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Sechs-Punkte-Plan für Gutes Essen für alle

Über 100 Organisationen wollen mit einem konkreten Forderungspapier die Agrarwende in Deutschland vorantreiben. In den Vordergrund stellen sie das Menschenrecht auf Gutes Essen weltweit, faire Preise  und Arbeitsverhältnisse. Auch die diesjährige "Wir haben es satt!"-Demo legt den Fokus auf "Gutes ... für alle".

Wer sollte da nicht mitgehen können? "Gutes Essen für alle – statt Profite für wenige", ist das Motto der #WHES23, der Großdemonstration der Bündnisinitiative "Wir haben Agrarindustrie satt". Am 21. Januar 2023 werden dazu wieder tausende Menschen in Berlin erwartet – und hunderte Trecker dem Motto verbundener Bäuerinnen und Bauern.

Zuletzt waren 2020 Zehntausende nach Berlin gekommen, 2021 fiel corona-bedingt aus, 2022 protestierte das Bündnis lediglich mit 30 Traktoren und 50 Teilnehmer*innen vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium und übergab dort seine Forderungen an den neuen Minister Cem Özdemir.

Seit 2011 findet die "Wir haben es satt!"-Demo jährlich anlässlich der Grünen Woche in Berlin statt. Und ist diese die international wichtigste Messe für landwirtschaftliche Erzeugnisse, ist jene die größte und wichtigste Demonstration für eine echte Agrarwende.

Landwirtschaft ist systemrelevant

Schließlich ist die Landwirtschaft in Deutschland nicht nur systemrelevant, wie die Zukunfskommission Landwirtschaft (ZKL) 2021 feststellte, sondern hat auch eine Verantwortung für Artenvielfalt und Klimawandel – das haben in der Kommission erstmals auch die Bauernvertreter*innen anerkannt.

Immerhin hat das Forum der ZKL offenbar gut funktioniert, die Mitglieder nutzen es seit September 2022 sogar weiter "als Forum des Interessenausgleichs in Zeiten der Transformation zur Schaffung einer krisenfesten und nachhaltigen Landwirtschaft."

Doch echter Fortschritt bei der ökologisch-sozialen Agrarwende zu erreichen ist mühsam. Zu unterschiedlich waren bisher die Interessen der Bäuer*innen als Unternehmer, der Umwelt- und Naturschützer*innen und der vermittelnden Politik, die sich eher an ersteren orientiert. Bundesminister Özdemir kennt das inzwischen auch.

Agrarwende nur mit finanziellem Ausgleich

Die ZKL hält für den Transformationsprozess jedenfalls auch für notwendig, dafür müsse aber "die Vermeidung schädlicher Effekte sowie die Steigerung positiver Wirkungen auf Klima, Umwelt, Biodiversität, Tierwohl und menschliche Gesundheit im unternehmerischen Interesse der landwirtschaftlichen Produzenten liegen."

Daran knüpfen auch die Forderungen der Demo 2023 an: Sie wollen ein Ende des Höfesterbens durch faire Erzeuger*innenpreise und Unterstützung bei den Maßnahmen. Übergewinne auch in der Agrar- und Lebensmittelindustrie soll der Staat besteuern und verteilen. Eine Mehrwertsteuersenkung soll mehr Vegetarisches auf die Teller bringen, Tiere sollen weniger, aber dafür artgerecht gehalten werden. Zur Bekämpfung des Hungers ist auch ein Spekulationsverbot für Lebensmittel unter den Forderungen und gerechter Handel für gutes, gentechnikfreies Essen für alle.

Das Forderungspapier der über 100 Organisationen aus Landwirtschaft, Sozialem, Gewerkschaften, Klima- und Umwelt-Bewegung macht das Ganze anlässlich von gestiegenen Lebensmittelpreisen, geringem Wende-Fortschritt und wieder steigendem Hunger noch etwas konkreter.

"Die Agrar- und Ernährungswende, eine Umverteilung des Reichtums und konsequenter Klimaschutz sind notwendige erste Schritte in eine sozial gerechte und solidarische Gesellschaft", heißt es dazu.

Ökologisch für alle

Während die meisten konventionellen Bäuer*innen als Unternehmer*innen eher ihr eigenes Einkommen als Maßstab für ihr eben noch konventionelles Handeln nehmen, fordert das Bündnis, dass der Staat die Regelsatzlücke von über 250 Euro im Bürgergeld schließt, Sankionen und Leistungskürzungen überwindet und die Versorgung mit fair produzierten, umweltgerechten Lebensmitteln für alle Menschen umsetzt. Schließlich müssten Sozialleistungen ökologischen Konsum ermöglichen.

Um faire Erzeuger*innenpreise dauerhaft sicherzustellen, soll die Regierung das Preisdiktat der Supermarktketten stoppen, den Einkauf unter Produktionskosten verbieten und regionale, bäuerliche und ökologische Strukturen z. B. durch öffentliche Kantinen stärken.

Weitere Punkte: "Gute Löhne für gute Arbeit!" und "Gesellschaftlichen Reichtum fair verteilen" – soziale Forderungen, die Agrarwende erst möglich machen könnten. Dazu sollte der Staat eine "Übergewinnsteuer auch bei Agrar-, Lebensmittel-, Handels- und Düngemittelkonzernen erheben, die Vermögenssteuer einführen und Kapitalerträge konsequent besteuern, niedrige und mittlere Arbeitseinkommen entlasten, Mehrwertsteuer auf klimagerechte Lebensmittel senken und umweltschädliche Subventionen stoppen."

Anschlussfähige Forderungen

Last but not least heißt Forderung Nr. 5 "Teller statt Trog, Tank oder Tonne" und plädiert für die Nutzung von Ackerflächen für den Anbau statt Futter- und Biospritproduktion.

Den guten Schluss bildet der unbedingte Appell zur Beendigung der Hungerkrise: Durch das Verbot der Lebensmittelspekulation, die Unterstützung des Rechts auf Nahrung durch freies Saatgut und gerechte Landverteilung, die Sicherung einer gentechnikfreien Landwirtschaft, die Bereitstellung von mehr Entwicklungsgeldern für die sozial-ökologische Transformation der Ernährungssysteme und durch den Stop unfairer Handelsabkommen.

Die Liste der bis heute 123 Unterzeichner-Organisationen ist beeindruckend vielfältig: Sie reicht von 1Hektar-Zukunft bis zur Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Die Forderungen dürften auch gesellschaftlich Konsens sein und anschlussfähig, sollte man meinen. Wenn sie denn bekannt würden – eine große Demonstration reicht dafür vielleicht noch nicht aus.


Mehr zur Wirksamkeit von Steuern auf die Steuerung der Transformation lesen Sie im factory-Magazin gleichen Namens. Wie wichtig die Artenvielfalt für den Erhalt der Lebensgrundlagen ist, erfahren Sie im factory-Magazin Vielfalt – oder online im Themenbereich. Dass auf der Grundlage regionalen Wirtschaftens auch global eine Ernährungswende möglich wäre, dafür plädieren Wissenschaftler*innen in einem Beitrag im factory-Magazin Ressourcen.

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