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  • Grafiken der Ergebnisse der Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung zur Viertagewoche
    Ergebnisse der Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung zur Viertagewoche. Quelle: HBS/WSI

Vollzeitarbeitende wünschen sich Viertagewoche

Beschäftigte sind produktiver, weniger gestresst und krank, gesellschaftlich mehr engagiert und Natur, Klima und Gerechtigkeit profitieren ebenfalls. Auch gleiche Entlohnung gelingt, zeigen Projekte. Inzwischen wünschen sich rund 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland eine 4-Tage-Woche, die meisten mit vollem Lohnausgleich, hat eine Befragung gezeigt.

Eine Arbeitszeitverkürzung ist notwendig für die Verbesserung des Klima- und Ressourcenschutzes, für Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit: Viele Wissenschaftler*innen sehen eine geringere Wochenarbeitszeit und die Reduktion auf eine Vier- statt Fünftagewoche als einen essenziellen Hebel dazu. Einige sind überzeugt, dass ein sozial-ökologischer Umbau ohne Arbeitszeitverkürzung nicht gelingen kann.

Wirtschaft und Gesellschaft müssten dafür auch insgesamt keine höheren Kosten erwarten – die höhere Produktivität durch weniger Stress, mehr Schlaf, Zufriedenheit, die geringere Belastung von Infrastrukturen und Ressourcen würde diese ausgleichen, die gesamtgesellschaftlichen Kosten würden sich sogar verringern.

Das zeigen inzwischen viele Projekte in Unternehmen und Ländern. Zudem haben viele Arbeitende während der Covid-19-Pandemie neue Arbeitszeitmodelle und -verteilungen kennengelernt, auf die sie nicht mehr verzichten wollen – und viele Unternehmen werben nun neue Kräfte mit eine Viertagewoche an.

 

Attraktivität der Viertagewoche wächst

So steigt der Anteil der 4-Tage-Woche-Anbietenden auf Jobplattformen offenbar stark an, ebenso wie die Nachfrage. Größte Chancen haben Bewerber*innen in den Bereichen, wo es Nachwuchssorgen gibt, in Handwerk, Technik und Mechanik, heißt es.

Mit der Forderung nach einer Viertagewoche in der Stahlindustrie ist die Debatte zur Arbeitszeitverkürzung nun auch wieder öffentlich breiter bekannt. Die positive Zwischenergebnisse von Pilotprojekten wie in Großbritannien haben Schlagzeilen gemacht. Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt nun, dass uch in Deutschland viele Arbeitnehmer*innen eine Verkürzung ihrer Arbeitswoche unter bestimmten Voraussetzungen für sinnvoll halten.

Kernergebnis: Rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich demnach eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent der Erwerbstätigen würden ihre Arbeitszeit auch reduzieren, wenn dadurch das Entgelt geringer ausfiel. 17 Prozent der Befragten lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, zwei Prozent haben ihre Vollzeittätigkeit bereits auf vier Tage verteilt.

Die Befragten, die sich eine Vier-Tage-Woche wünschten, gaben an, mehr Zeit für sich selbst und für ihre Familie haben zu wollen (knapp 97 bzw. 89 Prozent; Mehrfachnennungen möglich). Lott und Windscheid schlussfolgern daraus, dass eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Beschäftigte einen sehr hohen Stellenwert hat und viele eine Vier-Tage-Woche als Instrument ansehen, das ihnen dabei hilft.

Mehr Zeit für Hobbies, Sport und Ehrenamt möchten 87 Prozent der Befragten. Eine Vier-Tage-Woche könnte also auch dabei helfen, zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken, so die Forschenden. „Zeit für Muße hat damit einen besonderen Stellenwert für gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stabilität von Demokratie.“ Rund 75 Prozent der Befragten möchten ihre Arbeitsbelastung verringern. Knapp 31 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen möchten ihre Arbeitszeit aufgrund von gesundheitlichen Problemen verkürzen.

 

Nur 17 Prozent lehnen grundsätzlich ab

Wer eine Vier-Tage-Woche grundsätzlich ablehnt, hat sehr oft das Gefühl, dass sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde (82 Prozent der 17 Prozent, die mit Nein geantwortet haben; auch hier waren Mehrfachantworten möglich) oder die Arbeit in kürzerer Zeit nicht zu schaffen wäre (rund 77 Prozent). Etwa 86 Prozent wollen ihre Arbeitszeit nicht verkürzen, weil sie Spaß an der Arbeit haben.

