen.
Aus der Genuss-Ziel-Sinn-Theorie lassen sich nun sechs psychische Ressourcen ableiten, die sowohl mit positiven Emotionen, als auch mit einer Orientierung an immateriellen Zufriedenheitsquellen verbunden sind: Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Sinngebung und Solidarität (vgl. Tabelle). Die sechs psychischen Ressourcen lassen sich durch gezielte Maßnahmen in der Gesundheitsförderung und in Beratungs- und Coachingprozessen stärken. Ebenso können diese in unterschiedlichen organisatorischen oder institutionellen Settings wie in Schulen, Hochschulen, Unternehmen, Non-Profit-Organisationen oder auf der Ebene des Gemeinwesens gefördert werden.
Die entscheidende Funktion der psychologischen Ressourcen in Zielrichtung von Postwachstumsgesellschaften besteht in der Förderung der individuellen Widerstandskräfte gegenüber den kompensatorischen Formen des Konsums, für die unsichere Personen mit geschwächten Selbstwertgefühl und einer geringeren sozialen Einbettung anfälliger sind (siehe auch factory Wert-Schätzung).
Durch eine Förderung der sechs psychischen Ressourcen wird die individuelle Persönlichkeit gegenüber sozialen Vergleichsprozessen gestärkt, in denen die eigene Person gegenüber besseren, schöneren und reicheren Personen abgewertet wird. Diese Widerstandskraft gegenüber grenzenlosen sozialen Leistungsvergleichen verringert den individuellen Leistungs- und Effizienzstress und steigert damit gleichzeitig die Lebenszufriedenheit. Die sechs psychischen Ressourcen lassen sich jedoch nicht isoliert auf der individuellen Ebene fördern, wenn die gesamten organisatorischen und institutionellen Umwelten hierzu gegensätzlich strukturiert sind. Hier stößt die Psychologie unweigerlich an ihre Grenzen.
Anderseits erfordert ein kultureller Wandel in Richtung Postwachstum eine Vielzahl von Einzelpersonen, die diesen Wandel auf einer individuellen Ebene verkörpern und pionierhaft vorantreiben. Diese Personen werden die hierfür notwendige Motivation nur aufbringen, wenn ihr subjektives Wohlbefinden und ihre Lebenszufriedenheit dauerhaft auf einem hohen Niveau gesichert oder sogar gesteigert werden kann. Die Förderung der Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Sinngebung und Solidarität wird dies zweifelsohne unterstützen.
Prof. Dr. Marcel Hunecke ist Psychologe und unterrichtet und forscht an der Fachhochschule Dortmund und an der Ruhr-Universität Bochum. Sein Buch Psychologie der Nachhaltigkeit – Psychische Ressourcen der Postwachstumsgesellschaft ist im Oekom Verlag erschienen.
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