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Wie sich das Klimaziel 2030 sicher erreichen lässt

Im deutschen Klimaschutz geht es nicht voran, die Emissionen steigen in einzelnen Sektoren wie im Verkehr sogar oder gehen nicht genügend zurück wie bei Energie und Landwirtschaft. Nachdem das gesetzte Klimaziel 2020 krachend verfehlt wird, droht durch das Nicht-Handeln der Regierung auch das neue Ziel 2030 zu scheitern. 60 Organisationen der Zivilgesellschaft haben im Vorfeld des Regierungsprogramms ihren Maßnahmenplan vorgestellt, wie Deutschland seinen Teil zum globalen Klimaschutz beitragen kann, ohne an Wohlstand zu verlieren.

Es ist nur eine kleine Randnotiz, aber es zeigt das Dilemma, in dem die deutsche Bundesregierung steckt. Das BIP, das Bruttoinlandsprodukt, der klassisch-konventionelle Gradmesser für wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand ist in den Sommermonaten geschrumpft, um 0,2 Prozent, so das Statistische Bundesamt. Das Bundeswirtschaftsministerium macht dafür die neuen Abgastests für Fahrzeuge verantwortlich. Die bereiten den deutschen Autobauern offenbar solche Probleme, dass sie weniger Autos produzieren. Verschärfte Grenzwerte kosten also. Mindestens Investititonen, in jedem Fall beeinträchtigen sie bisherige Geschäftsmodelle. Ebenso wie der Ausstieg aus der Braunkohle, wie auch der aus der Steinkohle, ebenso der Umstieg aus der Verbrennertechnologie im Verkehr, bei den Gebäuden, in der Landwirtschaft und beim Ausbau der dafür notwendigen erneuerbaren Energien.

Dass damit allerdings auch erhebliche Innovationen einhergehen und neue Arbeitsplätze in zukunftsfähigeren Branchen entstehen, das scheint die gegenwärtige Wirtschaftspolitik nicht zu sehen. Es fehlen die Perspektiven für die Regionen, die abhängig sind von den alten Technologien, von Braunkohle, vom Verbrenner. Wenn schon die IGBCE- und verdi-Gewerkschafter*innen mit AfD-Anhänger*innen gemeinsam für #Hambimussweg marschieren – wie soll es dann bloß werden, wenn bei 800.000 Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie auf ein Sechstel schrumpft, weil mit dem e-mobile Antriebsstrang nur noch ein Sechstel der Wertschöpfung erzielt wird?

Dabei gibt es genug Konzepte, wie die Transformation erreicht werden kann. Der Wandel zu mehr Klimaschutz, zur verbindlichen Einhaltung internationaler Klimaschutzvereinbarung, zur Sicherung von Wohlstand und Beschäftigung – nicht nur im eigenen Land, sondern in Europa und im vom Klimawandel besonders betroffenen Süden.

Knapp 60 Seiten umfasst das Maßnahmenprogramm Klimaschutz 2030 der deutschen Zivilgesellschaft, das ihre Vertreter*innen heute in Berlin vorstellten. Darin fassen Expert*innen von 60 Organisationen von B.A.U.M. über Bioland, Brot für die Welt, BUND, Fair Finance Institute, Germanwatch, Global Marshall Plan, Nabu, unternehmensgrün, Fairtrade, VCD, WWF bis hin zum Zukunftsrat Hamburg zusammen, wie die gesetzten Klimaziele tatsächlich erreicht werden können. Denn dass das neue 2030-Ziel von 55 Prozent weniger Treibhausgasen gegenüber 1990 bis dahin erreicht wird, ist angesichts des bisherigen Handelns genauso wahrscheinlich, wie das Scheitern mit 32 Prozent statt der gesetzten 40 Prozent Reduktion bis 2020.

Hintergrund der heutigen Vorstellung des Programms mit dem Titel "Wann, wenn nicht jetzt!" ist der Termin der Veröffentlichung des Maßnahmenprogramms der Bundesregierung. Am 20. November 2018 will sie das vorstellen. Auch der Klimaschutzbericht 2018 soll dann erst offiziell veröffentlicht werden, obwohl bereits die Daten bekannt geworden sind. Das Maßnahmenprogramm 2030 mit Reduktionszielen für alle Sektoren wie Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Industrie und Gebäude soll nach der geplanten Veranschiedung im Kabinett im Frühjahr rechtlich fixiert werden. Der Koalitionsvertrag 2018 sieht ein Gesetz vor, das die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 und eine Umsetzung der Sektorziele gewährleistet.

Erst vor wenigen Tagen erschien ein Bericht über die Klimaschutzanstrengungen der 20 wichtigsten Industriestaaten, die weit hinter dem zurückbleiben, was für die Einhaltung der vereinbarten Pariser Ziele eigentlich getan werden müsste. Einer der größten Verweigerer ist dabei offenbar Deutschland, das sich unbeweglich bei richtungsgebenden Politikmaßnahmen zeigt, so dass auch andere europäische Länder nicht voran kommen.

In Berlin stellten deswegen vier Vertreter der beteiligten Verbände ihr Papier auf einer Pressekonferenz vor. Zentrale Forderungen sind – wie schon so häufig von vielen wissenschaftlichen Instituten errechnet – ein baldiger Kohleausstieg, die schnelle Umsetzung der Verkehrs- und Agrarwende sowie ein ambitionierter CO2-Preis.

