Industrie

Ressourceneffizienz 4.0 für eine klimaneutrale Industrie

Gerade kleinen und mittleren Industriebetrieben bietet die Digitalisierung große Möglichkeiten, ihre Bilanzen zu verbessern – bei Ressourcen, Kosten und Emissionen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in der höheren Transparenz über die eigenen Prozesse und eingesetzten Ressourcen. Das zeigen die Projekte aus der Praxis der Ressourceneffizienzberatung: Mit dem Ansatz der Ressourceneffizienz 4.0 entstehen in Unternehmen ressourcenschonende, kreislauf- und wettbewerbsfähige Produkte und Prozesse – und Unternehmen können damit zu neuen Geschäftsmodellen innerhalb einer klimaneutraler werdenden Industrie finden.

Von Peter Jahns


Klimaneutralität lautet die Aufgabe, die wir als Gesellschaft in den nächsten Jahre und Jahrzehnten umsetzen müssen – in den Kommunen, den Regionen und den Unternehmen. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral wirtschaften und hat seine Klimaschutzziele entsprechend angepasst. Die Energiewirtschaft und die Industrie müssen dabei zunächst den Löwenanteil an Emissionsreduktionen erbringen – so hat es die neue Bundesregierung 2021 in ihrem Programm festgelegt. Die fossile Energieerzeugung soll möglichst bald auslaufen und die erneuerbare Stromproduktion ebenso schnell wachsen. Grüner Wasserstoff soll die energieintensive Industrie bei Stahl, Chemie und Zementproduktion annähernd treibhausgasneutral werden lassen – unvermeidbares CO2 soll möglichst zurückgewonnen und wiederverwendet (CCU – Carbon Capture and Utilisation) oder unterirdisch gespeichert (CCS – Carbon Capture and Storage) werden.

Doch damit ist es nicht getan: Nötig ist auch eine Änderung unserer Wirtschaftsweise. Ein Wandel hin zu einer Circular Economy, in der nicht nur Rohstoffe zurückgeführt werden – wie es in der klassischen Kreislaufwirtschaft bereits geschieht –, sondern durch ein intelligentes Produktdesign technische Teile und Materialen wiederholt im Nutzungskreislauf gehalten werden können. Das kann beispielsweise durch Refurbishing oder Remanufacturing geschehen; Methoden, wie sie bereits das factory-Magazin Circular Econmy (2017) beschreibt.

So geht auch die EU-Kommision davon aus, dass 50 Prozent der Emissionsvermeidungen emtsprechend ihres Green Action Plans nur in Verbindung mit Maßnahmen der Circular Economy zu erreichen sind. Die Entwicklung einer umfassenderen Kreislaufwirtschaft steht deswegen gleichrangig neben der Energiewende auf der Agenda. „Wir haben das Ziel der Senkung des primären Rohstoffverbrauchs und geschlossener Stoffkreisläufe“, heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung.

Sie will langlebige, reparaturfähige, recycelbare Produkte, dazu Mehrweg-, Rücknahme- und Pfandsysteme sowie digitale Produktpässe und ein Recyclinglabel einführen. Damit stehen nicht nur klimaneutrale Industrie, erneuerbare Energie- und Wasserstoffwirtschaft als große Themen im Programm – auch Produkte, Geschäftsmodelle und Rahmenbedingungen sollen sich verändern.

In den sich zur Klimaneutralität entwickelnden Märkten gilt damit für produzierende Unternehmen: Die agile, flexible und stetige Anpassung von Organisation, Prozessen und Produkten, die Entwicklung eines „zirkuläres Designs“ von Produkten ist eine der wichtigsten Bedingungen für ihre Zukunftsfähigkeit.

Ressourcenschutz ist der beste Klimaschutz“ bleibt also ein gültiges Credo. Denn jede nicht der Natur entnommene Tonne Rohstoff benötigt auch keine Energie für Extraktion, Transport und Verarbeitung – und vermeidet somit Emissionen. Ein möglichst effizienter Einsatz von Ressourcen bzw. die effiziente Kreislaufnutzung von entnommenen und verarbeiteten Stoffen ist also das Ideal einer klimaneutralen Wirtschaftsweise.

Ein Blick auf die Kosten zeigt ebenfalls die bleibende Bedeutung der Ressourceneffizienz: Mit durchschnittlich rund 42 Prozent sind sie für Rohstoffe und Material der größte Ausgabenblock in produzierenden Unternehmen in Deutschland – weit vor denen für Personal mit 18 Prozent und für Energie von nur rund zwei Prozent, ermittelte das Statistische Bundesamt 2017.

