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  • Dammbruch Brumadinho 2019
    Eine Schlammlawine nach dem Bruch eines Dammes kostete in Brumadinho 270 Menschenleben und zerstörte das gesamte Ökosystem des Flusses. In Brasilien gibt es 790 dieser Absetzbecken von Eisenerzminen, meist oberhalb von Orten. Bild: Wikipedia, CC BY-SA 2.0

Lieferkettengesetz: Sorgfalt ist nun Pflicht

Seit Beginn des Jahres 2023 gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Damit müssen Unternehmen die Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten erstmals auch in ihrer Lieferkette garantieren. Die EU will mit strengeren Regeln folgen.

Gesellschaftliche Verantwortung ja, aber am liebsten freiwillig, ohne Pflichten. Im Wettbewerb der Unternehmen hat das noch nie zu besonders großen Wirkungen geführt. Nach Jahren der Diskussion um die Verantwortungsübernahme und einer geringen Beteiligung an Selbstverpflichtungen hatte der Bundestag 2021 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), kurz auch Lieferkettengesetz genannt, beschlossen.

Das gilt nun seit dem 1. Januar 2023 zunächst für Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeiter*innen. Ab 2024 auch für die, die mit über 1000 Beschäftigten in Deutschland. Diese Unternehmen müssen bei direkten Zulieferern sowie anlassbezogen auch bei indirekten Zulieferern Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung ermitteln, entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen und diese gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) dokumentieren.

Die EU könnte im Mai 2023 mit einem schärferen Lieferkettengesetz folgen, von dem sich Beobachter*innen von Nichtregierungsorganisationen auch einen besseren Ressourcenschutz versprechen. Immerhin hat sie im Dezember 2022 ein Gesetz zur entwaldungsfreien Lieferkette beschlossen, das die Länder bis Mitte 2024 umsetzen müssen.

Unternehmen sollten vorbereitet sein

Vorangegangen waren dem deutschen Gesetzgebungsprozess zunächst Versuche, dass die Betriebe die Verantwortung für die sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen auch bei ihren ausländischen Lieferanten freiwillig übernehmen. Deutschland setzte ganz auf Selbstverpflichtungen der Unternehmen und lehnte noch 2018 die Unterzeichnung des UN Binding Treaty als weltweites Schutzabkommen ab. Dabei war die öffentliche Aufmerksamkeit nach Skandalen wie dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza 2013 bis zu den Schlammlawinen bei der brasilianischen Erzproduktion 2019 und der fortwährenden Kinderarbeit in Kobaltminen und Kakaoplantagen groß.

Doch die wenigen freiwilligen Selbstverpflichtungen brachten keine substanziellen Verbesserungen und gemäß dem Koalitionsvertrag von 2018 war das Lieferkettengesetz logische Konsequenz – gegen alle Widerstände der betroffenen Unternehmen.

Bis kurz vor Inkraftreten verlangten Wirtschaftsverbände und konservative Politiker wiederholt eine Verschiebung – mit dem Argument, dass die Belastung durch Corona-Pandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise und Co. so hoch seien, dass nicht noch die Sorgfaltspflicht für Menschenrechte dazukommen dürfte.

Die betroffenen Unternehmen mit Sitz in Deutschland sollten jedoch vorbereitet sein: Sie müssen nun Risikoanalysen durchführen, ein Risiko- und ein Beschwerdemanagementsystem einrichten und darüber am Ende des Jahres öffentlich berichten. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) soll das Ergebnis kontrollieren und Beschwerden verfolgen.

Guter Schutz nur bei umfassender Kontrolle

Auch ohne diese will das Bafa stichprobenartig Unternehmen in bestimmten Risikobereichen untersuchen. Bei Verstößen darf die Behörde Bußgelder erheben. Noch ist nicht bekannt, wie das Bafa diese Risikobereiche definiert und untersuchen will. Die Bußgelder können bis zu acht Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatz betragen.

Offenbar sollen die Prüfer*innen auf nationale Behörden der jeweiligen Lieferländer zurückgreifen. Aktuell sei ein Team von 50 Mitarbeiter*innen dafür zuständig, weitere werden gesucht. 133 würde es benötigen, hatte das Bafa ermittelt, jedoch nicht einmal die Hälfte bewilligt bekommen.

Allerdings soll die Mitarbeiterzahl noch einmal verdoppelt werden, wenn ab 2024 weitere 5000 Unternehmen mit über 1000 Beschäftigten ebenfalls unter die Pflicht fallen.

Ob die Behörden entlang der Lieferkette den Bafa-Prüfer*innen die geforderten Auskünfte liefern und vor allem in korrekter Form, bleibt fraglich. Sie dürften wenig Interesse daran haben, dass örtliche Unternehmen bei Verstößen Aufträge verlieren.

Investitionen in Arbeits- und Umweltschutz dürften dagegen die Lieferpreise steigen lassen – die Kette wird diese bis an den Kunden weiterreichen. Weil das durch das Gesetz jedoch alle Unternehmen entsprechender Größe betrifft, entsteht ihnen dadurch kein Wettbewerbsnachteil.

Vorausgesetzt, das Bafa prüft gründlich und die nationalen Behörden dokumentieren ehrlich, könnte sich so die Menschen- und Umweltrechtssituation in den Lieferländern verbessern.

