Der Anfang ist gemacht, zumindest beim Strom, aber der Weg zum Ausstieg aus dem Klimawandel ist offenbar noch lang. Fünf Jahre nach Fukushima ziehen viele Akteure der deutschen Energie- und Klimapolitik Bilanz. Zwar ist die Energiewende schon älter, doch Fukushima bedeutete zumindest den Ausstieg aus dem kurz zuvor erfolgten Wiedereinstieg in die Atomenergie. „Man konnte 2011 nach Fukushima spüren: Es wird sich etwas in der Energiewirtschaft verändern. Sie würde aus diesem Prozess nicht so hinausgehen, wie sie hineingegangen war", fasste Regine Günther, Generaldirektorin Politik und Klimaschutz beim WWF bei einer Konferenz von Agora Energiewende die damalige Stimmung zusammen.
Und die Bilanz bei der Atomenergie ist positiv, bzw. negativ für sie selbst: Die Stromerzeugung aus Kernkraftwerken sank von 141 auf 92 Terawattstunden, ihr Anteil am Strommix reduzierte sich von 22,2 auf 14,1 Prozent. Neun Kernkraftwerke wurden seit 2010 stillgelegt, zuletzt das KKW Grafenrheinfeld im Juni 2015. Der endgültige Ausstieg aus der Kernenergie bis 2020 gilt als sicher.
Wirklich positiv dagegen ist die Bilanz der erneuerbaren Energien: Ihre Stromerzeugung verdoppelte sich fast, sie stieg von 105 auf 196 Terawattstunden, der Anteil am Strommix von 16,6 Prozent auf 30,1 Prozent. Die Erneuerbaren wurden damit zur dominierenden Erzeugungsform in Deutschlands Stromsektor. Der Wegfall der Stromproduktion aus der Kernenergie wurde durch den Zuwachs der Erneuerbaren Energien mehr als überkompensiert. Beim Windstrom war der Zuwachs am stärksten, die Erzeugung wuchs von 37,8 Terawattstunden im Jahr 2010 auf 88 Terawattstunden im Jahr 2015. Danach folgt der Solarstrom, dessen Produktion sich von 11,7 auf 38,4 Terawattstunden verdreifachte.
Bei den Deutschen ist die Energiewende beliebt, rund 90 Prozent der Bevölkerung schätzen sie. Aber auch International kommt die so genannte Energiewende gut an. Weltweit ist das deutsche Wort Energiewende ein geflügelter Begriff für den Umbau des Energiesektors geworden. Die deutsche E-Wende ist Vorbild für viele andere Länder, wenn auch nicht alles so gut läuft, wie es anderswo erscheint. Doch es sei leider eine deutsche Tendenz, immer auf das Negative zu schauen, meint Melissa Eddy, Deutschlandkorrespondentin der New York Times. "Bei der Energiewende sollte man sich das nicht leisten." Schaue man nur auf die Probleme, wachse die Gefahr, dass es nicht klappt. "Außerdem verpasst man die Chance, von anderen zu lernen – etwa von Kalifornien bei Elektroautos und Stromspeichern.“ Und gerade da spricht sie auch schon einige Defizite der deutschen Energiewende an.
Doch auch die Beurteilung der Stromwende durch Agora ist durchaus positiv – doch echt deutsch nur mit Eintrübungen: „Der Anteil der Erneuerbaren Energien hat sich beinahe verdoppelt, der Ausstieg aus der Kernenergie verläuft nach Plan, die Versorgungssicherheit mit Strom hat sich noch verbessert und die großen Kostensteigerungen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien gehören der Vergangenheit an“, resümiert Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende anlässlich des fünften Jahrestags der Katastrophe in Japan. „Weil die Kohleverstromung allerdings nicht in dem Maße zurückgeht, wie es die positive Entwicklung bei den Erneuerbaren erlauben würde, stockt es in Deutschland beim Klimaschutz“, sagt Graichen. „Hieran muss nun in den nächsten fünf Jahren Energiewende gearbeitet werden. Auch beim Thema Energieeffizienz und beim Netzausbau gibt es noch Nachholbedarf.“
Schließlich hatte die Bundesregierung schon in ihrem Energiekonzept 2010 beschlossen, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2050 um 80 bis 95 Prozent unter das Niveau von 1990 zu verringern, der Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch sollte bis 2050 auf mindestens 80 Prozent steigen und der Stromverbrauch bis dahin um 25 Prozent sinken. Für die Jahre 2020, 2030 und 2040 wurden jeweils Zwischenziele festgelegt.
„Es gibt noch einige Baustellen in der Energiewende, allerdings hat Deutschland auch schon viel erreicht“, sagt Agora-Direktor Graichen. „Nach fünf Jahren ist sicherlich ein Moment gekommen, um innezuhalten und sich zu fragen: Was sind die nächsten großen Aufgaben? Aus meiner Sicht ist das ganz klar: Dranbleiben bei Erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Netzausbau. Mit Blick auf die Klimaschutzziele von Paris muss aber noch mehr geschehen: Wir brauchen zur Dekarbonisierung des Stromsektors einen Kohlekonsens und müssen jetzt mit Nachdruck die Energiewende im Verkehrs- und Wärmesektor angehen. Die Erfahrungen mit der Energiewende im Stromsektor werden uns dabei sicherlich helfen.“
Anlässlich des fünften Jahrestages der Energiewendebeschlüsse nach Fukushima hat Agora Energiewende eine Chronologie der bisherigen Entwicklung seit den 1980er-Jahren erstellt. Diese steht unter www.agora-energiewende.de online sowie als gedrucktes Poster zur Verfügung.