Wert-Schätzung

Mehr wert als Geld

Tauschen bringt einen höheren Gewinn als Geld und hält sogar unsere Gesellschaften zusammen. Das Ansehen des Tauschpartners in Verbindung mit der Wertschätzung des Tauschobjektes sind soziale und kulturelle Tatsachen, zugleich sind sie das Fundament sozialer Beziehungen. Der Ethnologe Prof. Dr. Hans Peter Hahn hält Tauschringe für geeignet, die gedachten Bedingungen des Wirtschaftens zu verändern. Mit ihm sprach Ralf Bindel.

Herr Professor Hahn, Sie beschäftigen sich schon lange mit Tauschringen. Haben die heute überhaupt eine Bedeutung?

Ich würde sogar im Gegenteil behaupten, Tauschringe haben in der Gegenwart eine zunehmende Bedeutung. Tauschringe sind ein aktuelles Thema. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren kamen überall in Deutschland neue Tauschringe auf. Das hat wesentlich damit zu tun, dass Menschen einen Mehrwert darin erkennen, Dinge über Tauschringe zu erlangen und Dienst- und Hilfsleistungen auszutauschen.

Sie sagen, das habe auch etwas mit sozialer Wertschätzung zu tun, unabhängig vom ökonomischen Wert.

In unserer Standard-Ökonomie sehen wir den ökonomischen Wert einer Sache immer sehr stark nur als eine Eigenschaft der Sache. Ein Gerät verfügt über bestimmte Features, bestimmte Fähigkeiten, deswegen hat es den Wert X. Ein Kleidungsstück in einer bestimmten Qualität kostet Y.

Die Ware ist beim Tausch aber mehr wert als ihr Preis?

Das ist eben ein wichtiges Ergebnis der Forschungen zum Tauschen, dass der Wert von Dingen und ihre Wertschätzung - und damit meine ich auch ökonomische Wertschätzung - nicht nur durch materielle Eigenschaften bestimmt ist, sondern auch dadurch, dass man es von jemandem Bestimmten erhält. Oder dass man sich selbst auferlegt, Dinge weiterzugeben. Tauschen ist nicht nur ein sozialer Prozess. Tauschen ist der fundamentale Mechanismus, der zur Wertgenerierung beiträgt. Dinge erhalten Wert, in dem sie weitergegeben werden, um es ganz platt auszudrücken.

Wenn ich zum Beispiel ein Möbelstück schaffe und eine gewisse Anzahl Stunden Arbeit investiere, schätze ich den Wert dieses Stückes nach der eingesetzten Arbeitszeit und dem Materialaufwand und versuche es zu verkaufen. Tausche ich das Stück, möchte ich mindestens den Zeit- und Material-Gegenwert haben. Sie glauben, dass diese Wertschätzung innerhalb der normalen Ökonomie verloren gegangen ist?

In der normalen Ökonomie gibt es relativ einfache Parameter. Da können wir durchaus bei Karl Marx ansetzen: Es gibt eben den Gebrauchswert, der mindestens so groß sein muss, wie die Kosten der Herstellung, was Sie mit den Arbeitsstunden meinen, es gibt aber auch einen Marktwert. Und der Marktwert war schon bei Marx das, was aufgrund von Knappheit die Menschen bereit sind für eine Sache zu geben, die sie nicht anders erlangen können. Und da kann der Tisch eben sehr viel mehr wert sein. Der Limburger Bischof hat sich einen Tisch für 25000 Euro in sein Besprechungszimmer stellen lassen, das war es ihm wert.

Jemand hat kräftig daran verdient. Aber das ist nicht Ihr Thema.

Mich interessiert, dass Menschen einen Wert darin erkennen, den Tisch von jemandem Speziellen zu erhalten. Von Jemandem, der zum Beispiel auch im Tauschring ist. Oder von Jemandem, bei dem sie das Vertrauen haben, dass er das in guter handwerklicher Arbeit macht. Etwas davon erkennen wir in der Logik der Marke. Gütesiegel, die Marken vergeben, sind immer auch Argumente der Preissteigerung in der normalen Ökonomie. Tauschringe sind hier überlegen und viel eindeutiger, weil sie ganz klar sagen: Wenn ich in einem Frankfurter Tauschring bin, weiß ich, dass ein Frankfurter Handwerker für den Tisch gearbeitet hat und es ist mir wert, diesen persönlich abholen zu können und dann auch genau diesen einen Tisch haben zu wollen und keinen anderen.

In Deutschland gibt es viele eher kleine Tauschringe mit einer unbekannten Zahl an Mitgliedern, in Ihrer Studie erwähnen Sie auch Tauschringe mit über hunderttausend Teilnehmern.

