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Das Ende von TTIP ist nah

Die am Montag dieser Woche veröffentlichten internen TTIP-Dokumente bestätigen alle Befürchtungen der Gegner des Handelsabkommens zwischen EU und USA. Selbst rückwirkend könnten Umwelt- und Sozialstandards ausgehebelt werden. Offenbar sollte die EU mehr Autos exportieren können und dafür im Gegenzug höhere Toleranzwerte für Gifte in Nahrungsmitteln und Kosmetika zulassen.

Die Gegner und Kritiker des TTIP-Abkommens haben es nicht leicht. Nicht nur wurden sie nur von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als „reich und hysterisch“ bezeichnet, ihnen wurde auch vorgeworfen, sie verbreiteten Verschwörungstheorien und seien Antiamerikaner. Jetzt müssen sie auch noch erkennen, dass sie Recht hatten – erschreckenderweise ist TTIP sogar noch schlimmer als von ihnen befürchtet.

Denn tatsächlich drohen Europa durch das umstrittene Handelsabkommen TTIP deutlich schwächere Umweltstandards. Dies geht aus den umfangreichen Teilen des bislang weitgehend geheimen Verhandlungstexts hervor, die die Pressestelle von Greenpeace Niederlande am Montag veröffentlicht hat. So soll das bislang in Europa geltende Vorsorgeprinzip, das Produkte nur erlaubt, wenn sie für Mensch und Umwelt nachweislich unschädlich sind, durch das in den USA angewandte Risikoprinzip ersetzt werden. Dadurch dürften in Europa auch hoch umstrittene und bislang in vielen Ländern nicht zugelassene genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel oder mit Wachstumsbeschleunigern erzeugtes Fleisch so lange angebaut und konsumiert werden, bis ihre Schädlichkeit nachgewiesen ist. Ein Prozess, der Jahre dauern kann. "Was bislang aus diesen Geheimverhandlungen an die Öffentlichkeit drang, klang wie ein Albtraum. Jetzt wissen wir, daraus könnte sehr bald Realität werden", sagt Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. "Dieser Vertrag darf nicht in Kraft treten."

Das europäische Vorsorgeprinzip wird im TTIP-Text an keiner Stelle mehr erwähnt. Zudem bestätigt eine erste Analyse der Dokumente eine Reihe weiterer kritischer Punkte. Fortschrittliche EU-Umweltgesetze zu Lebensmittelsicherheit oder Chemikalien drohen geschwächt oder ganz abgeschafft zu werden. Industrievertretern wird bei wichtigen Entscheidungen eine zentrale Mitsprache eingeräumt, während die Belange der Zivilgesellschaft nicht berücksichtigt werden. Die geplante gegenseitige Anpassung der Gesetzgebung zwischen den USA und der EU würde sich nach jetzigem Stand am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren. Europäische Gesetze etwa zur Lebensmittelkennzeichnung oder zu Kosmetika würden bedroht. "Handelsabkommen mit derart weitreichendem Einfluss müssen öffentlich diskutiert und transparent verhandelt werden. Alles andere ist undemokratisch und eine Gefahr für die Errungenschaften der Zivilgesellschaft", sagt Knirsch.

Selbst rückwirkend könnte TTIP bestehende Standards und Regularien zum Schutz von Umwelt und Verbrauchern kippen. Diese Gefahr hatten Bundesregierung und EU-Kommission bisher bestritten. Die geleakten Texte belegen, dass die US-Seite Mechanismen vorschlägt, um etwa auch die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder Regeln zu Erneuerbaren Energien als Handelshemmnis einzustufen. Im Kapitel zur regulatorischen Kooperation fordern die USA, dass Regularien, die den Handel hemmen, auch nachträglich zurück genommen werden dürfen.

Die USA sehen etwa im europäischen Verfahren zur Zulassung von Chemikalien (REACH) ein Handelshemmnis. Würde die US-Position in der jetzigen Form angenommen, könnten Maßnahmen zur Umsetzung von REACH auch rückwirkend durch TTIP ausgehebelt werden. Umweltschützer hatten jahrelang für REACH gekämpft. Das Verfahren ist 2007 in Kraft getreten und hat die Zulassung von mehreren Tausend gefährlichen Chemikalien verhindert.

Die vorliegenden 13 Kapitel stellen mit knapp 250 Seiten etwa die Hälfte des gesamten Abkommens dar und zeigen den Stand vor der vergangene Woche abgeschlossenen 13. Verhandlungsrunde. Bislang darf der Verhandlungstext nur von Parlamentariern und anderen ausgewählten Personen für maximal zwei Stunden unter Aufsicht in einem Leseraum eingesehen werden. Es dürfen keine Kopien angefertigt werden, und es besteht Schweigepflicht. "Diese Dokumente sind kein Betriebsgeheimnis, sie würden das Leben von über einer halbe Milliarde Menschen alleine in Europa verändern. Sie gehören öffentlich gemacht", fordert Knirsch.

Greenpeace hat die Dokumente auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Re:Publica in Berlin präsentiert. Zeitgleich hat Greenpeace Niederlande die TTIP-Dokumente unter www.ttip-leaks.org vollständig im Internet veröffentlicht.

