Divestment

Die Angst vorm Sägen am eigenen Ast

Eine Stadt legt anders an: Münster investiert als erste Stadt Deutschlands nicht mehr in die fossile Energiegewinnung. Die Divestment-Bewegung nimmt in der Bundesrepublik an Fahrt auf. Doch ein Niedergang der fossilen Wirtschaft bedeutet auch, dass den Kommunen Geld fehlt, in denen sie angesiedelt ist – besonders in der Lausitz ist das jetzt schon spürbar. Ein Todesurteil muss das jedoch nicht bedeuten, wenn Bund und Länder die Städte und Dörfer nicht allein lassen.

Von Susanne Schwarz

 

Die letzten faulen Eier warf Münster ein paar Tage nach Ostern weg. Seit dem 1. April 2016 gelten die neuen Anlagerichtlinien der Stadt, nach denen öffentliches Geld nur noch nachhaltig angelegt werden darf. Münster ist damit die erste Stadt in Deutschland, die "Divestment" betreibt, also ihr Geld aus der klimaschädlichen Industrie abzieht. Der Stadtrat hatte im November 2015 beschlossen, künftig alle Unternehmen als potenzielle Investment-Ziele auszuschließen, die „Atomenergie erzeugen oder auf nicht nachhaltige und klimaschädliche Energien setzen". Auch in Fracking-Bohrungen, Militärwaffen und Kinderarbeit darf Münster kein Geld mehr stecken.

Nach Angaben der Stadtkasse Münster sind Anlagen von insgesamt rund 18 Millionen Euro betroffen, die derzeit auf zwei verschiedene Fonds verteilt sind. Welche Unternehmen diese Fonds bisher wie stark finanziert haben, will Stadtkämmerer Frank Möller auf Nachfrage nicht sagen. Andere sprechen etwa von RWE sowie den österreichischen und italienischen Energiekonzernen OMV und Enel.

Nun müssen externe Fondsverwalter ermitteln, welche Unternehmen den neuen Vorgaben entsprechen. Dabei streichen sie die Firmen von der Liste, die unter die Ausschlusskriterien fallen – also zum Beispiel Atomkonzerne oder Energieunternehmen der Kohlebranche. Danach sollen sie den sogenannten Best-in-Class-Ansatz nutzen: Unter den verbliebenen Unternehmen wird eine Rangfolge aufgestellt. Wer ein besonders nachhaltiges oder soziales Unternehmenskonzept hat, rutscht höher.

 

Divestment könnte Struktur-wandel gestalten

„Weltweit haben sich schon über 500 Institutionen von ihren klimaschädlichen Investitionen getrennt, darunter 58 Städte wie Oslo, Seattle und Münster“, sagt Tine Langkamp von der Klimaschutzorganisation 350.org, die die Divestment-Bewegung in den USA und international groß gemacht hat. Die Gruppe führt akribisch Buch darüber, wo Divestment-Beschlüsse fallen. Bisher sind keine weiteren Städte in Deutschland nachgezogen – andere Institutionen wie das Presseversorgungswerk und der Versicherungskonzern Allianz hingegen sehr wohl –,  mancherorts finden aber durchaus Gespräche darüber statt.

„Wenn sich eine Kommune dazu entscheidet, ihr Geld aus fossilen Anlagen in nachhaltige Projekte zu stecken, dann hat das auf die Strategien der betreffenden Unternehmen sicher Auswirkungen“, meint Daniel Vallentin vom Wuppertal Institut. Er ist Experte für den Strukturwandel in der Lausitz. Die Region zieht sich vom Süden Brandenburgs in den Osten Sachsens und ist Standort des zweitgrößten deutschen Kohlereviers.

