Design

Mit Circular Design zum ressourcenschonenden Unternehmen

Die Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen ist für eine ressourcenschonende und damit klimaneutrale Wirtschaft essenziell. Wer sich zur zirkulären Umgestaltung entschließt, hat für die kommende Circular Economy die besten Karten – denn an ihr führt in der EU und global kein Weg vorbei. Hinzu kommen die Vorteile einer größeren Sicherheit gegenüber Risiken der Lieferkette.
Von Linda Dierke und Stefan Alscher

Der Weg zur Klimaneutralität ist vorgegeben: Deutschland will bis 2045 so weit sein, bis 2050 die EU und die meisten Staaten der Welt. Das ist nicht etwa nur ein abstraktes Klimaziel, sondern bittere Notwendigkeit, um den Verlust der Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen von Mensch und Natur einigermaßen in Grenzen zu halten. Ohne eine klimaneutrale Energieerzeugung und weitgehende Kreislaufführung innerhalb einer Circular Economy sind diese Ziele nicht zu erreichen, das steht zumindest fest.
In den nächsten 20 Jahren müssen produzierende Unternehmen also dafür sorgen, dass sie neben der Energieversorgung ihre Geschäftsmodelle, Produkte und Leistungen auf Zirkularität umstellen. Die Weichen dafür stellen EU und Länder in den nächsten Jahren über Gesetze, Richtlinien und Normen. Für die Wirtschaft führt also kein Weg daran vorbei, sich mit ihren Produkten und Geschäftsmodellen zu beschäftigen und sie möglichst ressourceneffizient und zirkulär zu gestalten. Wer jetzt damit startet, hat im entstehenden Markt nicht nur die besseren Chancen, sondern macht sich auch schneller unabhängig von Risiken der Lieferkette.

Denn neben den Auswirkungen der Energie- und Klimakrise ist auch die Bedeutung einer sicheren (Roh)Stoffversorgung und planbarer Preise sichtbar geworden. Die „Selbstverständlichkeit der permanenten Materialverfügbarkeit“ existiert nicht mehr, das lassen auch die geopolitischen Entwicklungen erahnen. Der globale Wirtschaftskrieg um Ressourcen verschärft sich – auch wenn es der letzte sein dürfte. Schließlich stehen alle vor der gleichen Aufgabe: Der Ressourcenverbrauch muss weltweit um die Hälfte sinken, um funktionierende Gesell- und Wirtschaften erhalten zu können.  

Viele Unternehmen in Deutschland sehen offenbar diese Risiken. Im Allianz Risk Barometer vom Januar 2023 nennen die meisten Befragten Unterbrechungen der Lieferkette (46 Prozent) als größtes Geschäftsrisiko – noch vor Cyberangriffen (40 Prozent) und Energieversorgung (32 Prozent). Europaweit stehen die Lieferkettenrisiken mit 37 Prozent an zweiter Stelle knapp hinter den Cyberangriffen mit 39 Prozent.

Die Erfahrungen aus der Pandemie und dem Ukraine-Krieg dürfen nun nicht dazu führen, dass „wir jetzt das Thema Circular Economy auf die Agenda setzen und später wieder vergessen, sobald wieder bessere Zeiten kommen“, mahnt auch die BDI-Initiative Circular Economy. „Es geht darum, unsere Industrie langfristig krisenresilient aufzustellen: Rohstoffgewinnung im eigenen Wirtschaftssystem durch Materialkreislaufführung!“ Die Initiative verweist ebenfalls auf die Zahlen des World Resources Instituts (WRI), demzufolge sich die Rohstoffförderung bis 2060 sogar verdoppeln werde, wenn sie ihr derzeitiges Wachstumsmuster beibehält.

Klimaneutralität, -Compliance und Kunden 

Das volkswirtschaftliche Konzept der Circular Economy halten also auch Industrievertreter*innen für das beste Rezept, um die Rohstoffversorgung innerhalb der planetaren Grenzen zu gewährleisten sowie Klima und Biodiversität zu schützen. Schließlich könnte eine Verdoppelung der globalen Circular Economy Leistung in den nächsten zehn Jahren die Treibhausgasemissionen bis 2032 um 39 Prozent und den gesamten materiellen Fußabdruck um 28 Prozent reduzieren, so eine Studie des WRI.

