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  • Das Dorf Bento Rodrigues nach dem Dammbruch eines Absetzbeckens einer brasilianische Mine 2015. Bild: Senado Federa, CC BY 2.0

Verantwortungsvolle Produktion: Bundestag beschließt Lieferkettengesetz mit Lücken

Nach langen Jahren der Diskussion um mehr Verantwortungsübernahme inländischer Unternehmen für die Menschenrechte und Umweltstandards bei der Produktion von Waren und Rohstoffen auch außerhalb Deutschlands, ist nun ein erster Schritt dazu im Parlament beschlossen worden. Ab 2023 gilt das neue Lieferkettengesetz, das zunächst nur mit abgeschwächten Regeln und Zuständigkeiten in Kraft tritt.

Es waren die großen Skandale, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Bedingungen lenkten: Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza, die zerstörerischen Schlammlawinen bei der Erzproduktion, die Kinderarbeit in Kobaltminen und Kakaoplantagen, die Zerstörung von Regenwald für Palmöl, Futtermittel und Gartenmöbel. Obwohl die meisten Waren und Rohstoffe für Produkte von Unternehmen in Deutschland aus anderen Ländern stammen, haften sie nicht für die dort bzw. in ihrer Liefer- oder Wertschöpfungskette bei der Produktion geschehenden Menschenrechts- und Umweltschutzverletzung.

Freiwillige Selbstverpflichtungen brachten keine substanziellen Verbesserungen und so hatte sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2018 verpflichtet, die unternehmerische Sorgfaltspflicht per Gesetz einzufordern, wenn nicht wirklich die Mehrheit der deutschen Großunternehmen bis zum Jahr 2020 entsprechende Prüfprozesse freiwillig veranlassen. Bereits 2016 hatte die Bundesregierung den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte beschlossen, der auf die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationene (UNLP) von 2011 zurückgeht.

Weil bis Ende 2020 weniger als die Hälfte der am Monitorinprozess beteiligten Unternehmen die Sorgfaltspflichten erfüllte, und auch bei einer Unternehmensbefragung der Beratungsagentur EY offenbar nur 20 Prozent der Unternehmen angaben, für geltende Standards in der Lieferkette zu sorgen, war ein Lieferkettengesetz dank des Engagements vieler Nichtregierungsorganisationen trotz des großen Widerstands der Wirtschaft und seiner Verbände kaum noch aufzuhalten. Schließlich sprachen sich laut einer Umfrage von Infratest dimap 2020 rund 75 Prozent der Bürger*innen für ein Lieferkettengesetz aus.

Dennoch hat der heftige Widerstand der Wirtschaftsverbände und -vertreter*innen viele Abstriche an dem zunächst verabredeten Entwurf bewirkt: So gilt das neue "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz" (LkSG) ab dem 1. Januar 2013 zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten, ab 2024 auch für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeiter*innen. Vorgesehen war ursprünglich eine Verantwortung ab 500 Mitarbeiter*innen.

Die Initiative Lieferkettengesetz, der von Brot für die Welt, BUND, DGB, Greenpeace bis ver.di seit 2019 18 Organisationen angehören, begrüßt das Gesetz – die meisten ihrer Vertreter*innen erleichtert aber kritisch – als politischen Kompromiss. Als solcher umfasse er eine Reihe von Punkten, die aus zivilgesellschaftlicher Perspektive zu begrüßen seien, weil sie zu einer größeren menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt von Unternehmen in ihren Lieferketten beiträgen könnten. Gleichzeitig greife der Kompromiss jedoch an vielen Punkten deutlich zu kurz, wodurch das Gesetz nicht wirksam genug sei und nicht ohne weiteres als Vorbild für ein geplantes europäisches Lieferkettengesetz dienen könne.

Immerhin leite das Gesetz einen dringend notwendigen Paradigmenwechsel von freiwilliger Corporate Social Responsibilit (CSR) zu verbindlichen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Vorgaben für Unternehmen ein. Damit seien die Unternehmen grundsätzlich zur Sorgfalt entlang ihrer gesamten Lieferkette verpflichtet, auch die behördliche Durchsetzung und Sanktionen bei Verstößen sind geregelt – das Bundesamt für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das selbst heftig gegen das Gesetz intervenierte, kann Bußgelder und den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen verhängen. Das Gesetz sieht auch vor, dass Betroffene von der BAFA entsprechende Prüfungen vornimmt, ebenso dass NGOs und Gewerksachaften ihre Rechte vor deutschen Gerichten einklagen.

