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EU-Parlament will Höchstgrenzen für Luftschadstoffe

400.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr wegen anhaltender Luftverschmutzung sind eigentlich ein Skandal. Das Europaparlament hat nun endlich eine Richtlinie verabschiedet, die Höchstgrenzen für sechs wichtige Luftschadstoffe festlegt, darunter Schwefeldioxid, Partikel und Stickstoffoxide. Hintergrund ist auch das VW-Dieselgate-Drama.

Es gibt auch mal Gutes aus Straßburg und Brüssel zu berichten: Das Europäische Parlament hat Umwelt- und Gesundheitsbelangen bei der Abstimmung zur Luftqualität Vorrang gegenüber Industrieinteressen eingeräumt – trotz des großen Lobbydrucks von Industrie- und Landwirtschaftsverbänden. "Das Parlament hat sich klar auf die Seite der Bürgerinnen und Bürger gestellt und zum Umweltschutz verpflichtet. Kurz vor der wichtigsten Klimakonferenz im Dezember in Paris ist das ein deutliches Bekenntnis für Klimaschutz", lobte Hubert Weiger das Ergebnis. Er ist Vorsitzender des Bundes Umwelt und Natur Deutschland.

Bei der "Richtlinie zur Verringerung der nationalen Emissionen bestimmter Luftschadstoffe und der Änderung der Richtlinie 2003/35/EG" handelt es sich um eine zentrale Weichenstellung in der europäischen Luftreinhaltepolitik. Diese Richtlinie legt für jeden EU-Mitgliedsstaat Höchstgrenzen und Reduktionsziele für bestimmte Schadstoffe für die Jahre 2020, 2025 und 2030 fest. Außer Ammoniak, flüchtigen organischen Verbindungen, Schwefeldioxid und Stickoxiden enthält der Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission zusätzlich Feinstaub und Methan. Besonders positiv ist, dass auch für das Jahr 2025 verbindliche Reduktionsziele für diese Luftschadstoffe festgelegt wurden. Zusätzlich haben die Parlamentarier eine Reduktion von Quecksilber-Emissionen beschlossen. Das giftige Schwermetall entsteht unter anderem bei der Verbrennung von Kohle.

Die Parlamentarier verlangen, dass die geplante Richtlinie zur Einführung einer „nationalen Emissionshöchstmenge“ (die Höchstmenge eines Stoffes in Kilotonnen, die in einem Mitgliedstaat während eines Kalenderjahres emittiert werden darf) auch zur Verringerung von Quecksilberemissionen beiträgt. Zuvor jedoch soll die Kommission eine Folgenabschätzung zu Quecksilber vornehmen, bevor eine nationale Emissionsreduktionsverpflichtung bestimmt wird.

"Diese Gesetzgebung wird auf allen Regierungsebenen in den Mitgliedstaaten eine willkommene Unterstützung darstellen, einschließlich der regionalen und sub-regionalen Behörden, die sich so stark dafür eingesetzt hatten. Die Bürger an der Basis fordern, dass hier endlich etwas getan wird", sagte die Parlaments-Berichterstatterin Julie Girling (EKR, UK).

Negativ bewertete der BUND, dass die EU-Parlamentarier die Chance vergeben haben, stärkere Reduktionsziele für die Mehrzahl der Luftschadstoffe festzulegen. Dies hatte zuvor der Umweltausschuss vorgeschlagen. "Diese Entscheidung des Parlaments ist nicht nachvollziehbar, weil Luftverschmutzung die gravierendste Umweltursache für Todesfälle in Europa ist", sagte Weiger. "Auch dass bei dem Reduktionsziel für Methan die direkten Emissionen von Wiederkäuern ausgenommen wurden, ist nicht akzeptabel. Dies ist ein Kniefall vor der industriellen Massentierhaltung, die zu den größten Verursachern von klimaschädlichen Treibhausgasen in der Landwirtschaft zählt", kritisierte Weiger. Methan entsteht zu einem großen Teil in der Massentierhaltung, ist Vorläuferstoff für bodennahes Ozon und wirkt besonders klimaschädlich.

Anlässlich des VW-Dieselgates drängte das Parlament die Kommission auf baldige Einigung bei der Festlegung der Verfahren für Tests zur Ermittlung der Emissionen unter realen Fahrbedingungen. Doch die EU-Kommission wiederum folgte in dieser Woche den Wünschen der Industrie. Weil die Motoren in der Realität mehr Stickoxide ausstoßen und mehr Treibstoff verbrauchen, als vom Hersteller garantiert, dürfen neue Modelle ab 2017 einfach mehr als doppelt so viel Stickoxid ausstoßen, wie nach der Euro-6-Norm vorgeschrieben (80 Milligramm pro Kilometer). Die Autobauer hatten sich zuvor gesorgt, die Vorgaben unter dem neuen Testverfahren nicht einhalten zu können.

Ein anderes Verfahren zur Beschleunigung der technischen Entwicklung wäre, laut Ernst-Ulrich von Weizsäcker in der factory Sisyphos, würde die EU-Richtlinie die geforderte Reduktion mit einer Luftschadstoffsteuer koppeln und die Industrie für Luftverbesserungen entlasten. Mit diesem Pingpong-Effekt kämen sowohl Menschen wie auch Industrie schneller zu besserer Luft und Klima.

Damit wird es mit den vielen Toten und den hohen Kosten noch ein Weilchen so weitergehen. Immerhin atmen mehr als 90 Prozent der Europäer Luft, die schmutziger ist als die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Die daraus resultierenden Gesundheitskosten belaufen sich jährlich auf bis zu 900 Milliarden Euro. Darüber hinaus verursacht Luftverschmutzung Schäden an Vegetation und Ernte sowie an der allgemeinen Bausubstanz. Im Jahr 2010 wurden über 400.000 vorzeitige Todesfälle verzeichnet, und 62 Prozent der Fläche der EU waren eutrophierungsgefährdet, davon 71 Prozent Natura-2000-Ökosysteme. Die externen Gesamtkosten der Auswirkungen liegen zwischen 330 und 940 Milliarden Euro. Die direkten wirtschaftlichen Schäden werden mit 15 Milliarden Euro (Arbeitstagverluste), 4 Milliarden Euro (Gesundheitsfürsorge), 3 Milliarden Euro (Ernteverluste) und 1 Milliarden Euro (Gebäudeschäden) veranschlagt.

Quellen: BUND, EU-Parlament, Deutsche Welle
Bild: Berlin Winter City Night, Martin Ripp, Flickr.com

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