Meilenstein für Schutzrechte und Rechtsschutz

Ein Fragenkatalog des Bafa soll den Unternehmen als Leitfaden und der besseren Vergleichbarkeit dienen. Während Wirtschaftsverbände diesen als praxisfern kritisieren, erhoffen sich andere wie Nestlé davon Rechtssicherheit – z. B. gegen Vorwürfe zu Menschenrechts- und Umweltschutzverletzungen in den Kakaoplantangen.

Auch kleinere Schokoladenanbieter wie das niederländische Unternehmen Tony's Chocolonely mit weltweit rund 270 Mitarbeiter*innen sind davon überzeugt, dass die Anforderungen umsetzbar sind, berichtet die taz.

Wie viele und welche Unternehmen das Gesetz nun in der ersten Runde 2023 betrifft, darüber gibt es keine Angaben. Angeblich würden 1300 Unternehmen überprüft.

In Deutschland dürften darunter vor allem Konzerne von Amazon, Bayer, VW bis Thyssenkrupp sein.

Die Initiative Lieferkettengesetz und das CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung begrüßt das Inkrafttreten als Meilenstein. Endlich müssten Unternehmen nun Verantwortung für die Bedingungen ihrer Lieferketten übernehmen.

Allerdings fehle im Gesetz vor allem eine zivilrechtliche Haftungsregel, die Betroffene besser schütze. Außerdem vernachlässige das Gesetz viele Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes. "Was wir nun brauchen, ist eine gute Umsetzung in Deutschland und der Einsatz für eine starke EU-Regulierung, die die Lücken im deutschen Gesetz dauerhaft schließen kann", sagte Johanna Kusch, Koordinatorin der Initiative Lieferkettengesetz.

Gerade weil das Bafa der einzige Durchsetzungshebel für das Gesetz sei, müsse dieser gut greifen, so Heike Drillisch vom CorA-Netzwerk: "Allein der Nachweis von Zertifizierungen oder die Beteiligung an Industrieinitiativen kann nicht als ausreichender Beleg gelten, dass die Sorgfaltspflichten eingehalten wurden."

Das Gesetz sieht zudem vor, dass die Behörde auf Antrag Betroffener hin tätig werden kann. "Dieses Antragsverfahren muss so gestaltet werden, dass es gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zugänglich, legitim und berechenbar ist", fordert Drillisch.

EU könnte deutsches Lieferkettengesetz verbessern

Die Hoffnungen der Initiativen liegen darauf, dass die europäische Lieferkettenregulierung mit strengeren Regeln die Lücken des deutschen Gesetzes füllt. Der Europäische Rat der Mitgliedstaaten hat am 1. Dezember 2022 seine Position zu einem diesbezüglichen Vorschlag der Europäischen Kommission beschlossen. Die Positionierung des Europäischen Parlaments wird für Mai 2023 erwartet, danach müssen sich alle drei Institutionen auf eine gemeinsame Regelung einigen.

Bisher gibt es in der EU nur einen Entwurf, die "Corporate Sustainability Due Diligence Directive" (CSDDD). Wird dieser wie geplant im Mai verabschiedet, haben die Mitgliedsstaaten danach zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in ein eigenes nationales Gesetz umzuwandeln. Bis 2025 müsste dann auch Deutschland nachschärfen.

Denn die europäische Regelung beträfe bereits europäische Unternehmen sowie in der EU tätige Firmen aus Drittstaaten ab 500 Mitarbeitenden und mit mehr als 150 Millionen Euro Umsatz – rund 9.400 Unternehmen, berichtet n-tv.de bzw. Capital.

Die so genannten Risikobranchen fallen bereits ab 250 Angestellten und 40 Millionen Euro Umsatz darunter – wie bspw. die Textil- und Lederindustrie, die Land- und Forstwirtschaft und der Bergbau, rund 3.400 Unternehmen.

Die Unternehmen müssen laut Entwurf nicht nur die komplette Lieferkette prüfen, sondern auch deren Nutzer und Entsorger. Zudem werde die neue EU-Regelung voraussichtlich eine zivilrechtliche Haftung für Firmen enthalten, Betroffene können somit Schadensersatz vor europäischen Gerichten einklagen.

Die neuen Regeln des LkSG betreffen Zulieferer aus dem In- und Ausland, auch kleine und mittlere Unternehmen, selbst Reinigungsfirmen oder Kantinenbetreiber.

Inzwischen gibt es einige Software-Anbieter und Beratungsunternehmen für das Sustainable-Supply-Chain-Management. Der Integrationsprozess gilt als aufwändig, soll aber auch Vorteile durch Standardisierung und Einsparungen bringen.

Zudem dürften die Regeln ohnehin mit der Zeit strenger werden. Auch KMU, die nicht transparent berichten, stehen dann zunehmend im Wettbewerb mit denen, die Transparenz bieten.


Mehr zu gerechten Handel im factory-Magazin Handel und mehr zur Notwendigkeit des Ressourcenschutzes als universellem "Schlüsselschutz" im factory-Magazin Ressourcen. Immer noch lesenswert: Freiwillig nur unter Zwang zu Bedingungen des Wandels im factory-Magazin Trans-Form.

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