Digitalisierung
Mit Datenschutz und Suffizienz gegen Rebound
Was bringt die Digitalisierung für Energie- und Ressourcenschonung? Macht sie alles hyper-effizient und begrenzt Umwelt- und Klimabelastung auf das Notwendigste? Oder werden wir eine Form der smarten Naturausbeutung erleben, bei der IKT-gestützte Umwelttechnik zu einer minutiösen Überwachung und über den Umweg der Konsumsteigerung letztlich zu noch größerem Energie- und Ressourcenhunger führt?
Von Tilman Santarius
Chancen und Potenziale, um den Energie- und Ressourcenverbrauch in vielen Sektoren und Anwendungsfeldern zu senken, scheint die Digitalisierung mannigfaltig zu bieten: Materielle Produkte lassen sich durch virtuelle Dienste ersetzen, so wie Bücher durch die Verwendung von E-Book-Readern. Damit lässt sich der Konsum schon ein Stück weit dematerialisieren. Das Herunterladen von E-Books, das Skyping mit weit entfernt lebenden Menschen oder das Online-Shopping mindert das Verkehrsaufkommen. Bekommen hunderte Kunden ihren Einkauf mit einem Transporter gebündelt geliefert, ist das viel ressourcen- und energieeffizienter als wenn jede Person per PKW zum Einkaufen fährt. Doch die Effizienzhoffnungen gehen noch weiter: Ganze Sektoren der Industrie, die Logistik und auch die Landwirtschaft lassen sich digital optimieren. Laut einem Bericht der Global e-Sustainability Initiative, einem Zusammenschluss von internationalen IT-Unternehmen, bieten digitale Lösungen das Potenzial, die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2020 um 16,5 Prozent zu senken. Dies wäre ein deutlich größerer Erfolg als alle bisherigen Gesetze der Klimapolitik.
Doch in diesen und ähnlichen Szenarien werden allein die technischen Chancen für Effizienzsteigerungen berücksichtigt – nicht jedoch die gesellschaftlichen Auswirkungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Und noch weniger das Dilemma zwischen einem steigenden Maß der Information und Überwachung, das mit digitalen Effizienzsteigerungen einhergeht, und dem Ziel der Konsumsteigerung und des Wachstums, dem die Datensammlung heute in erster Linie dient. „Digital first, Bedenken second“, der Wahlkampfslogan der FDP trifft die gegenwärtige Einstellung genau. Doch welchen Leitbildern müsste eine digitale Gesellschaft folgen, wenn sie zugleich eine zukunftsfähige Gesellschaft sein möchte?
Technische Einsparpotenziale versus wirtschaftlicher Expansionsdrang
Zunächst zur Entwicklung digitaler Technologien. Hier sind zwei Phänomene bekannt, die manche gar als „Gesetzmäßigkeiten“ betrachten. Zum einen sind da die enormen Effizienzsteigerungen in der Rechnertechnologie und allem was dazu gehört, von der Batterie- bis zur Bildschirmtechnologie. So konnte beispielsweise der 1950er-Baujahr UNIVAC I-Computer, der mit 5.200 Elektronenröhren ausgestattete erste programmgesteuerte Digitalrechner aus den USA, ungefähr 0,015 „Operationen pro Watt-Sekunde“ (OPS) ausführen. Er verbrauchte dafür am Tag so viel Energie wie damals rund 200 Haushalte. Demgegenüber leistete etwa ein Fujitsu Vektorprozessor aus dem Jahr 2005 bereits satte 17 Milliarden OPS. Auch jüngere Vergleiche zwischen Mikroprozessoren zeigen nach wie vor erhebliche Energieeffizienzfortschritte. Jonathan Koomey, Consulting Professor an der Stanford University, hat über Jahrzehnte den Zusammenhang beobachtet und so seinen Namen verewigt: Das Koomey’sche Gesetz besagt, dass sich die Rechnerleistung pro Kilowattstunde etwa alle 1,5 Jahre verdoppelt hat. Und in Zukunft, da sind sich die Szenarien einig, werden die Geräte – sowohl Endgeräte als auch Datenzentren und Cloud-Technologien – noch energieeffizienter werden.