Steigen die Kosten durch Umweltzerstörung, z. B. wegen Knappheiten und Begrenzungen, vertieft sich dieses Verhältnis, zumal die Grenzkosten für erneuerbaren Strom weiterhin sinken werden. Hinzu kommt die Transparenzpflicht: Die Lieferketten- und Klimagesetzgebung wird langfristig alle Rohstoffe und Vorprodukte gerechter bepreisen und damit nicht-nachhaltige Produktion verteuern.

 

Ressourceneffizienz 4.0

Gegenüber der klassischen Automatisierung bietet die zunehmende Digitalisierung der Prozesse und Lieferketten wesentlich mehr. Mit ihr lassen sich nahezu alle Produktions- und Logistikprozesse in der gesamten Wertschöpfung bis hin zu den Konsument*innen besser und schneller vernetzen. Diese Vernetzung und Auswertung verfügbarer Daten von Materialien, Maschinen, Lieferanten und Kunden führt – richtig angewendet – auch zu einer erheblichen Verbesserung der Ressourceneffizienz.

Werden die Daten von Sensoren, Aktoren und Akteuren zwischen den Unternehmensebenen von Planung über Produktion bis Vertrieb und Internet ausgetauscht – und ebenso innerhalb dieser Ebenen –, lässt sich der Ressourceneinsatz deutlich optimieren.

Digitalisierung führt dabei nicht automatisch zur Ressourcenschonung. Nötig ist, diese Systeme nicht nur auf die Minimierung von „Zeit“ und „Kosten“ auszurichten, sondern die Ressourcenschonung mit ihrer positiven Wirkung auf Natur- und Klimaschutz ganz bewusst miteinzubeziehen.

Was bisher konventionell und linear geschah, lässt sich nun weitgehend digital, mit Hilfe vernetzter Assistenz und zukünftig vermehrt künstlicher Intelligenz lösen. Softwaresysteme passen Produktion und Ressourceneinsatz in Echtzeit den Erfordernissen an, die Wertschöpfungskette agiert intelligent, kreislauffähig und klimaneutral, so die Vision einer super-ressourceneffizienten „Smart Factory“ – doch selbst ihre Vorstufen arbeiten bereits besser als unvernetzt.

In der Effizienz-Agentur NRW entstand dafür der Begriff der Ressourceneffizienz 4.0. Mit ihr lässt sich auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette der Verbrauch materieller und energetischer Ressourcen abbilden und damit auch gezielt verringern: auf der Prozessebene durch bessere Steuerung und Auslastung von Maschinen, auf Produktebene durch kreislauffähiges Design und Verlängerung der Lebensdauer, bessere Wartung und vorausschauendem Austausch von Komponenten ebenso wie durch Recycling codierter Bestandteile – sowie auf Systemebene durch ein Zusammenwachsen von Produkten und Dienstleistungen zu ganz neuen Systemlösungen und -innovationen.

Abhängig vom eingesetzten Material fallen die Netto-Einsparungen sehr unterschiedlich aus: Sie sind bei jenen Materialien höher, die einen großen Aufwand an Energie und Rohstoffen für ihre Herstellung benötigen. In der Praxis wird die so erreichte Ressourceneffizienz zwar nur als Nebeneffekt der digitalisierten Prozessautomatisierung angesehen. Fest steht aber, dass eine systematische Messung und Auswertung von Ressourcenverbräuchen unabdingbar ist, wenn Unternehmen ihre Ressourceneffizienzpotenziale nutzen wollen und müssen.

 

Digitalisierung als Werkzeug

Die Potenziale zur Ressourceneinsparung durch die Möglichkeiten der Digitalisierung sind also groß. Allerdings haben zum Beispiel in NRW die rund 12.000 produzierenden KMU mit 20 bis 500 Mitarbeiter*innen und die rund 19.000 Handwerksbetriebe mit größeren Potenzialen zur Ressourcenschonung bisher wenig Kapazitäten, sich neben dem Tagesgeschäft diesen zukunftssichernden Themen zu widmen. Genau hier setzt die Arbeit der Effizienz-Agentur NRW (EFA) an, die sie dabei beratend unterstützen kann – und wenn möglich auch eine finanzielle Förderung der Umsetzung durch die öffentliche Hand vermittelt.

Denn das Ziel der EFA – die Begleitung der Unternehmen auf dem Weg zur ressourceneffizienteren Produktion – hat sich ja durch die Digitalisierung nicht geändert. Was sich hingegen für die Rat suchenden Betriebe stark verändert hat, sind deren Möglichkeiten, Produktionsabläufe zu planen, zu steuern und Produkte oder Dienstleitungen an die individuellen Bedürfnisse der Kunden anzupassen. Alle Handlungsansätze, die Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung bei einer effizienteren Prozessgestaltung zu unterstützen, fasst die EFA seit 2018 deswegen unter der Bezeichnung „Ressourceneffizienz 4.0“ zusammen.

