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  • Wolken über der Meeresoberfläche
    Speicher von Erderwärmung, CO2 und biologischer Vielfalt: Die Hohe See. Der Boden darunter: Die Tiefsee. Gefährdet: Beide. Bild: Tiago Fioreze, CC BY-SA 3.0

Abkommen zum Schutz der Hohen See erneut gescheitert

Der Schutz der Hochsee, die rund zwei Drittel der Meere ausmacht, kommt nicht voran. Die UN-Staaten sind auch beim fünften Versuch gescheitert, die biologische Vielfalt der Ozeane wenigstens ein bißchen zu schützen. Gleichzeitig nehmen die Ambitionen zur Ausbeutung der Tiefsee zu.

Die Hohe See ist das größte Gemeingut der Erde und weitgehend ungeschützt – neben der Erdatmosphäre. Doch was mit dem Paris Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung 2015 gelang, das scheint beim Schutz der Weltmeere auch 2022 noch nicht möglich zu sein: Die Verhandler*innen der UN-Staaten konnten sich auch nach fast zwei Wochen in New York City nicht darüber einigen.

Seit 15 Jahren laufen die Verhandlungen dazu. Das Treffen der Staatsvertreter*innen vom 15. bis 27. August war die fünfte große Konferenz zum Schutz der Biodiversität.

Für den Schutz der Meere gibt es nicht ein einziges Anliegen wie bei den UN-Klimagipfeln, den Conferences of the Parties (COP), deren 27. im November in Ägypten stattfinden soll. Der Meeresschutz teilt sich in verschiedene Verhandlungsgebiete, deren oberste Ebene das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ist (SRÜ), bekannt unter dem Kürzel UNCLOS (United Nations Convention pn the Law of the Sea).

Geteilter Meeresschutz

Insgesamt gliedert sich das SRÜ in 17 Teile und 320 Artikel. Wichtigste Regelung ist die über die Hoheitsbefugnisse der Küstenstaaten, dann in abnehmender Entfernung von der Küstenlinie die über Hoheitsgewässer. die ausschließliche Wirtschaftszone (mit Ausbeutung aller Ressourcen), den Festlandsockel, der nicht deckungsgleich mit dem geologischen Kontinentalschelf sein muss und die Hohe See oder Hochsee, die alle Teile umfasst, die nicht zu den vorher genannten Zonen gehören.

Die Hohe See steht allen Staaten zur Nutzung offen, die UN hat das Gebiet und seine Ressourcen 1970 zum "gemeinsamen Erbe der Menschheit" (Common Heritage of Mankind) erklärt. Mit der Einrichtung der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Athority – ISA) 1994 wollte das SRÜ auch die Ausbeutung der Bodenschätze der Tiefsee regeln. Die auf dem Meeresboden lagernden Knollen enthalten außer Mangan vor allem Cobalt, Kupfer und Nickel.

Um den Schutz und die Nutzung der biologischen Vielfalt der Hochsee zu regeln, hatte die UN-Vollversammlung 2017 eine "Intergovernmental Conference" (IGC) eingerichtet, die dazu ein international bindendes Abkommen erzielen sollte. Und diese "Intergovernmental Conference on Marine Biodiversity of Areas Beyond National Jurisdiction" (UNBBNJ) kam nun nach 2018 zum fünften Mal zusammen, um endlich eine Vereinbarung zu erreichen – insbesondere zur Biodiversität und dem Einfluss der Überfischung und Ökosystemstabilität. Schließlich waren bis 2017 diese Aspekte innerhalb des UNCLOS-Rahmenwerks rechtlich nicht geregelt.

Das Meer als größter Speicher

Gerade vor diesem Hintergrund ist es besonders traurig, dass ein so wichtiges Abkommen zur so wichtigen Vielfalt des Meereslebens wieder nicht zustande gekommen ist. Umwelt- und Naturschützer*innen in aller Welt hatten zuvor große Hoffnungen auf die Verhandler*innen gesetzt. Angesichts der sich gegenseitig verstärkenden Klima-, Arten-, Energie- und sozialer Krise wächst das Interessse, die Ressourcen des Meeres zugunsten der wohlhabenden Staaten auszubeuten – obwohl genau ihre ökosystematische Zusammenarbeit noch die Speicherung von CO2, Wärme und genetischer Vielfalt sichert.

Bisher steht nur weniger als ein Prozent der Hohen See unter Schutz, das globale Ziel sieht dagegen 30 Prozent bis 2030 vor. Damit soll der enorme Wärmespeicher der Hochsee weiterarbeiten können, der 90 Prozent der Erderhitzung aufnimmt – marine Hitzewellen treten inzwischen häufiger und länger auf, mit Folgen für Stürme, Fluten und Verlust von Nahrungsketten.