Der schwedische Staatskonzern Vattenfall betreibt hier mehrere Braunkohletagebaue und -kraftwerke. Im Prinzip könnten die Städte durch Divestment und neue nachhaltige Investitionen vielleicht sogar steuern, wie es irgendwann nach der Kohle weitergeht. „Dass viele Lausitzer Kommunen den Strukturwandel aktiv auf diese Weise vorantreiben werden, bezweifle ich aber“, sagt Vallentin. „Natürlich haben sie – und verständlicherweise – ein Interesse an der Braunkohle, selbst wenn sie an anderer Stelle schon am Strukturwandel arbeiten.“

Die Braunkohle ist ein Hauptwirtschaftsfaktor der Lausitz. Zu DDR-Zeiten galt die Förderung als Staatsziel, noch heute arbeiten viele Bewohner in der Branche. Und: Auch die Kommunen finanzieren sich durch die ansässigen Unternehmen, die schließlich Gewerbesteuern zahlen. Doch das Geschäft läuft schlecht, auch ganz ohne umfassendes Divestment. Noch bevor sich das im deutschen Strommix widerspiegelt, spüren es die Kommunen als erste.

Die Braunkohlegelder für Kommunen sinken

Für das vergangene Geschäftsjahr musste Vattenfall Zahlen melden, die noch tiefer im Rot lagen als schon in den Jahren davor. Nicht weniger als 2,1 Milliarden Euro hat der Konzern 2015 Miese gemacht. Er musste 3,9 Milliarden Euro abschreiben, außerdem machen ihm die niedrigen Börsenstrompreise zu schaffen. Die deutsche Braunkohlesparte gehört zu den größten Sorgenkindern von Vattenfall, sie soll verkauft werden. Bei den anderen großen Energiekonzernen sieht es ebenfalls schlecht aus – auch RWE, Eon und EnBW glänzen seit Jahren nicht mehr mit guten Ergebnissen. Durch die desaströsen Zahlen sinken auch die Steuereinnahmen der Kommunen, denn die bemessen sich am Ertrag der Unternehmen.

Für das Jahr 2014 müssen die Lausitzer Kommunen sogar Geld zurückzahlen, für die Folgejahre wahrscheinlich auch. So teilte Vattenfall bereits mit, die Verluste würden „für die betreffenden Länder und Kommunen voraussichtlich zu einer Halbierung der Steuerzahlungen in 2015 und zu Steuererstattungen für die Jahre 2014 und 2016“ führen.

Um welche Summen es genau geht, unterliegt dem Steuergeheimnis. „Der Betrag, den wir zurückzahlen müssen, ist schon immens", räumt Björn Konetzke ein, Kämmerer der Stadt Guben in der brandenburgischen Niederlausitz. Es treffe fast alle Kommunen im Landkreis Spree-Neiße. „Wir sind dabei vielleicht noch vergleichsweise gut weggekommen, Spremberg etwa muss weit mehr zurückzahlen.“ Dort befinden sich gleich zwei Vattenfall-Großanlagen, nämlich das Kraftwerk Schwarze Pumpe und der Tagebau Welzow-Süd. Medien­berichten zufolge handelt es sich pro Gemeindekasse um Millionenbeträge.

„Natürlich leidet die Stadtkasse, wenn die Gewerbesteuern aus der Braunkohle wegfallen“, sagt  Konetzke. Ob zunehmendes Divestment oder gar ein politisch eingeführter Kohleausstieg Guben nun zugrunde richten würde, stehe aber nicht fest. „Wie stark die Belastung wäre, ist auf lange Sicht noch nicht abzusehen." Außerdem, berichtet Konetzke, gebe es durchaus Mechanismen, die bei derartigen Verlusten helfen könnten. Zum Beispiel die sogenannten Schlüsselzuweisungen, mit denen Länder die Gemeinden unterstützen. "Die geringeren Einkünfte könnten zu höheren Schlüsselzuweisungen führen", sagt der Kämmerer. "Ganz ausgleichen wird das die geringeren Steuereinnahmen nicht, aber es federt sie ab."