Wichtig ist, Digitalisierung als zweckdienliches Werkzeug zur Verminderung von umweltbelastenden Material- und Energieverbräuchen und nicht als Selbstzweck zu begreifen – oder lediglich zur Rationalisierung oder weil es gerade Trend ist. Ressourceneffizienz 4.0 ist vor allem ein Instrument, das Unternehmen bei ihrer Arbeit hilft. Doch wie bei allen Werkzeugen ist es entscheidend, mit welcher Intention man sie einsetzt. Hier gilt es wie gesagt den Indikator „Ressourceneffizienz“ nicht aus den Augen zu verlieren.

So ist die Digitalisierung einer Produktionslinie kein Allheilmittel. Die Erfahrungen in Projekten zu Industrie 4.0 in Gießereien oder bei Oberflächenveredlern (z. B. Galvaniken oder Lackierereien) zeigen, wie sinnvoll es ist, durch eine Ressourceneffizienz-Analyse zunächst eine vollständige Prozesstransparenz herzustellen. Die Firmen erhalten die nötige Transparenz über den jeweiligen Materialeinsatz und die damit zusammenhängenden CO2-Emissionen.

Diese Daten bilden die Grundlage, um ERP-Systeme einzuführen oder anzupassen. So können zunächst die entscheidenden Erfolgsindikatoren für eine wettbewerbsfähigere Produktion ermittelt und die Ressourcenschonung durch technische Maßnahmen verbessert werden. Auf dieser Basis lässt sich dann durch eine Digitalisierung der Produktion die Zukunftssfähigkeit des Betriebes noch weiter steigern: Das ist Ressourceneffizienz 4.0.

 

Die Handlungsfelder erkennen

Aufgrund der Komplexität realer Produktionsprozesse stellt die Digitalisierung jedoch gerade kleine und mittlere Unternehmen vor große Herausforderungen. Oft werden dabei Software-Lösungen implementiert, ohne die bestehenden Geschäftsabläufe im Vorfeld zu hinterfragen. Darin bestehen jedoch gerade die Chancen auf ressourceneffizientere Prozesse, neue ressourcenschonende Produkte oder resilientere Geschäftsmodelle. Der Sinn der Ressourceneffizienz 4.0 ist es ja, aus Millionen Daten Informationen für intelligentere Prozesse zu gewinnen, diese aufzubereiten und für zur Steigerung der Ressourceneffizienz zu nutzen. Vor der Digitalisierung muss also die Prozessanalyse stehen.

In der Beratungspraxis der EFA betrachten wir dafür gemeinsam mit den Unternehmen ihre vier wichtigsten Handlungsfelder zur Leistungserbringung: Auftragsklärung und -abwicklung, Kalkulation und Unternehmenszukunft. Die ersten drei gelten als fest verankert und gleichrangig, die Unternehmenszukunft ist dagegen gerade in der anstehenden Transformation zur Klimaneutralität von größter Bedeutung – hier kommen neue Geschäftsprozesse ins Spiel.

Denn auch scheinbar profane Prozesse wie die Auftragsklärung sind essenziell für die Ressourceneffizienz 4.0: Hier werden alle wesentlichen Parameter der Ausführung geklärt – ungenaue Vorgaben führen damit zu fehlerhaften Produkten, Überproduktion und Falschlieferungen – und somit zu Ressourcenverlusten.

Digitale Prozesse, richtig eingesetzt, verschlanken und beschleunigen die Auftragsklärung und schaffen die Grundlage für die ressourcenschonende Auftragsabwicklung. Deren Planung, Arbeitsvorbereitung, Visualisierung und Durchführung sollten auf demselben Datensystem wie die Auftragsklärung arbeiten, da die Datenbasis identisch ist und sich so Übertragungsfehler durch Medien- oder Systembrüche vermeiden lassen. Der vollständige Informationsfluss ist dabei Garant für stabile Prozesse, eine programmgesteuerte Warenwirtschaft das Rückgrat einer effizienten Produktion. Sämtliche gesammelten Daten von Rüstzeiten bis Auslastung und Warenbestand lassen sich für Verbesserungsprozesse nutzen.

