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Der Stil entscheidet (Teil 2)
Fortsetzung von Teil 1 des Gesprächs mit Prof. Dr. Christa Liedtke, Expertin für den Zusammenhang zwischen Lebensstilen und Ressourcenverbrauch am Wuppertal Institut.
factory: Frau Prof. Liedtke, haben Sie Erfahrungen gemacht, wie sich das Verhalten in vollgedämmten oder smart ausgestatteten Häusern verändert?
Christa Liedtke: Wir haben noch keine Langzeitstudien, die dafür notwendig wären. Aber wir haben gesehen, dass mit smarten Heizungssystemen einige Haushalte etwas einsparen – zumindest in den Zwei-Wochen-Messungen, die wir durchgeführt haben – und andere Haushalte, die zuvor sehr sparsam waren, fangen plötzlich an, mehr Energie zu verbrauchen. Man erhält also beide Effekte. In Passivhäusern umgehen die Menschen häufig die Systeme, weil sie nicht nah genug an ihren Bedürfnissen und ihrem Lebensstil entwickelt sind.
Was meinen Sie genau?
Es gibt ja nicht nur die Funktion des Fensters als Lichtquelle, sondern auch die der Öffnung, um draußen den Laubbaum rauschen oder die Vögel zwitschern zu hören. Da mag der eine oder andere schmunzeln, aber das sind Erlebnisse, die die meisten Menschen nicht missen möchten. Wenn die Bewohner eines Passivhauses ihre Haustür eine Stunde aufstehen lassen, damit sie mal einen Luftzug spüren, richten sie sich in dem System ein – und damit verlieren es seine Wirkung.
Muss man die Leute wirklich erst fragen, welche digitalisierte Technologie sie haben wollen?
Eine Kollegin von der Universität Wien, Bernadette Kamleitner, stellte neulich in einem Vortrag die These auf, dass nicht wir es sind, die Produkte besitzen, sondern eigentlich diese uns: Sie bestimmen plötzlich unser Leben, fiepen uns an und drängen uns zu einer Handlung. Der Kollaps ist vorprogrammiert: Normalerweise haben wir etwa 20 bis 30 Produkte im Haushalt in ständiger Nutzung. Würden diese permanent mit uns kommunizieren, wären wir nur damit beschäftigt, diese zu regeln. Das kann nicht der Sinn unseres Lebens sein.
Es gibt keine eindeutige Empfehlung, was gut und schlecht an digitalisierter Ausstattung ist?
Wir sind an einem Kipppunkt, was wahrnehmbar und aufnehmbar ist. Wichtig wären Smart Home-Systeme, die dem Nutzer überlassen, was er will oder nicht. Zum Beispiel, ob der Hersteller der Waschmaschine den Grund der Verschmutzung seiner Wäsche erfahren soll, ob dem Gerät Außenkontakt erlaubt ist. Und die System müssen einfach und verständlich sein. Nur dann behalten die Nutzer ihre Autonomie und können diese auch ressourcenschonend einsetzen.
Wie ressourcenintensiv sind Haushaltsroboter, die staubsaugen und Kranke pflegen? Können wir uns das leisten?
Das, was wir momentan unter dem Begriff Digitalisierung alles fassen, können wir uns ressourcenmäßig nicht erlauben. Schon gar nicht mit der gegenwärtigen Gestaltung von Produkten – denn dann bekommen wir die eingesetzten kritischen Elemente nicht zurück. Die Konstrukteure denken noch nicht an die Kreislauffähigkeit – sie müssten die Produkte ganz anders gestalten. Gehen wir weiter in diese Richtung, haben wir keine Chance für alle Leistungen eine digitale und „metallische“ Versorgung zu erhalten. Unsere Gesellschaft muss sich entscheiden, welche Schritte sie wohin machen will.
Ist das Nudging, das Anstupsen, erfolgversprechend bei der Produktgestaltung?
Die Designer gestalten schon heute Produkte so, dass die Grundstellung ressourcenschonend ist. Ein Beispiel ist die Einhebel-Mischbatterie an den Waschbecken, die in der Grundstellung parallel zum Wasserhahn kaltes Wasser liefert. Nutzer müssen sie für warmes Wasser bewusst verdrehen, stellen sie aber aus psychologischen Gründen wieder in die Parallelstellung zurück. Heutige Laserdrucker sind automatisch auf beidseitigen Druck eingestellt. Gleichzeitig muss aber ein Eingriff jederzeit möglich sein. Nutzer wollen keine Bevormundung, dann umgehen sie die Systeme. Nudging ist sinnvoll und anwendbar, wenn jederzeit die Möglichkeit des Aussteigens gegeben ist.