Bei circa 69 Prozent der Befragten ohne Interesse kann die Arbeit nach eigener Einschätzung nicht einfach einen Tag ruhen. Knapp 38 Prozent lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, weil sie häufig für Kollegen einspringen müssten, rund 34 Prozent haben das Gefühl, bei verkürzten Arbeitszeiten beruflich nicht voranzukommen.

Die Untersuchung basiert auf Daten von 2.575 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Vollzeit arbeiten und vertraglich geregelte Arbeitszeiten haben. Sie nahmen im November 2022 an der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung teil – eine Online-Panelbefragung, bei der seit April 2020 in bislang neun Wellen Berufstätige zu ihrer Arbeits- und Lebenssituation befragt werden. Die Auswahl der Befragten basiert auf strukturellen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Bundesland und Bildung. Deren Verteilung in der Stichprobe entspricht der Verteilung in der amtlichen Statistik, sodass die Ergebnisse repräsentativ für die deutsche Erwerbsbevölkerung sind.

 

Produktiv durch weniger Arbeit

Dass die große Mehrheit der Vollzeitbeschäftigten sich eine Vier-Tage-Woche bei gleichbleibendem Lohn wünscht, ist nach Einschätzung der Forschenden keine grundsätzliche Hürde für eine Arbeitszeitverkürzung. Bisherige Forschung weist darauf hin, dass Arbeitnehmer bei einer Vier-Tage-Woche produktiver arbeiten, wodurch ein Lohnausgleich kompensiert werden könne, betonen die Autorinnen Dr. Yvonne Lott und Dr. Eike Windscheid.

„Insofern handelt es sich bei der Vier-Tage-Woche um ein Arbeitszeitarrangement, das nicht nur betriebliche Gewinne verspricht, sondern auch individuell breit favorisiert wird“, schreiben die Forschenden. „Eine Verbesserung der subjektiven Zeitautonomie stellt dabei zugleich als wichtiger Aspekt von Arbeitgeberattraktivität einen Mehrwert bei der Gewinnung von Fachkräften dar.“

Weitere Vorteile sehen Lott und Windscheid für die Gesellschaft insgesamt – darin, dass sich Beschäftigte besser regenerieren können, Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren und eher gesund bleiben. „Es spricht daher viel dafür, dass Entscheidungsträger*innen in Politik, bei den Sozialpartnern sowie in Betrieben das Modell der Vier-Tage-Woche als Instrument zur Behebung des Fachkräftemangels, zur Stabilisierung von Sozialkassen, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Gesunderhaltung von Beschäftigten in Erwägung ziehen und den verbreiteten Wunsch danach unter den Erwerbstätigen ernst nehmen sollten“, schreiben die Forschenden.

 

Anpassung von Organisation und öffentlicher Infrastruktur

Jedoch müssen bei einer Vier-Tage-Woche auch die Arbeitsmenge und die Arbeitsabläufe angepasst werden. Ansonsten könnte sich eine Arbeitszeitverkürzung negativ auf die Motivation und das Wohlergehen der Beschäftigten auswirken. „Für eine wirkungsvolle Umsetzung braucht es verbindliche Vertretungsregelungen, mehr Personal sowie eine angepasste Arbeitsorganisation, z. B. Erreichbarkeitsregeln im Kundenkontakt, und eine verringerte Arbeitsmenge, z. B. durch Automatisierungsprozesse“, schreiben Lott und Windscheid.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Mehr und verlässliche öffentliche Kinderbetreuung sei auch dann nötig, wenn künftig deutlich mehr Beschäftigte vier Tage die Woche arbeiten.

Gleichzeitig dürfte die Arbeitszeitverkürzung auch den Gender-Care-Gap verringern, die Lücke in der Verteilung der Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern – ebenfalls eine essenzielle Bedingung für den sozial-ökologischen Wandel.


Mehr dazu z. B. im factory-Magazin /-in zum Thema Gender, im factory-Magazin Digitalisierung zum Thema drohender Arbeitsplatzverluste und im factory-Magazin Sisyphos im Interview mit Ernst-Ulrich von Weizsäcker.

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