Das klingt erst einmal erfreulich. Doch zum anderen sehen wir laufend enorme Leistungssteigerungen bei der Rechner- und Speicherkapazität. Hier lässt sich ein korrespondierender Zusammenhang beobachten: Auch die Integrationsdichte pro Flächeneinheit verdoppelt sich etwa alle 1,5 Jahre. Dies kennen wir als das bekannte Moore’sche Gesetz, denn Gordon Moore hatte bereits in den 1960er Jahren eine Verdopplung der Komplexität integrierter Schaltkreise erkannt – und als langfristigen Trend vorausgesagt. Vom Commodore C64 aus den 1980er Jahren bis zum neuesten iPhone X hat sich die Leistung unserer digitalen Begleiter in sagenhafter Weise entwickelt. Und wird in Zukunft weiterhin drastisch zunehmen. Doch weil das so ist, werden die Einsparpotenziale durch die größere Leistungsfähigkeit der Rechner wieder aufgefressen. Auf eine Formel gebracht lautet das Ergebnis der beiden Gesetze: Koomey + Moore = ökologisches Nullsummenspiel.
Hinzu kommt, dass leistungsstärkere Prozessoren, größere (Arbeits-)Speicher, energiesparendere Bildschirme, hochleistungsfähigere Batterien usw. gänzlich neue Anwendungen möglich machen, die mit den ineffizienten Vorgänger-Technologien gar nicht denkbar gewesen wären. Es gäbe kein Smartphone mit dem Stand der Technik der 1980er Jahre – und wenn doch, müssten wir einen Bollerwagen mit Batterien hinter uns herziehen, um es zu betreiben. Ebenso gilt: Das Internet der Dinge würde sich in Zukunft nicht entfalten, wenn nicht die RFID-Chips und Sensoren pro Stück kaum noch Energie verbrauchen würden. In der Summe aber macht Kleinvieh aber bekanntermaßen sehr wohl Mist. Es erlaubt neue Applikationen, die den Energie- und Ressourcenverbrauch weiter in die Höhe schnellen lassen: Smart Cities, selbstfahrende Autos, vernetzte Fabriken oder intelligente Kleidung – all dies und noch weiteres, was in den nächsten Jahren an neuen, bisher noch nicht antizipierten Anwendungen hinzu kommen wird, kostet Material und Energie. Schon heute beträgt der Anteil von IKT am weltweiten Stromverbrauch rund 8 Prozent. Bis zum Jahr 2030 kann er auf 21 Prozent oder sogar 51 Prozent anwachsen – je nachdem, wie digital die zukünftige Gesellschaft geprägt sein wird. Auf eine Formel gebracht lautet dies: Koomey + Moore + immer neue Anwendungen, die deshalb möglich werden = Expansion des Energie- und Ressourcenverbrauchs.
Digitale Suffizienz statt smarte Effizienz
Beispielhaft für dieses Problem steht die Einführung von Smarthomes und automatisierten Energiemanagementsystemen. Mit ihrer Hilfe kann ordentlich Heizenergie eingespart werden, wenn sich die Systeme an die Nutzungsmuster der Bewohner*innen anpassen. Wenn Menschen von montags bis freitags im Büro arbeiten, dreht kaum jemand beim Verlassen des Hauses morgens die Heizkörper runter – schon allein deshalb nicht, weil sonst zunächst Frieren angesagt wäre, wenn man nach Hause kommt. Digital aber geht das ohne Komfortverlust. Mittels smarter Steuerung kann die Heizung automatisch an die Nutzungsmuster angepasst werden, beispielsweise tagsüber etwas kühler gehalten und erst gegen Abend auf Wohlfühltemperatur angehoben werden. Allerdings deckt eine Studie zur Ökobilanzierung dieser Systeme auf, dass sie recht stromintensiv im Betrieb sind und die Herstellung der Geräte und Steuerungseinheiten ebenfalls bereits Energie verbraucht hat. Daher fangen sie erst nach einer Nutzung von frühestens anderthalb Jahren an, tatsächlich Energie einzusparen.
