Gender

Prinzessinnenzahnpasta und Piratensuppe

Kinder werden von der Spielzeugindustrie, der Bekleidungs- und Lebensmittelbranche gezielt mit geschlechtstypischen Farben und Inhalten angesprochen. Das sogenannte Gender-Marketing kurbelt den Konsum kräftig an – und zwingt Eltern zu Kaufentscheidungen, die ihnen oft selbst nicht gefallen.  

Von Astrid Herbold

Ginge es nach meinem fünfjährigen Sohn, dann wäre alles, was wir kaufen, mit Logos bedruckt. Die Brotbox käme von Käpt‘n Sharky, die Trinkflasche von Star Wars, die Bettwäsche von Spiderman. Den Joghurt ziert bereits eine Wickie-Figur, die Sandalen haben Dinozähne, die Hausschuhe sind mit einem Cars Motiv bestickt. Im Freundeskreis und in der Kindergartengruppe ist dasselbe zu beobachten: Merchandisingprodukte üben einen gewaltigen Sog auf Kinder aus. Jeder hat sie, jeder will sie haben. Kein Familieneinkauf, der nicht in eine Diskussion mündet. Kinder greifen zielstrebig zu den ‚gebrandeten‘ Artikeln. Und zwar zu denen, die sich ausdrücklich an ihr Geschlecht wenden. Es sind nämlich zwei komplett getrennte Welten, in denen sich unsere Söhne und Töchter bewegen. Schon Dreijährige erkennen, ob ein Produkt sie ansprechen soll. Ein roter Streifen am Schuh: Iieeh, Mädchenkram. Ein blauer Rucksack: Bäh, das ist doch für Jungs! Woher kommt diese frühe Festlegung auf derart starre Geschlechterklischees?

Der Mann, der auf diese Frage eine Antwort hat, sitzt in München und heißt Axel Dammler. Als Geschäftsführer der Agentur iconkids & youth berät er Firmen bei ihren speziell auf Kinder zugeschnittenen Werbekampagnen. Auf seiner Referenzliste finden sich Lego, Ferrero und Nestlé. Dass ein Kind, das noch nicht lesen kann, trotzdem schon von weitem im Supermarkt den Star Wars Schriftzug auf einem Überraschungs-Ei erkennt, wundert Dammler daher nicht: „Kinder reagieren, wie Erwachsene auch, auf Schlüsselsignale. Das sind zum Beispiel bestimmte Farbcodes, aber auch Typografien, Bilder, Symbole."

Kinder erkennen Schriftarten und Farbcodes

Woher aber weiß ein Junge, dass er sich nur von den „männlichen“ Produkten angesprochen fühlen soll? „Das ist ein Wissen, dass Kinder quasi nebenher erwerben – durch die Dinge, mit denen sie zu tun haben.“ Alles, was sie umgibt, fügt sich in den ersten Lebensjahren zu einem großen Bild zusammen: die Farben und Logos auf ihrer Kleidung, das Layout der Lebensmittelverpackungen, die Spielsachen im Kinderzimmer, die Darstellungen, die sie auf Plakaten, in Katalogen, in Zeitschriften oder im Fernsehen sehen. Die Wirtschaft macht sich das zunutze, um die Aufmerksamkeit auf ihre Produkte zu lenken. Der Mechanismus funktioniert, weil kleine Kinder den starken Wunsch haben, sich geschlechtlich und sozial zu verorten. Dammler findet daran nichts Schlimmes. „Das ist biologisch angelegt, dass die Ichfindung mit einer rudimentären Ausdifferenzierung des Geschlechterbildes beginnt.“

Wenn Stevie Schmiedel Sätze wie „biologisch angelegt“ hört, kriegt sie Schnappatmung. Die promovierte Hamburger Genderforscherin hat 2012 den Verein Pinkstinks Germany gegründet, der vehement gegen, wie sie es nennt, „limitierende“ Geschlechterrollen kämpft. „Kinder kommen auf die Welt und merken ganz schnell, dass es in unserer Gesellschaft von großer Bedeutung ist, zu welchem Geschlecht man gehört und wie perfekt man dieses Geschlecht verkörpert.“ Deshalb suchen schon die Kleinsten ständig nach Anhaltspunkten: „Wie kann ich es schaffen dazuzugehören?“ Dass die Wirtschaft Produkte ‚gendert‘, um die Umsätze zu steigern, findet Schmiedel aus kapitalistischer Sicht logisch, aus emanzipatorischer hochbedenklich: „Es gibt jetzt alles zweimal. Chips für Sie und Ihn. Familiensuppe für Rennfahrer oder für Prinzessinnen. Mädchenzahnpasta, Jungszahnpasta.“