Für die europäische Wirtschaft gibt die EU mit dem 2021 beschlossenen Circular Economy Action Plan die Richtung vor. Enthalten sind darin legislative Entwicklungen zum Recht auf Reparatur, zu einer neuen Ökodesign-Verordnung und weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen wie die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD). Damit werden zunehmend die Ziele und Anforderungen auf die Unternehmen übertragen. Im Rahmen des European Green Deals zur Sicherung der Klimaneutralität bis 2050 sind weitere Maßnahmen geplant. Auch die deutsche Bundesregierung will 2024 eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) verabschieden, die Expert*innen aus Industrie, Politik und Wissenschaft sektorübergreifend erarbeiten sollen.

Die Bedingungen des Marktes werden sich also auf dem Weg zur Klimaneutralität zwangsläufig verschärfen, ob restriktiver oder langsamer, wird auch von externen Wandelentwicklungen abhängen. Um in einem zukunftsfähigen klimaneutralen Markt bestehen zu können, sollten sich Unternehmen stärker als bisher der eigenen zirkulären Transformation widmen und herausfinden, was sie innerhalb ihres Aktionsraumes tun können.

Die beste Möglichkeit dazu sind die Ansätze des Circular Designs, denn sie umfassen nicht nur die Umgestaltung von Produkten, sondern schließen auch Geschäftsmodelle ein. Während auf Produktebene Aspekte wie Langlebigkeit, Modularität oder Upgradefähigkeit betrachtet werden, stellt sich auf Geschäftsmodellebene die Frage, ob der Umsatz weiterhin dadurch erwirtschaftet werden kann, “möglichst schnell, möglichst viele Produkte” zu verkaufen, oder ob verschiedene Services, wie Rücknahmekonzepte oder der Verkauf der nachgefragten Leistung langfristig lukrativer sind. Zwar ist das Mantra der Circular Economy das Produktdesign, aber wirklich innovativ sind eher die servicebasierten Geschäftsmodelle, die mit „Langlebigkeit“ und der sprichwörtlichen Qualität von „Made in Germany“ einhergehen, heißt es auch beim BDI.

Diese Optionen gehen an den Kern der Unternehmen. Sie gleichen einer “Operation am offenen Herzen“, wenn sowohl Produkte als auch das Geschäftsmodell im laufenden Betrieb verändert werden. Daher ist es ratsam, sie frühzeitig, strukturiert und unter Einbindung von Geschäftsführung, Belegschaft sowie Lieferanten und Kunden im Wertschöpfungsnetzwerk anzugehen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, eigene zirkuläre Ansätze zu entwickeln, um ökologischen und ökonomischen Herausforderungen im Sinne der Materialverknappung standzuhalten. Nicht zuletzt ist es ja auch so: Wer jetzt in einer größtenteils noch „in eine Richtung denkenden”, linearen Welt beginnt, zirkulär zu denken, entwickelt damit auch gegenüber seinen Wettbewerbern entscheidende Vorteile.  

Wie starten Unternehmen ihre Circular Design Reise?

Mit Circular Design wird der gesamte Produktlebenszyklus überdacht, von der Materialauswahl bis hin zu Überlegungen zum Ende des Nutzungs- oder Lebenszyklus. Zirkuläres Design ist ein starker Katalysator für den Wandel, der es Unternehmen ermöglicht, Produkte und Systeme zu entwickeln, die innovativ sind und mit den Grundsätzen einer Circular Economy übereinstimmen. Beispiele für die  Vielfalt der Lösungen reichen von aufbereiteten (refurbished) Elektronikgeräten, Büromöbeln und Maschinen über mietbare Küchen und dazu erhältliche Stilpakete bis hin zu Fahrrädern oder Licht in Abo-Modellen. Es gilt herauszufinden, welche Ansätze dem eigenen Unternehmen, Kunden und der Umwelt Vorteile bringen. Folgende Schritte können den Einstieg erleichtern:

Aufklärung und Bewusstseinsbildung:
Beginnen Sie damit, sich selbst und Ihr Team über Circular Design und seine Bedeutung für Ihre Branche zu informieren. Begreifen Sie die Grundsätze der Circular Economy und die potenziellen Vorteile für Ihr Unternehmen als Zukunftssicherung.

Bewerten Sie aktuelle Praktiken:
Führen Sie eine umfassende Bewertung Ihrer aktuellen Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle durch. Machen Sie sich ein Bild von den Umweltauswirkungen Ihrer Produkte, vor allem auch vor und nach Ihrem Einflussbereich. Wie müssten sich Ihr Produkt und Geschäftsmodell verändern, damit Ihr Ressourceneinsatz durch zirkuläre Lösungen reduziert wird?