In Argentinien gab es wirklich außerordentlich große Tauschringe, die vorübergehend gewissermaßen die nationale Ökonomie ersetzt haben. Das geschah in dem Augenblick, als die Staats- und Finanzkrise in Argentinien so akut war und die Menschen in die Standard-Währung kein Vertrauen mehr hatten.

Wenn ich das richtig gehört habe, ist das teilweise heute auch in Griechenland der Fall. 

Es hat zu tun mit dem Misstrauen gegenüber der Geld-Währung. Immer dann, wenn dieses Misstrauen laut wird, ist der persönliche Wert, eine Ware von Leuten entgegenzunehmen, von denen ich weiß, dass sie in der gleichen Region leben, von denen ich weiß, dass sie ähnliche Bedürfnisse haben wie ich. All diese Dinge werden dann plötzlich wieder attraktiv.

Das gab es aber schon immer?

Tauschringe oder die Logik des Tauschens sind etwas, das immer parallel zur Geldökonomie praktisch in jeder Gesellschaft weltweit existiert. Eine Parallelität von Geldökonomie und Tauschen ist eine anthropologische Konstante. Dieses schlummernde Ideal, dass es besser ist, einen persönlichen Gegenstand von einer persönlich bekannten Person entgegenzunehmen, dieses Ideal gewinnt immer dann die Oberhand, wenn das Misstrauen gegenüber der staatlich angeordneten Währung in den Vordergrund tritt. 

Sind Tauschringe per se nachhaltiger als globale Ökonomien?

Ich bin skeptisch, dass Tauschringe grundsätzlich eine Tendenz zu größerer Nachhaltigkeit und zu einem verantwortungsbewussten Konsum haben. Es kann der Fall sein, aber da ist kein eingebauter Automatismus, dass Menschen in Tauschringen ein höheres Bewusstsein für umweltschonenden Konsum haben.

Wie sieht es denn mit Regiogeld-Initiativen aus? 

Ich fasse Regiogeld-Initiativen auch als eine Form von Tauschringen auf.

Da wird doch wieder ein Ersatzgeld geschaffen.

Aber ein Ersatzgeld mit sozialen Regeln. Nehmen Sie das Prinzip des Schwundgeldes: Man bekommt einen Gutschein - ich würde das gar nicht als Geld bezeichnen -, der an Wert verliert, wenn er nicht innerhalb einer bestimmten Zeit auch wieder eingesetzt wird. Regiogeld ist aus meiner Sicht die klassische moderne Form von Tauschringen. Regionale Währungen funktionieren nach dem Prinzip der regionalen Begrenzung, der Fokussierung auf einen Personenkreis, den man im Grunde kennt oder kennen kann.

Das Prinzip ist aber der globalen Geldökonomie entgegengestellt. 

Ja, und es setzt grundsätzlich der Fixierung „Ökonomischer Wert ist gleich Geldwert“ Schranken - zum Beispiel durch die Logik des Schwundgeldes, mit der die Akkumulation von solchen Geldformen gar nicht möglich ist.

Das heißt, Tauschringe und Regiogeld-Initiativen können durchaus eine Alternative für regionale Ökonomien sein, sind aber beschränkt auf Regionalität.

Ich sehe den geografischen Bezug nicht einmal als eine notwendige Vorgabe an. Regiogeld oder Tauschringe basieren hauptsächlich darauf, dass alle Beteiligten bereit sind, eine bestimmte Art von sozialem Vertrag einzugehen. Sie können es auch einen gesellschaftlichen Vertrag nennen. Wesentlich ist, dass sie die Regeln von Haben-Zins und Soll-Zins nicht akzeptieren. Die Verbindlichkeit wird nicht dadurch erreicht, dass man durch Geldbeträge in eine Zwangslage gesetzt wird, sondern dadurch, dass man bereit ist, das, was man selbst anbietet oder erwirbt, nach bestimmten sozialen Regeln zu erwerben.

Wie kommt es nun zur Bewertung des eigenen Tauschguts oder zur Wertschätzung? Was, wenn ich nur Konsument bin, weil ich bestimmte Fähigkeiten nicht habe, zu alt, krank, behindert bin - welche Leistungen kann ich dann wie bewertet einbringen?

Welche Dienstleistungen und Güter kann man einbringen in einer solchen Lage? Das ist eine ganz schwierige Frage. Wo ist sozusagen der objektive Wert eines Gutes in einem Tauschring? Letztlich merkt man an diesen Fragen, dass jede ökonomische Bewertung immer eine soziale Übereinkunft ist. Und zur Logik des Tauschrings muss es dann gehören, Menschen, die keine eigene Produktivität entfalten können, die Dinge ohne Gegenleistung zur Verfügung stellen zu können. 