Gelingt das bei allen Nutzern?
Die Grundwertehaltung in den untersuchten Haushalten ist sehr positiv, das haben wir festgestellt. Wir treffen natürlich auch auf bestimmte Milieus, die nicht gerade affin gegenüber dieser Problematik sind. Aber auch die haben häufig eine ethische Grundhaltung zu Dingen, die sie teuer erworben haben – und sie sind auch bereit, diese Werte zu wahren. Auf diese Weise bekommen wir sie schnell in den Themenbereich Nachhaltigkeit und können mit ihnen arbeiten, so dass sie sich ihre Wünsche auch ressourcenschonend erfüllen können. Ist der Erfolg da, freuen sich die Menschen und fragen danach häufig, wie sie weitermachen könnten.
Das lässt doch hoffen.
Das zu triggern, diese Wirksamkeit, dieses Engagement, das nutzen wir bisher leider noch viel zu wenig. Dieses Moment erreicht natürlich nicht alles, aber es kann einen erheblichen Beitrag zum Wandel leisten. Wir müssen uns als Gesellschaft in diese Richtung bewegen – wenn die Menschen das nicht mittragen, können wir es auch nicht umsetzen. Das sehen wir im Moment an dem stagnierend hohen Ressourcenkonsum: Es gibt bisher keine Umkehr. Wenn wir diese Gelegenheiten zur Umsetzung im Alltag haben, haben wir keine Ausrede mehr.
Die Produkte und Dienstleistungen müssen also von vornherein so gestaltet werden, dass sie in jedem Fall ressourcenleicht sind.
Das ressourcenleichte Angebot muss grundsätzlich sein. Dann kann auch aufaddiert werden, wie bei der Sonderausstattung beim Autokauf. Wer eine zusätzliche ressourcenintensive Dienstleistung will, muss sich bewusst dafür entscheiden und damit leben und immer wieder erkennen, dass sein Ressourcenkonsum steigt.
Dafür brauchen wir mehr Ressourcenverbrauchsanzeigen im Alltag.
Wir müssen darüber Bescheid wissen, was in den Produkten und in unseren Entscheidungen steckt. Im Moment sind wir in der Lage, die Kosten einzuschätzen und möglichst schuldenfrei zu leben, weil wir das trainiert haben. Das Gleiche könnten wir mit unseren Ressourcen machen, um ökoschuldenfrei zu werden. Es ist der gleiche Mechanismus und ließe sich ebenso trainieren. Dann bliebe den Nutzern die Entscheidung, wo sie weniger oder mehr investieren möchten, um Ressourcen einzusparen.
Von selbst entstehen derartige Produkte aber nicht.
Hier muss der Staat zumindest Anreize setzen, dass Unternehmen mit Ressourcenleichtigkeit Geld verdienen und Marktanteile gewinnen kann. Damit der Wettbewerb wieder eher um die Ressourcenleichtigkeit und die Funktion der Produkte und Dienstleistungen geht.
Könnten ein CO2-Preis und eine Ressourcensteuer Instrumente dazu sein?
Einen CO2-Preis halte ich für etwas kritisch, weil dort viele Ressourcen unter den Tisch fallen und nur die Energieträger Preisaufschläge erhalten. Das ist schon mal viel und wichtig, aber es fehlen eben viele andere Materialien. Zwar würde man in in geringere CO2-Produktion investieren, gleichzeitig steckt man für diesen Effekt aber möglicherweise mehr Ressourcen hinein als zuvor – und das wäre fatal. Die Ressourcensteuer ist das umfassendere, nachhaltigere Instrument, das solche Entwicklungen ausschließt.
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Prof. Dr. Christa Liedtke ist Biologin und Theologin und leitet den Forschungsbereich Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren am Wuppertal Institut. Sie ist Professorin für Nachhaltigkeitsforschung im Design an der Folkwang Universität in Essen und Vorsitzende der Ressourcenkommission des Umweltbundesamtes sowie Mitglied zahlreicher Expertengruppen und Jurys.
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Kommentare
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10. April 2018 um 02:04 Uhr | Kevin Richter
Spannendes Thema. Leider fehlt hier ein Link zu Teil 1.Meine Prognose: Da die Bundesregierung schon einfach zu regelnde Dinge nicht hinbekommt, werden die hier geforderten Leitplanken für eine sinnvolle Digitalisierung sehr unzureichend ausfallen.
10. April 2018 um 10:04 Uhr | R. Bindel
Leider sind die internen Links hier nicht richtig gekennzeichnet. Durch Klick auf "Teil 1" oben und unten im Text klappt es. Ebenfalls über die Navigation oben links. Sorry.Kommentar hinzufügen