Setzen Sie sich Ziele und entwickeln Sie eine Strategie:
Definieren Sie klare Ziele und Vorgaben für Ihre Ansätze im Circular Design. Zu diesen Zielen könnte ein Redesign Ihres Produktes, die Steigerung der Ressourceneffizienz oder die Einführung von Produktrücknahmeprogrammen gehören. Entwickeln Sie eine Strategie mit den erforderlichen Schritten und Maßnahmen. Beachten Sie dabei auch Anforderungen Ihrer Kunden und politische Regularien.

Beginnen Sie klein und -setzen Sie Prioritäten:
Beginnen Sie Ihre Reise in Richtung Circular Economy, indem Sie sich auf ein bestimmtes Produkt, einen Prozess oder einen Aspekt Ihres Unternehmens konzentrieren. Wenn Sie klein anfangen, können Sie die Umsetzung erleichtern und aus den Erfahrungen lernen. Setzen Sie Prioritäten in Bereichen, die erhebliche Auswirkungen haben oder in denen die Kundennachfrage nach nachhaltigen Produkten und Verfahren hoch ist.

Arbeiten Sie zusammen und bauen Sie Partnerschaften auf:
Arbeiten Sie mit Lieferanten, Kunden und Branchenpartnern zusammen, um ein Kreislauf-Ökosystem zu fördern. Eine zirkuläre Lieferkette kann nur akteursübergreifend realisiert werden und erfordert unter Umständen auch die Einbindung Ihnen bisher unbekannter Akteure.

Investieren Sie in -Forschung und Entwicklung:
Stellen Sie Ressourcen für Forschungs- und Entwicklungsbemühungen bereit, die sich auf Circular Design konzentrieren wie z. B. Design für Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Demontage, um die Lebensdauer von Produkten zu verlängern und Abfall zu reduzieren.

Pilotprojekte und Lernen:
Führen Sie Pilotprojekte durch, um Circular Economy Konzepte zu testen und zu validieren. Überwachen Sie die Ergebnisse, sammeln Sie Feedback und identifizieren Sie verbesserungswürdige Bereiche. Lernen Sie aus diesen Pilotinitiativen, um Ihren Ansatz zu verfeinern und erfolgreiche Praktiken in Ihrem Unternehmen zu verbreiten.

Engagieren Sie Stakeholder und kommunizieren Sie:
Sprechen Sie mit Ihren Stakeholdern, einschließlich Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und der breiteren Öffentlichkeit. Kommunizieren Sie Ihr Engagement für Circular Economy und teilen Sie die Fortschritte, die Sie machen.

Überwachen, evaluieren und verbessern Sie:
Messen Sie die wichtigsten Leistungsindikatoren wie Abfallreduktion, Ressourceneffizienz und Kundenzufriedenheit. Bewerten Sie kontinuierlich Ihre Fortschritte, lernen Sie aus den Ergebnissen und entwickeln Sie Ihre Strategien weiter, um Ihre Zirkularität zu steigern.

Welche Hilfestellung gibt es?

Nichtregierungsorganisationen, Forschungseinrichtungen und Expert*innen beschäftigen sich konkret mit Methoden zur Unterstützung von Unternehmen in der zirkulären Transformation und haben eine ganze Bandbreite an Tools entwickelt, die ständig wächst.

Einen systematischen Einstieg finden Unternehmen beispielsweise in der so genannten CIRCO-Workshop-Methode. Diese hilft zunächst bei der Beantwortung der Frage, was Circular Design für das Unternehmen bedeutet. Mit ihrem strukturierten Ansatz unterstützt sie dann Unternehmen bei der Entwicklung von kreislauffähigen Produkten und Geschäftsmodellen. Dazu kombiniert sie Instrumente, Austausch und fachliche Beratung und lässt Teilnehmer*innen direkt am eigenen Produkt arbeiten. Die größte Herausforderung besteht darin, den größten Wertverlustpunkt – also den Punkt, an dem besonders viele Ressourcen ungenutzt bleiben oder verloren gehen – mit einer Kombination aus Design- und Geschäftsmodellstrategie zu eliminieren und als Chance für ein neues Geschäftsmodell zu nutzen.