Die ersten Reaktionen

Die NGO Campact verweist angesichts des jetzt bekannt gewordenen Aumaßes von TTIP darauf, wer falsch gespielt habe: Es seien die EU-Kommission und die Bundesregierung, die die Wahrheit über die TTIP-Verhandlungen unterschlagen und die Bürger_innen in Europa bewusst getäuscht hätten. TTIP sei ein bitterböses Tauschgeschäft auf Kosten der Bürger_innen ist: mehr Auto-Exporte gegen höhere Toleranzwerte für Gifte in Nahrungsmitteln und Kosmetika. Noch hält die Bundesregierung in einer ersten trotzigen Reaktion an TTIP fest, obwohl bereits die Hälfte der SPD-Bundestagsfraktion ein Ende der Verhandlungen fordert. Nach Ansicht von Campact könnten die TTIP-Leaks dazu führen, dass die Große Koalition keine Mehrheit mehr für das Abkommen hat. In der SPD-Fraktion führt der Abgeordnete Matthias Miersch den Widerstand an: „Unter solchen Bedingungen macht es keinen Sinn, weiter zu verhandeln“, sagte er zutreffend. Campact fordert weiter zur Teilnahme an der Unterschriftenaktion auf, um eine Million Stimmen gegen das Abkommen präsentieren zu können, ehe "es SPD-Chef Sigmar Gabriel gelingt, seine Fraktion wieder auf Linie zu bringen."

Dass bereits das EU-Kanada-Abkommen CETA den USA diverse jetzt in den Leaks bekannt gewordenen Schritte erlaube, kommtiert Maritta Strasser von Campact : "Viele Träume der USA würden mit CETA bereits Wirklichkeit. SPD und die Grünen in Landesregierungen müssen die Konsequenzen ziehen und CETA stoppen. Wie der DGB und der kanadische Gewerkschaftsdachverband CLC feststellen, verletzt CETA klar die roten Linien der SPD. Auch die Grünen würden ihre Prinzipien verraten, wenn sie CETA im Bundesrat durchwinken."

Die aus den TTIP-Leaks bekannt gewordene US-Verhandlungsposition findet sich zu großen Teilen im Abkommen der EU mit Kanada (CETA) wieder. Der "wissenschaftsbasierte" Ansatz der Regulierung biotechnologischer Verfahren ist dort ebenso enthalten wie eine - wenn auch leicht entschärfte - Schiedsgerichtsbarkeit. Das gleiche gilt für die als Machthebel für Lobbyisten kritisierte regulatorische Kooperation: Ein sogenanntes CETA Joint Comittee hat ausweislich des am 29. Februar veröffentlichten Vertragstextes die Macht, ohne Beteiligung der Parlamente die Auslegung des Vertragsinhalts zu bestimmen und so im Nachhinein zu ändern.

Auch wegen der engen Verflechtung der US-Wirtschaft mit Kanada ist CETA für Europa mit erheblichen Risiken verbunden. So können beispielsweise 80 Prozent aller US-Investoren über ihre Niederlassungen in Kanada Investorenklagen in CETA nutzen. Schätzungsweise 40.000 potentielle Kläger können gegen EU-Staaten klagen, wenn sie durch staatliches Handeln ihre Gewinnaussichten beeinträchtigt sehen. Das in CETA enthaltene "Recht zu regulieren" bleibt dagegen Makulatur.

Im European Circle Newsletter heißt es, dass es sich bei den TTIP-Dokumenten, die Greenpeace am Montag veröffentlicht hat, um Originale handelt, die abgeschrieben und sprachlich eingeebnet sind, um keine Rückschlüsse auf die Quelle zuzulassen. Das Weiße Haus habe die Veröffentlichung demonstrativ gelassen kommentiert. Man sei darüber nicht beunruhigt, sagte US-Präsident Barack Obamas Sprecher Josh Earnest am Montag. Die deutsche Regierung will dennoch die Verhandlungen möglichst schnell abschließen. Nach EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström würden die veröffentlichten Dokumente lediglich Verhandlungspositionen widerspiegeln und sonst nichts. Es handle sich um einen Sturm im Wasserglas, so fasst der Newsletter, die Meldungen aus Tagesspiegel, FAZ, Handelsblatt, Spiegel und EurActiv zusammen.

Doch die Dokumente zeigten, dass der Druck der US-Regierung auf die EU stärker ist, als bislang bekannt. Beim Zugang von US-Agrarprodukten, der Einschränkung des Vorsorgeprinzip beim EU-Verbraucherschutz und den umstrittenen Schiedsgerichten blieben die US-Behörden hart und setzten die Europäer mit der Blockade von Exporterleichterungen für Europas Autoindustrie unter Druck.

Nach Ansicht von Klaus Müller, dem Vorstand des Verbraucherzentralen Bundesverband (vzbv), zeigen die geheimen TTIP-Verhandlungsdokumente, wie die USA verbraucherschützende Regulierung und das europäische Vorsorgeprinzip aushebeln wollen. „Die EU muss hiesige Verbraucherschutzstandards schützen. Zudem versuchen die USA, sich weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in der Regulierung zu sichern. Sollten sich die US-Forderungen im finalen TTIP-Abkommen durchsetzen, würden neue verbraucherschützende Vorgaben in der EU stark behindert, wenn nicht gar unmöglich.“

Das CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung weist darauf hin, dass die Bundesregierung, während sie sich im Rahmen von Better Regulation und den Verhandlungen über die Handelsabkommen TTIP und CETA für die Rechte von Unternehmen stark mache, sie eine konstruktive Beteiligung an dem 2014 vom UN-Menschenrechtsrat initiierten Prozess zur Schaffung eines verbindlichen Instruments für transnationale Konzerne und andere Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte nach wie vor ablehne. Die Bundesregierung solle sich eher für einen Stopp von TTIP und CETA einsetzen und stattdessen an den weiteren Verhandlungen für das UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten teilzunehmen und sich dort für verbindliche menschenrechtliche Vorgaben für Unternehmen einsetzen.

Das passt zu unserem Beitrag Freier Handeln im factory-Magazin Handeln, in dem es um die Möglichkeiten für wirklich nachhaltige Wirtschaftsabkommen im Sinne der Menschenrechte geht.

Bild: Ruben Neugebauer, Campact, Flickr.com

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