Geregelt sind einige wenige umweltbezogene Pflichten, die sich aus drei von Deutschland ratifizierten Übereinkommen ergeben, die im Wesentlichen jedoch auf den Schutz der menschlichen Gesundheit abzielen. Diese sehen die Vermeidung von langlebigen Schadstoffen (POP-Konvention) und von Quecksilber-Emissionen (Minimata-Abkommen) sowie die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von gefährlichen Abfällen (Basler Übereinkommen) vor. Über die Abkommen hinaus erfasst das Gesetz die Schutzgüter Boden, Wasser und Luft im Rahmen der menschenrechtlichen Risiken.

Umfassender als im Entwurf erfasst der Beschluss nun auch ausländische Unternehmen, die in Deutschland eine Zweitniederlassung mit mehr als 3000 Mitarbeiterden haben – und Tochter mit "bestimmendem" Einfluss ebenfalls dazugerechnet werden. Betriebsräte erhalten einen entsprechenden Beratungsanspruch, um als Interessenvertretungen für die Stärkung von Sozialstandards, Menschenrechten und Umweltpflichten zu wirken.

Dennoch ist die Initiative Lieferkettengesetz mit dem beschlossenen Kompromiss noch lange nicht am Ziel. Denn das Gesetz wurde auf Druck einiger Wirtschaftsverbände, des CDU-Wirtschaftsrats und des Bundeswirtschaftsministers an vielen Stellen entscheidend geschwächt. Durch diese Schwachstellen büße das Gesetz an Wirksamkeit ein und falle in Teilen hinter die UNLP zurück, beklagt die Initiative.

So gelten die Sorgfaltspflichten vollumfänglich nur für den eigenen Geschäftsbereich und für unmittelbare, nicht aber für mittelbare Zulieferer. Weil ein Großteil der Menschenrechtsverpflichtungen gerade am Beginn der Lieferkette, also im Bereich der mittelbaren Zulieferer, zu verzeichnen sind, würden diese von Unternehmen auch nicht erkannt und vermieden.

Zudem fehle eine zivilrechtliche Haftungsregel, nach der Unternehmen für Schäden haften, die sie durch Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben. Geschädigte seien mit ihren Forderungen daher weiterhin so gut wie chancenlos, Unternehmen deswegen zu wenig besorgt.

Das Gesetz berücksichtige Umweltaspekte nur marginal, eine eigenständige und umfangreiche umweltbezogene Sorgfaltspflicht fehlt, bemängelt die Initiative Lieferkettengesetz. Auch die Regelungen für eine wirksame Abhilfe und Wiedergutmachung für Betroffene sowie eine Beteiligung von Betroffenen am Verfahren griffen zu kurz, zudem sei die Anzahl der erfassten Unternehmen zu gering, auch kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) könnten erhebliche Auswirkungen auf Menschenrechte und Umweltschutz haben, wenn sie in einem Risikosektor tätig seien.

Weiterhin bestünden große Lücken bei den Themen Geschlechtergerechtigkeit und indigene Beteiligungsrechte, monieren die NGOs. Außerdem müsse sichergestellt werden, dass ein Multistakeholder-Gremium die Prüfarbeit des zuständige BAFA begleite. Weil auf Druck von Teilen der CDU-Fraktion ins Gesetz aufgenommen war, dass dieses keine haftungsrechtliche Anspruchsgrundlage begründe, würden die Geschädigten in ihren Menschenrechten nicht ausreichend gestärkt, erklären die Initiativen-Vertreter*innen.

Von der künftigen Bundesregierung erwartet die Initiative, dass die deutsche Regierung das Gesetz entsprechend nachbessert und sich auf EU-Ebene für ein Lieferkettengesetz einsetzt, das die genannten Schwachstellen behebt.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bedauert in ihrer Kritik besonders, dass Umweltbelange bis auf wenige Ausnahmen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im konkreten Zusammenhang mit einer Menschenrechtsverletzung stehen, wie beispielsweise einer Gesundheitsschädigung. Biodiversitätsverlust und Klimawandel, etwa durch Waldzerstörung, blieben dabei komplett unberücksichtigt.

Das Gesetz setze damit erst da an, wo die meisten Umweltschäden schon geschehen seien - am hinteren Teil der Lieferkette, sagt Tina Lutz, Campaignerin für Naturschutz und Biologische Vielfalt bei der DUH. "Da aber ist der Baum schon gerodet und das Kupfer bereits geschürft. Dem Präventionsgedanken wird das Gesetz damit nicht gerecht."

Bild: Das Dorf Bento Rodrigues nach dem Dammbruch. Von Senado Federal - Bento Rodrigues, Mariana, Minas Gerais, CC BY 2.0

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