Die Gillrath Ziegel- u. Klinkerwerk GmbH & Co. KG hatte sich beispielsweise im Rahmen eines CIRCO-Workshops grundlegend mit der eigenen Wertschöpfungskette vom Rohstoff bis End-of-Life beschäftigt und dabei mehrere Circular Design Potenziale identifiziert. Ein großer Wertverlustpunkte im langen Leben eines Ziegels entsteht neben einem möglicherweise frühzeitigen Abbau des Gebäudes durch Umbau oder Abriss vor allem durch Klinkerbruch- und Schnittabfälle auf der Baustelle. Klugerweise hat das Unternehmen als Sofortmaßnahme ein Rückführsystem entwickelt. Die Verschnitte werden retourniert und als Ziegelmehl wieder in die Produktion eingebracht. Aktuell arbeitet Gillrath an der Weiterentwicklung des Rücknahmesystems sowie der Umsetzung eines neues Closed-Loop-Ziegels. Ziel ist es, den Einsatz von Primärmaterial erheblich zu reduzieren und damit auch die Abhängigkeit der Rohstoffzufuhr zu senken.

Eine weitere Herausforderung kann für Unternehmen darin bestehen, dass die Lebens- und Nutzungszyklen ihrer Produkte nicht immer deckungsgleich sind. Beispiel Spielzeug: Kinder verlieren das Interesse am geliebten Spielzeug oder „wachsen heraus“, obwohl es noch ohne Einschränkungen funktioniert. Es landet auf Dachböden oder in Kellern – oder findet über Freunde und Gebrauchtwarenplattformen neue Nutzer*innen. Die Nichtnutzung ist somit einer der größten Wertverlustpunkte. Das erkannte auch die Boxine GmbH und etablierte 2022 ein Rücknahmesystem für nicht mehr genutzte Tonieboxen. Diese werden laut Hersteller für eine weitere Nutzungsphase aufbereitet und zu einem vergünstigten Preis angeboten.

Auch in der sehr trendorientierten Möbelbranche bewegen sich Unternehmen Richtung Zirkularität. Beispiel Ikea: Als Unternehmen mit großer Marktmacht verfügt es über das Potenzial, den Möbelmarkt zu revolutionieren. Das ambitionierte Ziel, bis 2030 vollständig zirkulär zu sein, zeigt, dass Circular Economy an die erste Stelle der Agenda des Unternehmens gerückt ist. Mit einer flächendeckenden Verteilung und großer Marktdurchdringung besitzt Ikea die Möglichkeit, Rücknahmesysteme leichter zu etablieren, Second-Hand-Märkte aufzubauen oder Mietmodelle zu entwickeln.

Wird es in Zukunft den Begriff “Abfall” noch geben?

Die genannten Beispiele stellen das herkömmliche Prinzip des Abfalls in Frage und sehen Produkte von heute als Rohstoffdatenbanken der kommenden Jahre, ohne dass die Produkte wesentlich anders gestaltet sind. Denn es ist fraglich, ob es für Unternehmen strategisch sinnvoll ist, nach dem eigenen Werkstor keinen Zugriff mehr auf die verarbeiteten Materialien zu haben. Wäre es nicht sinnvoller, Eigentümer der Materialien zu bleiben und so die eigene Rohstoffversorgung zu sichern? Jeder zurückgegebene Klinker, jede Toniebox und jeder Stuhl stellt kostenfreien Rohstoff für das Unternehmen dar und spart im besten Falle noch Entsorgungskosten auf Kundenseite.

Auch im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung wachsen die Möglichkeiten der Kontrolle über das Material. So lassen sich Zusammensetzung sowie Auf- und Rückbau von Produkten in einem Digitalen Produktpass bündeln und Kunden sich so über Energieeffizienz und Nachhaltigkeitsaspekte informieren. Die Effekte eines zirkulären Produkt- und Dienstleistungsdesigns lassen sich über die Simulation in einem „digitalen Zwilling“ erfassen und verbessern, sprach- und bildgesteuerte Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, bestehende Produkte zirkulär zu gestalten. Die Plattform „Lernende Systeme“ enthält dazu zahlreiche Beispiele, über erste Erfahrungen damit hat das factory-Magazin „Industrie“ (2-2021) berichtet.
Circular Design wird in jedem Fall das Vehikel sein, um die lineare Wirtschaft umzugestalten und ganze Logistikketten, Umsatzmodelle, Kooperationen und Produkte zirkulär auszurichten und ungenutzten Materialien eine neue Identität zuzuschreiben. Sie geht weit über eine Kreislaufwirtschaft nach Kreislaufwirtschaftsgesetz hinaus, die „Abfall“ als Wirtschaftsgut behandelt.    

Linda Dierke leitet den Geschäftsbereich „Entwicklung und Kooperation“ der Effizienz-Agentur NRW und berät zusammen mit Stefan Alscher zu Circular Design und Circular Economy.

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