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Umweltverbände stellen "realistisches" Zulassungskonzept von Autotypen vor

Aus dem Elend zur Veränderung: Der Abgasskandal hat die Schwächen des Zulassungsverfahrens für neue Autotypen sichtbar gemacht, die auch mit der vom Bundesverkehrsminister vorgelegten Reform nicht behoben werden. Jetzt kommt von den Umweltverbänden ein Konzept zur Modernisierung, das die erfahrbare statt herstellermanipulierte Realität zur Grundlage hat.

Wer sich heute ein neues Auto kauft, weiß im Grunde, worauf er sich einlässt. Auf die angegebenen Verbrauchswerte der Hersteller lassen sich in der Realität gut 20 bis 40 Prozent aufschlagen, auf die angegebenen CO2-Emissionen somit ebenfalls. Nach den Skandalmessungen weiß die Käuferin auch, dass ihr neues Euro-6-Dieselfahrzeug siebenmal mehr Atemluft-schädigende Stickoxide ausstößt, als zugelassen. Wer ein Auto ökologischer kaufen will, schaut in die Empfehlungen des VCD, doch auch diese Angaben stammen von den Herstellern. Der Abgasskandal, begonnen mit VW über die Zugabe der Manipulation, hat jedoch einen Stein ins Rollen gebracht. Menschen vertrauen den Herstellern nicht mehr – das Empfinden ist beinahe ähnlich wie bei den Banken. Spricht man mit VW-Betroffenen, ärgern sie sich maßlos über die Unverfrorenheit – anderen ist in jedem Fall klar, dass auch "ihr" Hersteller keine korrekten Angaben macht. Wenn jetzt BMW und Mercedes-Benz auch noch Medien juristisch bedrohen, sie in den Zusammenhang mit Manipulationen zu stellen, wie die taz berichtet, und unabhängige Prüfstände es ablehnen, Fahrzeuge auf reale Verbräuche und Emissionen zu testen, dann scheint ein Punkt erreicht zu sein, der dem der Vertrauenskrise bei den Banken sehr nahe kommt.

Doch aus dem Elend dieses Skandals ließen sich ja Lehren ziehen, indem z.B. die Typzulassung von Pkw reformiert würde und reale Emissionen gemessen werden, und nicht die von Wagen mit Überdruckreifen, abgeklebter Kühlerfront, demontierten Außenspiegeln und spezieller Testzykluseinstellung. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat jedenfalls reagiert und Maßnahmen zur Reformierung des Typzulassungsverfahrens für Pkw vorgestellt – aber offenbar ohne wirklichen Veränderungswillen. Weder beim Zulassungsverfahren soll sich wesentliches ändern, noch bei der Kontrollbehörde, dem Kraftfahrtbundesamt, das seinem Ministerium unterstellt ist. Zu groß ist die Sorge um die Gunst der mächtigen Automobilkonzerne.

Nun haben haben führende Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherschutzverbände heute ihrerseits ein gemeinsames Konzept zur Modernisierung der Genehmigungspraxis vorgestellt. Die Vertreter von BUND, Deutscher Umwelthilfe, Greenpeace, NABU und VCD betonten, dass der gegenwärtige Abgasskandal nicht nur Ausdruck mutwilliger Täuschungsabsichten auf Seiten der Hersteller sei. Der Skandal zeige auch, dass das bisherige Typzulassungsverfahren seiner Aufgabe nicht gerecht werde und die behördlichen Kontrollinstanzen insgesamt versagt hätten. Das Konzept der Verbände zur Zulassung von neuen Fahrzeugmodellen sieht in Anlehnung an das US-amerikanische Modell eine Kombination aus Herstellererklärung, unabhängigen Kontrollmessungen im realen Fahrbetrieb und empfindlichen Sanktionen bei Verstößen vor. Dieses Modell der Typzulassung sollte die Voraussetzung dafür sein, dass Automobilhersteller neue Fahrzeugmodelle in Serie produzieren und auf den europäischen Markt bringen können.

"Das Typzulassungsverfahren für Neufahrzeuge muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Es macht überhaupt keinen Sinn, weiterhin an der momentanen Praxis festzuhalten und mit einem riesigen Aufwand Fantasiewerte auf dem Prüfstand zu erzeugen, die keinerlei Aussagegehalt für den realen Schadstoffausstoß auf der Straße haben. Uns interessiert einzig die tatsächliche Emissionsminderung der Fahrzeuge", kommentierte Dietmar Oeliger, Leiter Verkehrspolitik des NABU. Es sei daher unabdingbar, den realen Schadstoffausstoß von auf dem Markt befindlichen Fahrzeugen mittels sogenannter PEMS-Messungen, einer mobilen Messtechnik zur Auswertung der Abgaswerte, als „Real Driving Emissions (RDE)“ zu erfassen. Selbiges gelte auch für die Erfassung des realen Kraftstoffverbrauchs.

Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung der Deutschen Umwelthilfe (DUH), forderte solide Kontroll- und Sanktionsmechanismen, um die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben zu garantieren. „Die Einhaltung geltender Grenzwerte darf nicht länger dem Zufall überlassen werden. Zu viele Städte und damit die Menschen leiden unter anhaltend hoher Luftbelastung mit giftigen Stickoxiden. Allein in Deutschland verursacht das Jahr für Jahr mehr als 10.000 vorzeitige Todesfälle. Die Technik zur wirksamen Begrenzung der Emissionen in allen normalen Fahrzuständen ist längst vorhanden. Es gibt keinen Grund, länger auf deren verbindlichen Einsatz zu warten.“

Michael Müller-Görnert vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD) machte deutlich, dass das neue System auch ein höheres Maß an Transparenz benötige: „Die Kluft zwischen Test- und Realemissionen ist in den letzten Jahren auch deshalb immer größer geworden, weil zu viel hinter verschlossenen Türen gemauschelt wurde. Wir fordern, dass künftig sämtliche Daten, die die Hersteller für die Typgenehmigung ihrer Fahrzeuge angeben, über eine öffentliche Datenbank kostenlos zugänglich gemacht werden. Nach dem Motto: Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht zu verstecken. Damit wäre auch die Grundlage dafür gelegt, dass die EU-Kommission die Arbeit der nationalen Zulassungs- und Prüfbehörden kontrollieren und zu diesem Zwecke eigene Messungen vornehmen kann.“

Werner Reh, Leiter Verkehrspolitik beim BUND, erinnerte eindringlich an die Notwendigkeit, die tatsächliche Luftschadstoffbelastung, insbesondere in den Städten und Ballungsräumen zu senken: „Zu viele Städte überschreiten nach wie vor die bestehenden Luftqualitätsgrenzwerte; besonders bei den gesundheitsschädlichen Stickoxiden. Die im Schnitt siebenfache Überschreitung der gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte im Realbetrieb bei modernen Diesel-Pkw mit Euro 6-Motor führt nicht zu einer Entschärfung der Situation in den Städten, wie mit Einführung der Abgasnorm ursprünglich erwartet. Wenn die Hersteller den Schadstoffausstoß ihrer Fahrzeuge nicht tatsächlich auf das Niveau der Euro-Abgasnormen absenken, sehe ich keine andere Möglichkeit, als Fahrverbote in dicht besiedelten Gebieten auszusprechen. Nur so wäre dann das massive Abgasproblem vor allem beim Diesel in den Griff zu bekommen.“ Geschehe das nicht, seien die Luftreinhaltepläne der Städte Makulatur.

Die Umweltverbände gehen davon aus, dass ein solches Typzulassungsverfahren sowohl die Kosten der Hersteller als auch die der Behörden reduzieren werde. Denn das jetzige Verfahren sei nicht nur wirkungslos, sondern auch ausgesprochen teuer. Darüber hinaus hätten sowohl Volkswagen, als auch PSA Peugeot Citroën angekündigt, unabhängige Abgasmessungen bei ihren Modellen im Realbetrieb vornehmen zu lassen.

Das Konzept der Reform ist im Grunde sehr einfach und besteht aus folgenden Elementen:

  1. Die Erfassung von Luftschadstoff- und CO2-Emissionen muss auf der Straße in Form von Real Driving Emissions (RDE) anhand von PEMS-Messungen erfolgen (Portable Emission Measurement System). Die Straßenmessungen müssen alle Fahrzeugklassen, Antriebsarten und alle relevanten Schadstoffe einschließlich CO2 umfassen. Die Hersteller versichern mit Inverkehrbringen ihrer Fahrzeuge, dass diese alle gesetzlichen Vorgaben im Realbetrieb auf der Straße einhalten (Herstellererklärung).
  2. Eine geeignete Behörde veranlasst bei auf dem Markt befindlichen Fahrzeugen Kontrollmessungen auf der Straße durch unabhängige Prüfinstitutionen. Diese Behörde muss eine andere sein, als die für die Zulassung zuständige Behörde. Idealerweise wird künftig das Umweltbundesamt mit dieser Aufgabe betraut. In jedem Fall muss aber sichergestellt sein, dass die zuständigen Mitarbeiter*innen nicht weisungsgebunden sind, um ein Eingreifen seitens der Bundesregierung und der Ministerien zu verhindern.
  3. Verstöße gegen die Herstellererklärung müssen mit wirksamen Sanktionen belegt werden. Dazu zählen empfindliche Strafzahlungen, der Entzug von Typzulassungen und Entschädigungszahlungen an die Fahrzeughalter. Alle relevanten Daten des Vorgangs müssen sofort veröffentlicht werden. 
  4. Zur Finanzierung einer geeigneten Zahl von Kontrollmessungen wird eine Gebühr bei der Erstzulassung eines jeden Fahrzeugs erhoben. 
  5. Sämtliche bei Fahrzeugtests vor und nach der Erstzulassung erhobenen Daten müssen in einer öffentlichen und kostenlosen Datenbank unverzüglich zugänglich gemacht werden. 
  6. Die EU-Kommission überprüft die Zulassungsbehörden und Prüfinstitute und nimmt zu diesem Zweck eigene Messungen vor.

Quelle: NABU, DUH, VCD, BUND
Bild: Muscle Car Interieur, Markus Spiske, Flickr.com

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