„Deutschland wird das Klimaziel 2020 drastisch verfehlen. Für das 2030-Ziel ist das keine Option. Der Klimawandel wartet nicht auf politische Entscheidungen. Bis Mitte des Jahrhunderts müssen wir weitgehende Treibhausgasneutralität erreichen. Die Bundesregierung ist dringend gefragt, ihrerseits geeignete Maßnahmen vorzulegen und sofort mit der Umsetzung zu beginnen“, erklärte Antje von Broock vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). „Ein Klimaschutzgesetz muss für rechtliche Verbindlichkeit in allen Sektoren sorgen. Eine konsequente, sozial gerechte und naturverträgliche Energiewende ist ein essentieller Bestandteil, um die Klimaziele zu erreichen. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist dabei zentral. Die älteste und klimaschädlichste Hälfte der Kraftwerke muss bereits kurzfristig vom Netz“, so von Broock weiter.

Neben der Energiewende muss nach Ansicht der Verbände endlich auch die Verkehrswende eingeleitet und umfassend umgesetzt werden. „Die Bilanz der deutschen Klimaschutzpolitik im Verkehr ist desaströs. Die CO2-Emissionen sind seit 1990 im Gegensatz zu anderen Sektoren sogar gestiegen. Ein Weiterwurschteln verbietet sich. Wir brauchen den Einstieg in die ökologische Verkehrswende. Sie dient nicht nur dem Klimaschutz, sondern führt zugleich zu besserer Luft, weniger Lärm und schafft letztlich die Voraussetzungen für mehr Lebensqualität“, sagte Gerd Lottsiepen vom ökologischen Verkehrsclub VCD. Um die Zielvorgaben auf der nationalen und europäischen Ebene zu erreichen, bedürfe es dringend eines ebenso konkreten wie verbindlichen Handlungsrahmens. „Die Bundesregierung muss sich international für ambitionierte CO2-Grenzwerte einsetzen und konsequent ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag – wie Verdoppelung der Fahrgastzahlen bei der Bahn bis 2030 – umsetzen. Zu-Fuß-Gehen, Fahrradfahren, Busse und Bahnen müssen gefördert werden. Klimaschädliche Subventionen gilt es endlich abzubauen“, so Lottsiepen.

Auch der Agrarsektor trägt erheblich zum Klimaproblem bei. Ein Großteil der Emissionen der Landwirtschaft stammt aus der Tierproduktion. Die zentrale Herausforderung liege daher in der deutlichen Reduzierung der Tierbestände, so Gerald Wehde von Bioland: „Dies wird nur gelingen, wenn der inländische Konsum, aber auch der Export tierischer Lebensmittel, erheblich reduziert werden. Dem Motto ‚Klasse statt Masse‘ folgend muss der ökologische Landbau als klimafreundliches Anbausystem konsequent ausgebaut werden. Wir brauchen weniger Stickstoffeinsatz, mehr Dauergrünland und eine an die Fläche angepasste Zahl von Tieren sowie vielfältige Fruchtfolgen auf dem Acker.“ Umso wichtiger sei es, alle Hebel bei der Neugestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik auf EU-Ebene in Bewegung zu setzen, so Wehde.

Michael Schäfer vom WWF Deutschland verweist auf den seit 2008 konstant hohen Treibhausgas-Ausstoß Deutschlands. „Deutschland hat beim Klimaschutz ein Jahrzehnt verloren und droht ein weiteres zu verlieren, wenn die Bundesregierung nicht endlich einen umfassenden Katalog von Klimaschutzmaßnahmen beschließt. Dafür machen wir heute konkrete Vorschläge. Die Regierungsparteien prokrastinieren und blockieren, statt ihre Arbeit zu machen. Das können wir uns nicht länger leisten, der Sonderbericht des Weltklimarats IPCC und der Hitzesommer haben uns das noch einmal eindrücklich vor Augen geführt. Aus dem IPCC-Bericht entsteht ein klarer Handlungsauftrag: Kein weiteres Jahr darf für den Klimaschutz verloren gehen. Grundlage allen Handelns muss die Ausrichtung an einem 1,5-Grad kompatiblen Pfad sein. Ein effektiver CO2-Mindestpreis würde auf diesen Pfad hinlenken und das 2030-Ziel näher rücken.“

Das Maßnahmenprogramm beleuchtet zum einen die Bereiche Energie, Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft aus dem Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung. Darüber hinaus ist die Umgestaltung von Steuern und Abgaben sowie des Finanzwesens notwendig, um die Klimaziele zu erreichen. Eine zukunftsfähige Klimapolitik bezieht auch das Bildungssystem mit ein und fördert ein geschlechtergerechtes Leben und Wirtschaften.

Das Forderungspapier „Wann, wenn nicht jetzt! Das Maßnahmenprogramm Klimaschutz 2030 der deutschen Zivilgesellschaft“ soll in den kommenden Monaten mit Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung diskutiert werden. Die Klima-Allianz Deutschland hat das Projekt mit einer Förderung durch das Bundesumweltministerium koordiniert. Zahlreiche Mitglieder der Klima-Allianz Deutschland und weitere Organisationen haben an dem Papier mitgewirkt.

Mehr zum Gelingen von Transformationen und was die verschiedenen Akteure dafür tun oder nicht tun müssen, lesen Sie im factory-Magazin Trans-Form.

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