 

Divestment ergänzt den politischen Druck

Unter Klimaexperten erscheint es unstrittig, dass die Kohle und speziell die besonders klimaschädliche Braunkohle über kurz oder lang passé sein muss. Der klimapolitische Rahmen sei auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene schon da, meint Daniel Vallentin vom Wuppertal Institut. Natürlich: Klimaziele gebe es im Prinzip; durch das Weltklimaabkommen, das im Dezember 2015 in Paris verabschiedet wurde, habe die Debatte auch neuen Schwung bekommen. Divestment kommt aus dieser Warte als wirtschaftlicher Druck noch hinzu.

Für Vallentin ist klar: Für die Lausitz bedeutet das, dass die Region sich umstellen muss – auch wenn die rot-rote Landesregierung in Brandenburg erst 2014 die Erweiterung des Tagebaus Welzow Süd genehmigt hatte. Die Lausitz stehe aber ohne die Kohle auch nicht komplett mit leeren Händen da. „Die Kohlebranche macht etwa die Hälfte der industriellen Beschäftigung in der Lausitz aus – das ist ein deutlicher Anteil, aber eben auch nicht alles“, so Vallentin. „Es gibt dort Chemieindustrie, verarbeitendes Metallgewerbe und die Ernährungsindustrie." Jetzt brauche es einen Zeitplan und eine konsistente Politik für das Revier, damit Menschen und Unternehmen sich vorbereiten können und „nicht später im Krisenmodus gehandelt werden muss.“ Das ist auch Ergebnis einer Studie zum Strukturwandel der Lausitz, die er kürzlich mit Kollegen des Wuppertal Instituts im Auftrag der brandenburgischen Grünen geschrieben hat.

„Die Lausitz braucht einen strukturierten und systematischen Prozess, bei dem möglichst alle Akteure und politischen Ebenen einbezogen werden“, erklärt Vallentin. Wo die neuen Perspektiven liegen könnten, müssten die Menschen und Kommunen vor Ort selbst entscheiden. „Wir haben es absichtlich vermieden, eine bestimmte Zukunft für die Lausitz zu empfehlen: Diese Entwicklung sollte von den Menschen kommen, die dort leben“, meint Vallentin.

Die neue Studie soll ihnen aber das nötige Handwerkszeug liefern, um das zu schaffen. Vor allem sollen die deutschen Kohleregionen voneinander lernen, denn die Lausitz ist mit ihrem Problem nicht allein. „Ein Konzept aus dem Rheinischen Kohlerevier erscheint überzeugend“, sagt Vallentin. „Dort wurde die Region in acht Teilregionen unterteilt, deren Stärken einzeln untersucht und vorangebracht werden sollen. Es wird sich nicht alles überall ändern.“

 

Statt Braunkohle: Lebensqualität

Auch das Rheinland ist stark von der Kohlewirtschaft geprägt – das Revier zwischen Köln, Aachen und Düsseldorf ist das größte Europas. Hier ist es der Energiekonzern RWE, der Tagebaue und Kraftwerke betreibt. Geht es dem Unternehmen schlecht, müssen die Kommunen vor Ort nicht nur auf die Gewerbesteuer verzichten. Viele von ihnen sind Anteilseigner, die jetzt für die horrenden Verluste des Energieriesen einstehen müssen. Früher finanzierte die RWE-Dividende öffentliche Bibliotheken und Schwimmbäder, für dieses Jahr schüttet der Konzern allerdings für die Stammaktien gar keine mehr aus. Kommunen könnten durch Divestment ihren eigenen Ausweg finden: Sie können ihr Geld schließlich in andere Branchen umleiten, die zukunftsfähig erscheinen.