Zu den vier Themen der Konferenz gehörte die Einrichtung von Schutzgebieten, die Verbesserung der Einschätzung von Umwelteinflüssen, die Beschaffung von Kapital und Forschungskapazitäten für sich entwickelnde Länder und die Teilhabe an der Nutzung der genetischen Ressourcen. Von deren vielfach noch unbekannten Möglichkeiten versprechen sich vor allem die reichen Staaten Vorteile für die Produktion von Medikamenten, Industrieprozessen und Lebensmitteln.

Obwohl über 70 Länder sich bereits vor der Konferenz zur 30-Prozent-Schutz-bis-2030-Regel bekannt hatten, kamen sie bei den Kernfragen zu Fischereirechten und der Unterstützung der zu sich entwickelnden Länder nicht überein.

Interessen an Ressourcen

Beobachter*innen von Nichtregierungsorganisationen wie WWF und Greenpeace beklagten, dass besonders die reichen Staaten wie die USA, aber auch Russland sich zu wenig komprissbereit zeigten. Dennoch liegt die Hoffnung nun darauf, dass eine "special emergency session" noch vor Ende 2022 die Einigung bringen kann. Ansonsten trifft die Konferenz erst wieder im nächsten Jahr zusammen – der Vielfach-Speicher der Weltmeere schrumpft bis dahin weiter.

Dass für den umfassenden Schutz der Meere die fragmentierten Verhandlungen über die Tiefsee und die Hohe See zusammengeführt werden müssen, darauf hatte im Juli 2022 das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS Potsdam) hingewiesen.

Diese Regelungen seien zu fragmentiert, um den langfristigen Schutz der Meeresumwelt zu gewährleisten. Vor allem in den Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit nehme der Druck auf die Ökosysteme durch intensivere Nutzung und den Klimawandel zu, sagte die Erstautorin einer diesbezüglichen Studie, Sabine Christiansen.

Als „Best Practice“ in der Governance des Ozeans gilt laut IASS der Ökosystemansatz. Dieser steuert menschliche Aktivitäten mit dem Ziel, die Gesundheit räumlich definierter Ökosysteme zu erhalten oder wiederherzustellen. „Beim Management menschlicher Aktivitäten ist ein Wandel nötig: Wir brauchen einen umfassenden globalen Governance-Ansatz. Der Ökosystemansatz ist hierfür am vielversprechendsten, denn er bietet einerseits einen klaren Rahmen, ermöglicht andererseits aber auch maßgeschneiderte Lösungen für den spezifischen Kontext“, erläutert Christiansen.

Tiefseebergbau dürfte dann nur in dem Maß genehmigt werden, in dem die regionalen und globalen Umweltqualitätsziele und -standards nachweislich nicht beeinträchtigt werden. Der Ökosystemansatz sehe auch eine breite Partizipation von Interessengruppen, eine laufende Bewertung der Umweltauswirkungen des Tiefseebergbaus sowie ein umfassendes Risikomanagement im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip vor.

Bisher sind die guten Absichten des G7-Gipfels in Elmau und der UN-Ozeankonferenz in Lissabon mit dem "Ocean-Deal" weder bei den Konferenzen der Meeresbodenbehörde noch der UNBBNJ zur Umsetzung gekommen.

Ohne Vorschriften kein Tiefseebergbau

Gleichzeitig wird der Druck auf die Hohe See und ihren Boden, die Tiefsee, durch die Ambitionen zum Bergbau größer. So verlangt der pazifische Inselstaat Nauru bis Juli 2023 von der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) vorschriften für seinen Tiefseebergbau.

Das zuständige Unternehmen Nori, in Nauru gegründet und registriert, ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des in Kanada ansässigen Unternehmens „The Metals Company“ (zuvor Deep Green).

Bislang hat die ISA ein Regelwerk für Abbautätigkeiten in Bezug auf drei verschiedene Arten von Mineralien geschaffen: für polymetallische Knollen, polymetallische Sulfide und für kobaltreiche Ferromangankrusten. Bis zum 1. Januar 2022 hat die ISA 31 Explorationsverträge vergeben, aber noch keine Anträge oder Verträge für den Abbau geprüft oder vergeben. Ein Hauptgrund dafür ist laut Pradeep Singh, dem Autor einer IASS-Studie, dass „die Entwicklung von Vorschriften zur Erleichterung von Abbauaktivitäten noch nicht abgeschlossen ist“.

Die meisten Meereswisschaftler*innen sprechen sich dafür aus, den Tiefseebergbau aufgrund seiner höchstwahrscheinlich immensen Folgen auf die Artenvielfalt auszusetzen – und keine statt wenig vollständiger Abbauvorschriften durch die ISA zu entwickeln.

Bezüglich des Antrags von Nauru erklärt Pradeep Singh, dass die ISA sich nicht unter Druck setzen lassen solle, eine Abbaugenehmigung nicht automatisch garantiert sei, wenn die Frist nicht eingehalten werde.

Mehr zur Bedeutung der Biodiversität im factory-Magazin Vielfalt, zur Rolle der Meere im factory-Magazin Baden gehen und zu den besten Speichern von Kohlenstoffdioxid (CO2) im factory-Magazin Klimaneutral – oder auf den Themenseiten.

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