Divestment

Eine Robin-Hood-Steuer für den Klimaschutz

Abgaben auf das klimaschädliche Gas Kohlendioxid (CO2) machen Investitionen in die fossile Wirtschaft weniger lohnenswert. Staaten könnten Einnahmen in nachhaltige Wirtschaftsstrukturen und ihre Bevölkerung lenken. CO2-Steuern lösen soziale Probleme und retten das Klima – zu schön, um wahr zu sein?

Von Susanne Götze

Die globalisierungskritische Organisation Attac gründete sich Ende der 1990er Jahre mit einem politischen Ziel: die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Spekulanten sollte so das Handwerk erschwert und den Armen der Welt geholfen werden. Nachdem das Netzwerk nach den antikapitalistischen Ausschreitungen in Seattle (1999) und Genua (2001) in der Titelgeschichte des Spiegels landete und plötzlich jeder in Deutschland und Europa von „Globalisierungsgegnern“ sprach, fühlten sich die Attacies missverstanden: Nicht die Globalisierung wollten sie bekämpfen, sondern die globalisierte Ausbeutung. Und auch wenn die langhaarigen Demonstranten mit Batik-T-Shirts wie alte 68er daherkamen: Es gab wohl in der Geschichte der sozialen Bewegungen kaum eine seichtere Forderung als die, eine simple Steuer einzuführen. Dennoch brauchte es über zehn Jahre und eine ordentliche Finanzkrise, bis die Idee in den Chefetagen der Politik ernsthaft diskutiert wurde. Heute redet Angela Merkel darüber, als wäre die Abgabe eine Idee aus dem ideologischen Inventar der Christdemokraten.

Der traurige Schluss der Geschichte: Während sich konservative Regierungen mit der Steuer schmücken, spricht niemand mehr von Attac. Die Revolution bleibt erstmal aus. Ob die langersehnte Steuer am Ende wirklich „eine andere Welt“ möglich machen, den Kapitalismus merklich schwächen, oder die Armen dieser Welt von ihrem Elend erlösen wird, ist unter diesen Vorzeichen zumindest fraglich.

Diese Lektion der Globalisierungsgegner haben die Klimaschützer dieser Welt noch vor sich. Immer mehr Wissenschaftler, Umweltschützer und Ökonomen fordern seit einiger Zeit vehement eine Steuer auf das klimaschädliche CO2, das unsere Atmosphäre verstopft und die Temperaturen weltweit steigen lässt. "Wir brauchen einen Preis für CO2 – und zwar in Form einer Steuer", forderte Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK, vor 2.000 Wissenschaftlern im Plenarsaal des Unesco-Sitzes in Paris – und in der factory. Das war im Juli 2015, gut sechs Monate vor der Weltklimakonferenz. Eloquent und direkt erklärt der Klima-Ökonom: „Wenn ich mit Politikern über eine CO2-Steuer spreche, dann verstehen sie das. Doch sie sagen auch, dass dies politischer Selbstmord wäre, und machen es dann natürlich nicht.“ So ähnlich dürften die Reaktionen der Politiker in den 1990er Jahren gewesen sein, als es um die Finanztransaktionssteuer ging. Das Prinzip beider Steuerkonzepte ist gleich: die Verursacher (von Spekulation oder CO2) bestrafen und die Bürger belohnen. Nicht umsonst trägt die einstige Attac-Steuer auch den Namen Robin-Hood-Tax.

Kohlendioxid kostet

Bisher scheiterten jedoch alle grenzüberschreitenden Versuche einer Carbon-Tax mit Pauken und Trompeten, ganz in der Tradition der Robin-Hood-Tax. Doch der Ruf nach einem Preis auf CO2 setzt sich langsam aber sicher durch. Während auf dem Pariser Weltklimagipfel über die Klimaziele, also die Reduktionsmengen von CO2 in einem bestimmten Zeitraum, gefeilscht wurde, glauben Ökonomen wie Edenhofer, das nur mit  einem weltweiten Preis auf CO2, die Wende in der Klimapolitik noch zu schaffen ist. Nur wenn fossile Brennstoffe verteuert und somit unattraktiv werden, fangen Investoren an umzudenken. Denn immerhin geht es um ihren Geldbeutel. Sie suchen dann nach Alternativen – zumindest in der Theorie. 