Dann lieber doch neu kaufen

Für Familien bedeute das einen immensen Konsumdruck. „Alles muss doppelt gekauft werden. Das ist ein richtiger Eiertanz vor den Regalen.“ Bis in die Kinderzimmer hat sich der Trend ausgeweitet, erklärt Schmiedel. „Monopoly, Bobbycar, Scrabble, Memory, es gibt kein Spielzeug mehr, das es nicht in zwei Ausführungen gibt.“ Zwar stehen viele Eltern dem Gender-Marketing kritisch gegenüber, trotzdem können die Kinder sich oft durchsetzen. „Man will dem eigenen Kind ja auch kein Mobbing zumuten.“ Weitervererbt vom großen Bruder zur kleinen Schwester wird nur noch selten. Lieber kauft man dann doch neu – und passend zum Geschlecht. „Das ist den Marketingleuten bewusst“, sagt Schmiedel, „die arbeiten mit der Parole: Die Kinder brauchen das und fordern das.“ Dabei gehe es für die Kinder oft nur darum, in der eigenen Peergroup nicht ausgegrenzt zu werden.

Pinkstinks kämpft heftig an gegen diesen unterschwelligen Gruppendruck. Schmiedel und ihre Mitstreiter sind Teil einer weltweiten Bewegung. In England ist Pinkstinks seit sechs Jahren aktiv, die Gründerinnen Abi und Emmy Moore agitieren gegen Spielzeughersteller, die für Mädchen nur Make-up-Sets, Kinder-Staubsauger und Glitzergedöns im Angebot haben. In Australien engagiert sich die Initiative TowardTheStars gegen weibliche Stereotypen in den Kinderzimmern. In den USA gibt es eine Prinzessinnen-freie-Zone (Princessfreezone.com); die Heldin der Website heißt Super-Tool-Lula und ist das weibliche Pendant zu Bob der Baumeister.

Der deutsche Verein betreibt vor allem massive Öffentlichkeitsarbeit. Er hat damit schon einige Unternehmen ins Schwitzen gebracht; die Facebook-Shitstorms von Pinkstinks sind mittlerweile gefürchtet. Neulich richtete sich die Wut von Pinkstinks gegen Push-up-BHs – für Siebenjährige. Eine Unterschriftenaktion gegen das rosafarbene Überraschungs-Ei hat Pinkstinks ebenfalls gestartet. Und auch an den Protesten anlässlich der Eröffnung des Barbie Dream House in Berlin war Schmiedel beteiligt. Denn das, was Barbie und ihre dürren, glubschäugigen Artverwandten kleinen Mädchen als Identifikationsangebot machen, sei das Gegenteil von weiblicher Selbstermächtigung: „Sich mit Lillifee und Barbie zu identifizieren ist die Einstiegsdroge dafür, dass man es später am Arbeitsplatz als völlig normal hinnimmt, als Frau 22 Prozent weniger zu verdienen,“ sagt Schmiedel provokant. 

Protest gegen Kinder-BHs und sexistische Werbung

Schmiedel ist nicht nur das Gender-Marketing, sondern auch die grundsätzliche Darstellung von Frauen in der Werbung ein Dorn im Auge. „Es gibt in dieser Gesellschaft ein Frauenbild, das Frauen demütigt und herabwürdigt.“ Und daran seien auch die immer obszöneren Plakatkampagnen schuld. „Vor zwanzig Jahren hätten wir die Dessous-Fotos, mit denen H&M vor Weihnachten 2012 ganz Deutschland zugepflastert hatte, noch als Pornografie bezeichnet. Heute läuft das unter Erotik.“ 

Und auch wenn sich auf den internationalen Laufstegen androgyne Schönheitsideale beobachten lassen, wenn sich schlabberige „Boyfriend-Jeans“ für Frauen derzeit bestens verkaufen und einzelne Designlabels mit ihren schicken Unisex-Kollektionen Schlagzeilen machen – für Schmiedel geht der breite Trend trotzdem eher in die entgegengesetzte Richtung. Denn was als Verkaufsargument für Kinder anfing, wächst langsam aber sicher in die Erwachsenenwelt hinein. „Es gibt bereits die pinke Bohrmaschine für die Frau. Das pinke Werkzeugset. Das pinke Bier, den pinken Sekt. Die pinke Wurst für Frauen, die ist fettärmer und milder.“ Zwar würden viele Kunden Witze darüber machen, aber dem Umsatz tue das bislang keinen Abbruch. Auch Erwachsene kaufen offenbar gerne Dinge, deren Verpackung simple Geschlechterklischees bedient.

Astrid Herbold hat über Gendermetaphorik promoviert und lebt heute als freie Autorin und Journalistin in Berlin. 2006 veröffentlichte die Mutter von drei Kindern „M. o. M. – Mütter ohne Mann“, 2012 neu aufgelegt als „Wir sind Heldinnen“. Sie schreibt regelmäßig für den Tagesspiegel, Zeit Online, Das Magazin u.v.a.

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