Hat das dann mit sozialer Wertschätzung zu tun, dass ich das Vertrauen haben kann, dass die Dinge, die ich abgebe oder annehme, auch in irgendeiner Form vergütet werden?

Wichtig erscheint mir die Vorstellung, dass dem eine soziale Übereinkunft zugrunde liegt. Also die gemeinsame Vorstellung, dass jede Art von Arbeitsleistung auch mit Gütern vergolten werden kann. Es ist ja nicht so, dass Tauschringe von der Bewertung her vollständig abstrahieren. Sie haben die Übereinkunft, dass eine Bewertung auf einer sozialen Grundlage erfolgen muss. Wohingegen die Standard-Ökonomie sagt, eine Bewertung eines Gutes erfolgt nach Marktmechanismen. Das ist die unsichtbare Hand. Und diese versagt eben in bestimmten Situationen und im Hinblick auf ganz bestimmte Personenkreise.

Diese Übereinkunft ist dann eine Preisliste?

Das wäre nur ein Teil. Noch wichtiger ist die Frage, welche Güter und Leistungen überhaupt als so eine Art Warenliste überhaupt anerkannt werden. Das ist viel entscheidender. Im Garten zu helfen, dafür bekomme ich eine Gegenleistung oder eben nicht. Übrigens gibt es auch bei uns in der Standard-Ökonomie Warenlisten, über die wir uns nur nicht Rechenschaft ablegen. Denken Sie an Medikamente. Ich darf Ihnen keine Antibiotika verkaufen, das ist eine eingeschränkte Ware, die nur bestimmte Personengruppen verkaufen dürfen. Diese verborgene Liste von verkäuflichen oder unverkäuflichen Dingen, die am Markt teilnehmen oder nicht teilnehmen dürfen, sind schon längst in unseren Köpfen, nur machen wir sie uns nicht bewusst.

Was interessiert Sie als Ethnologe daran?

Ich bin zu diesem Thema gekommen über eine Kritik an evolutionären Vorstellungen über Geld. Diese Vorstellungen basieren auf der Idee, dass Geld eine überlegene Tauschform sei gegenüber allen anderen Tauschformen. Das ist eine eurozentrische Verkürzung! Es ist ein falsches Bild davon, wie Ökonomie in der Gesellschaft funktioniert. In jeder Ökonomie gibt es viele Arten von Tauschprozessen und die nicht-monetären Prozesse - und da sind wir eben bei den Tauschringen - sind viel wichtiger, als uns häufig bewusst ist. Deswegen Tauschen als Forschungsthema.

Hat das Tauschen denn Zukunft in Zeiten zunehmender Krisen, nicht nur als Forschungsthema?

Wir werden sicher nicht in eine Gesellschaft zurückkehren, die ohne Geld funktioniert. Es ist aber wichtig, sich in der gegenwärtigen Reflexion darüber, was der Euro eigentlich ist, über bestimmte Hintergründe im Klaren zu sein: Was bedeutet Tauschen auf Geld-Basis, welche anderen Formen des Tauschens gibt es, und auf welcher Grundlage entscheiden wir uns für das eine oder das andere. Ich glaube, dass in unserer Gesellschaft gewissermaßen eine Ignoranz über die wirkliche Rolle des Geldes, und ein Nichtwissen über unsere tatsächlichen alltäglichen Praktiken des Tauschens existieren. Wir denken in Geldnormen, handeln aber nach ganz anderen Regeln.

Könnte eine Debatte über das Tauschen dazu führen, dass ein gesellschaftlicher Fokus für eine andere Art der Wertschätzung von Produkten oder Leistungen zustande kommt, die mit weniger Ressourcenverbrauch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung wären?

Das sehe ich als das Ziel meiner Argumentation. Ich möchte, dass es ein anderes Bewusstsein dafür gibt, was Wert ist, und dafür, dass ein in Geldwert ausgedrückter Betrag nicht einmal hinreichend ist, um die ökonomische Rolle von bestimmten Gütern zu erklären. Dazu braucht es einfach einer aktiven und reflektierenden Beschäftigung mit den wirtschaftlichen Gütern, die wir jeden Tag in die Hand nehmen. Das ist nicht nur eine Frage von ökologischem Bewusstsein, sondern auch eine Frage davon, über welche Kanäle Ökonomie in unser soziales Geflecht eindringt. Oder umgekehrt gesprochen: wie unsere sozialen Beziehungen ökonomische Relationen definieren.

Prof. Dr. Hans Peter Hahn ist Ethnologe und Experte für materielle Kultur, globalen Konsum und kulturelle Globalisierung. Er ist am Institut für Ethnologie an der Frankfurter Goethe-Universität tätig.

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