Zentral ist auch die Rolle der Kalkulation für die Steigerung der Ressourcenproduktivität – gerade bei sich stärker individualisierenden Kundenwünschen. Denn wer richtig kalkuliert, kann materialintensive Aufträge richtig bewerten und auf Basis von Stücklisten und Arbeitsplänen strategische Entscheidungen treffen. Voraussetzung ist dafür ebenfalls Transparenz über die Kostenverteilung – also eine entsprechend aufbereitete Datenfülle aus der Produktion.

Während die ersten drei Handlungsfelder zum Betriebsalltag gehören, wird ausgerechnet die Frage nach der Unternehmenszukunft in KMU häufig an den Rand gedrängt – in sich klimaneutral transformierenden Märkten ist das zunehmend riskant.

Sicher: Die Frage nach der Unternehmenszukunft stellt sich nicht jeden Tag aufs Neue, aber es ist wichtig, dass sich die Unternehmensleitung kontinuierlich auch mit gesellschaftlichen Veränderungen befasst, um rechtzeitig Auswirkungen auf das betriebliche Geschehen antizipieren zu können.

Vor dem Hintergrund der weltweiten Ressourcenverknappung und -verteuerung ist es äußerst ratsam, Ressourceneffizienz als strategisches Element der Unternehmensentwicklung zu begreifen. Gleichzeitig gilt: Um schneller auf Änderungen reagieren zu können, sollte der Produktentwicklungsprozess agil gestaltet und der Ressourcenverbrauch immer mitgedacht werden – schließlich sind 80 Prozent der Umweltauswirkungen und Kosten eines Produktes bereits durch das Design festgelegt.

Um den zukünftigen Anforderungen der Circular Economy zu genügen, sollte das Produkt unkompliziert herzustellen, gut zu reparieren und Instand zu halten sein und sich am Ende seiner Nutzungsdauer problemlos demontieren lassen. Eine Produktentwicklung nach ecodesign-Kriterien ist dafür essenziell.

Ein „Circular Design“ ist die Basis für eine nachhaltige Senkung des Material- und Energieverbrauchs über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes hinweg. Solche Produkte bieten einen unmittelbaren Mehrwert: Sie verbrauchen weniger Ressourcen während ihrer Gebrauchsphase und sind nutzerfreundlich in der Wartung und Reparatur.

Hinzu kommt, dass die Produktion zukünftig modular und automatisiert aufgebaut wird und die Einbindung der Mitarbeiter*innen selbstverständlich sein sollte. Denn auch digitale Veränderungsprozesse sind nur dann erfolgreich, wenn die Belegschaft von Anfang an mit eingebunden ist und die Kommunikation transparent ist.

 

Die Vorteile sichern

Für immer ressourceneffizienter werdende Unternehmen ergeben sich so existenzsichernde Vorteile gegenüber den weniger veränderungswilligen: Sie reduzieren Kosten durch weniger Materialeinsatz, ihre Produkte lassen sich in den klimabewusster orientierten Märkten besser absetzen und sie verschaffen sich Zugang zu Förder- und Investitionsmitteln.

Wie die Beratung zu Ressourceneffizienz 4.0 strukturiert ist und wie vielfältig die Ansatzpunkte dafür in den Unternehmen sind, hat die EFA auf ihrer Website ressourceneffizienz.de genauer ausgeführt.

Die wachsende Sammlung der Best-Practice-Beispiele zeigt, wie groß die Einsparungen an Materialverbrauch und Kosten durch die Ressourceneffizienzmaßnahmen sein können. Bis zur Erreichung der Klimaneutralität muss es dann auch gar nicht mehr weit sein. So ist z. B. die Edelstahlgießerei Friedr. Lohmann in Witten bereits 2021 die erste klimaneutrale ihrer Art in Deutschland – unter anderem auch mit einem von der EFA unterstützten Projekt einer automatisierten, ressourcensparenden modularen Fertigungslinie, die Materialverluste, Stromverbrauch, CO2- und Staubemissionen deutlich reduziert.

Für die konkrete Lösung der Aufgabe, die Industrieproduktion aller Unternehmensgrößen und damit auch die Gesamtwirtschaft klimaneutral zu gestalten, ist gerade die Ressourceneffizienz 4.0 essenziell. Ihre Datenerfassung und -verbindungen sind die Grundlage für eine erfolgreiche Circular Economy, weil sie der Schlüssel für die Entwicklung ressourcenschonender Geschäftsmodelle ist. Eine Dekarbonisierung der Energiezulieferung führt ohne Ressourceneffizienz nicht zur Klimaneutralität – das ist der Elefant im Raum, den es zu erkennen gilt.

Dr.-Ing. Peter Jahns leitet die Effizienz-Agentur NRW.

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