Und die Ökobilanzierung bezieht nicht in die Betrachtung ein, was neben der Heizungsanlage mithilfe des Smarthome-Systems noch alles elektronisch gesteuert wird und ebenfalls Strom frisst – von der vernetzten Alarmanlage über die Steuerung der Lichtfarbe der Wohnzimmerlampen bis zum Vorheizen des Backofens aus der Ferne. Nur ein Bruchteil der Anwendungen vieler Smarthome-Systeme ist darauf ausgelegt, den Energieverbrauch zu verringern. Der weitaus größere Teil sind neue Spielereien, die vielleicht dem Komfort dienen, aber nicht dem Umweltschutz.
Damit jedoch die technischen Einsparpotenziale digitaler Geräte und Anwendungen nicht verpuffen, müsste man auf allen Ebenen – vom Design der Technologien über ihre politische Regulierung bis zu ihrer Nutzung – das Leitbild einer „Digitalen Suffizienz“ verfolgen. „So viel Digitalisierung wie möglich“, ist derzeit die Maxime. Nötig wäre stattdessen eher das Motto: „So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich.“ Denn wenn wir die planetaren Grenzen nicht sprengen wollen, sollte Digitalisierung nicht dazu führen, dass sie auch noch die letzten analogen Anwendungen durch smarte Geräte ersetzt. Vielmehr sollten digitale tools vorrangig so eingesetzt werden, dass sie tatsächlich zu einer absoluten Reduktion der Energie- und Ressourcenverbräuche führen.
Totale Überwachung in der Sensoren-Residenz
Schließlich gibt es noch eine andere Herausforderung durch smarte Geräte: den Datenschutz. Auf individueller Ebene wirft schon die Erfassung, Übertragung, Speicherung und Auswertung der Informationen, die wir beim Surfen im Internet hinterlassen, Fragen zum Schutz der Privatsphäre auf – erst recht aber wird das im smart vernetzten Wohnumfeld zum Problem. Anwendungen, die zur Steuerung von Haushaltsgeräten genutzt werden, liefern viele Daten an die Hersteller. Die auf den ersten Blick unkritischen Informationen ermöglichen sehr konkrete Rückschlüsse auf das Alltagsleben der Menschen. So hat eine Studie gezeigt, dass man allein anhand des Energieverbrauchs erkennen kann, wann welcher Fernsehsender in einem Haushalt geschaut wurde – wenn nicht die Smart-TVs diese Informationen selber liefern.
Doch viele Smarthome-Systeme übertragen noch weit differenziertere Informationen. In den letzten Jahren haben mehrere große IT-Konzerne sprachgesteuerte Geräte herausgebracht, wie etwa Alexa von Amazon und entsprechende Konkurrenzprodukte anderer Hersteller. Mit ihnen kann man elektronische Geräte im Haus steuern, aber eben auch vieles andere machen – etwa sich Musik vorspielen lassen oder online shoppen. Das Risiko für Datenschutz und Privatsphäre: Alexa zeichnet alle Gespräche auf und leitet sie in die Cloud weiter. Jüngst hat Amazon diese Daten für die Aufklärung einer Straftat herausgegeben. In einem anderen Fall hat der amerikanische Geheimdienst CIA smarte Fernseher von Samsung gehackt, um die Nutzer zu bespitzeln. Insgesamt besteht das Risiko, dass Smarthome-Systeme minutiöse Präferenz- und Bewegungsprofile der Nutzer erstellen und intimste persönliche Informationen über ihr Verhalten sammeln – der Film Minority Report zeigt eine Gesellschaft, deren Verhalten sich vorhersagen lässt. Es entsteht eine historisch beispiellose Machtasymmetrie zwischen den datensammelnden Unternehmen und den Nutzer.
Solange mit Smarthome-Systemen die Heizenergie gedrosselt werden kann, ließe sich aus einer Perspektive, die vor allem ökologische Ziele verfolgt, schnell von einer Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen Umweltschutz und Privatsphäre sprechen. Ähnlich argumentieren manche auch in anderen Feldern – etwa, wenn nutzerspezifische Bewegungsprofile im Verkehr erhoben werden, um öffentliche Verkehrsträger besser auszulasten und nutzungsgeteilte Mobilitätsdienstleistungen kundenspezifischer anbieten zu können. Doch die Annahme, dass eine Preisgabe der Intimität einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz leisten würde, könnte sich auch in ökologischer Hinsicht als Trugschluss erweisen.
Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, wofür heute ein guter Teil der im Internet hinterlassenen persönlichen Informationen verwendet wird: Große Unternehmen wie Google, Facebook, Apple, Microsoft und einige andere, die mittels ihrer Suchmaschinen, sozialen Netzwerke, Betriebssysteme oder Browser über extrem detaillierte Nutzerinformationen verfügen, ziehen einen enormen wirtschaftlichen Nutzen daraus, diese Informationen der Werbeindustrie zur Verfügung zu stellen.
Allein Google und Facebook teilen sich rund die Hälfte der weltweiten Online-Werbeeinahmen, die im Jahr 2017 schon weit über 200 Milliarden Dollar betrugen und weiter steil ansteigen. Das Geschäftsmodell dahinter: Persönliche Informationen werden ausgewertet, um Konsument*innen möglichst personalisierte Werbung sowie Produkte mit zunehmend personalisierten Preisen anzubieten. Die eigentliche Kundengruppe der datensammelnden IT-Konzerne sind die Werbefirmen und Marketingabteilungen; die Internet- und Handynutzenden sind nur ihre Produzenten.
Im Ergebnis wird der Konsum ordentlich angekurbelt. Durch Digitalisierung, Vernetzung und Big Data erlebt die absatzorientierte Wirtschaft einen neuen Frühling – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Energie- und Ressourcennachfrage, die mit dem Konsum ebenfalls weiter ansteigt. Welche politischen und ökologischen Dimensionen das haben kann und wie der „Network-Effekt“ die digitale Wirtschaft bestimmt, beschreibt Andres Friedrichsmeier im factory-Magazin Handeln in Möge die Macht mit uns sein.
Datenschutz für die Rettung des Planeten
Neben dem Leitbild der digitalen Suffizienz muss daher auch das Leitbild „Konsequenter Datenschutz“ verfolgt werden. Datenschutz ist nicht nur wichtig, um den Schutz der Privatsphäre, die Integrität der Person und die Meinungsfreiheit zu gewährleisten – wenngleich diese bereits in sich selbst wichtige, beinahe unveräußerliche Ziele darstellen.
Ein konsequenter Datenschutz ist auch aus ökologischen Gründen zentral. Denn die beinahe völlige Freizügigkeit der IT-Konzerne, persönliche Daten für jedwede Zwecke analysieren und die gewonnenen Erkenntnisse ohne Einschränkungen an Werbekunden weitergeben zu dürfen, steigert das nicht-nachhaltige Konsumniveau.
Auch aus Gründen des Umweltschutzes muss die kommerzielle Datenauswertung und -nutzung daher viel stärker als bisher reguliert werden: Nur wenn staatliche und privatwirtschaftliche Datenspeicherung und -nutzung streng limitiert sind, lässt sich eine Aushöhlung der Demokratie und die weitere Expansion der Naturausbeutung vermeiden.
Dr. Tilman Santarius ist Professor für Sozial-Ökologische Transformation und Nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin und am Einstein Center Digital Futures. Sein Buch Smarte grüne Welt – zusammen mit Steffen Lange – erschien Anfang 2018 im Oekom Verlag. Im factory-Magazin Rebound schrieb er zusammen mit Wolfgang Sachs Rethink statt Rebound: Der Effizienzrevolution muss eine Suffizienzrevolution vorangehen.
Weitere Beiträge zur Digitalisierung und ihren möglichen Wirkungen auf Ressourcen- und Klimaschutz, auf soziale Gesellschaften und Individuen gibt es im gleichnamigen factory-Magazin Digitalisierung. Das ist reich illustriert und enthält sämtliche Artikel im kompakten Tablet-Format, dazu entsprechende Zahlen und Zitate. Es lässt sich kostenlos laden und ist angenehm lesbar auf Bildschirmen und Tablet-Computern. Online im Themenbereich sind zunächst nur einige Beiträge verfügbar – dafür lassen sie sich dort auch kommentieren und bewerten.
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