Das alles ist jedoch noch Zukunftsmusik, steht es doch in vielen Stadträten noch nicht einmal zur Debatte. Und: Selbst wenn es gelingt, hinterlässt der Kohleabbau Spuren. Hunderte Kilometer kann man an den trockenen Kratern der Tagebaue entlanglaufen. Andernorts mögen sich Bürger über den Anblick des Windrads in Dorfnähe ärgern, für viele Lausitzer und Rheinländer aber ist eine tote Mondlandschaft um sie herum Alltag. Lange arrangierten sie sich damit – aber wenn die zerstörte Natur nicht einmal mit Arbeitsplätzen und Geld für die eigenen Städte und Dörfer aufgewogen wird?

Die Gemeinden um den rheinischen Tagebau Inden haben bereits selbst nach Lösungen dafür gesucht. Im Januar einigten sich Inden, Aldenhoven, Jülich, Eschweiler, Linnich, Langerwehe und Niederzier sowie der Kreis Düren auf den Masterplan Indeland 2030. Nach Ablauf des kommenden Jahrzehnts wollen sie den Indeschen See schaffen – die Grube soll also mit Wasser gefüllt werden. Man verspricht sich Lebensqualität für die Anwohner und einen Anreiz für den Tourismus.

Bund und Länder müssen helfen

In der Lausitz gibt es ein ähnliches Projekt bereits. „Restloch 117“ ist seit 1976 ein Badesee, genannt Grünewalder Lauch, nach der Jahrtausendwende wurden weitere ehemalige Gruben geflutet. Bis 2030 soll das Lausitzer Seenland weiter wachsen. Für die Experten vom Wuppertal Institut sind genau solche Pläne ein wichtiger Teil des Strukturwandels. „Die Lausitz braucht mehr Lebensqualität, mehr Kulturangebot, mehr Bildungsmöglichkeiten vor Ort. Dann kommen und bleiben auch die hochqualifizierten Menschen, die neue Unternehmen gründen“, sagt Vallentin. Auch für das Rheinland sei das wichtig, für die ländliche Region im Osten aber lebensnotwendig.

Die Landschaft wieder auf Vordermann zu bringen, Bildung und Kultur zu fördern, kostet allerdings wieder Geld, das den Kommunen fehlt. Der Thinktank Agora Energiewende schlägt deshalb einen Strukturwandelfonds Braunkohleregionen vor. Füllen soll ihn der Bund, und zwar mit jährlichen 250 Millionen Euro. Je nachdem, wo wie viele Arbeitsplätze an der Braunkohle hängen, würde Geld an die Länder verteilt werden, die es weitergeben an Institutionen, Kommunen, Projekte. So könnten diese Divestment und Kohleausstieg – manche würden sagen: den schlicht nötigen Schutz vor der Klimakatastrophe – schultern.

Derweil will die deutsche Divestment-Bewegung weiter daraufhin arbeiten, dass man mit der fossilen Energiegewinnung wirklich kein Geld mehr machen kann – solange der Kohleausstieg von politischer Seite auf sich warten lässt. [Update d. Red.:] Wegweisend ist das Signal aus der Hauptstadt: Ende Juni 2016 hat das Abgeordnetenhaus Berlins Ausstieg aus den fossilen Investitionen beschlossen – nach zwei Jahren Arbeit der Gruppe Fossil Free Berlin. Etwa 750 Millionen Euro sind für Beamtenpensionen investiert, ein großer Teil in Aktien von RWE, Eon und Total. Bis Anfang 2017 soll ein Finanzdienstleister ähnliche Anlagekriterien wie in Münster vorlegen. Damit ist Berlin das erste Bundesland, das de-investiert. Das passt zum Programm, schließlich will die Stadt bis 2050 klimaneutral sein.

 

Susanne Schwarz studierte Sozialwissenschaften und Philosophie in Berlin, wo sie als Journalistin arbeitet, unter anderem für klimaretter.info, der Freitag, neues deutschland und Frankfurter Rundschau.

Zum Braunkohletagebau in der Lausitz empfehlen wir auch die Fotoreportage "Schwarzes Gold" im factory-Magazin Sisyphos, kostenlos im Download.

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