Und die Realität bestätigt die Kassan­drarufe von Edenhofer: Statt zu "dekarbonisieren", wird jedes Jahr mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen. So müssten für eine Verlangsamung der weltweiten Erwärmung fast 90 Prozent der noch verbleibenden Kohle und über 60 Prozent aller Öl- und Gasreserven im Boden bleiben. 

„Es geht darum, all diese Investitionen in eine CO2-arme Produktionsweise zu verlagern“, erklärten selbst Wirtschaftsvertreter wie Sandrine Dixson-Declève, Direktorin der Prince of Wales's Corporate Leaders Group auf dem Weltklimagipfel in Paris. „CO2-intensive Anlagen sind einfach keine Option mehr. Vorstände, Aktienhändler und Fondsmanager müssen nun umdenken.“ 

Gegen einen Preis auf CO2 hat auch grundsätzlich niemand etwas. In einzelnen Ländern wie Frankreich, Schweden oder in der Schweiz gibt es schon heute CO2-Abgaben oder Steuern. Über 40 Staaten haben bereits die eine oder andere Form der Kohlenstoff-Bepreisung. Dennoch schwelt der Streit zwischen Ökonomen, Politikern und Umweltschützern, ob eine Steuer oder eher eine andere marktbasierte Lösung die bessere Alternative sei. Der von Edenhofer favorisierten Steuer steht nämlich der Emissionshandel gegenüber, so wie er unter anderem in Europa praktiziert wird. 

Zehn Jahre nach Einführung von Cap and Trade sind die Debatten in der EU über die Wirksamkeit und deren Kosten immer noch hochkontrovers. Grundidee des Emissionshandels in den 2000er Jahren war es, möglichst viel Klimaschutz zu möglichst wenig Kosten zu erhalten. Statt dem Top-Down-Modell einer Steuer sollten die im Emissionshandel erfassten Energieversorger und Industrieunternehmen durch die Deckelung ihrer Emissionen motiviert werden, weniger Treibhausgase auszustoßen und in entsprechende CO2-freundliche Technologien zu investieren.

Allerdings hat das Image dieses wichtigsten Klimaschutz-Instrumentes in seinen ersten zehn Jahren schwer gelitten. Der Preis für die CO2-Zertifikate liegt mit mittlerweile kaum 5 Euro weit unter den anfangs verlangten rund 30 Euro pro Tonne. Diesen Preis hatte man nicht zufällig angestrebt: Erst wenn der Ausstoß einer Tonne CO2 stabil um die 20 bis 30 Euro kostet, so die Wissenschaft, beginnt der Emissionshandel wirksam zu werden und Unternehmen investieren in ihre eigene Energiewende – so wie das Kyoto-Protokoll es vorsieht. 

„Freiwillige Abkommen und der Emissionshandel sind der falsche Weg in die grüne Ökonomie“, erklärt der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz, ein weiterer prominenter Verfechter der CO2-Steuer. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank plädiert dafür, eine grenzüberschreitende Besteuerung von CO2 von der Welthandelsorganisation WTO regulieren zu lassen. 

Auch wenn bisher alle Versuche gescheitert sind, die CO2-Steuer doch noch zum Gegenstand internationaler Verhandlungen zu machen, ihre Verfechter geben nicht auf. Seit einigen Monaten liegt es im Trend, die Steuer als Umverteilungsmechanismus anzupreisen. Eine Art neue Robin-Hood-Steuer also.

Gut fürs Klima und gut für Arme?

Denn einige Forscher sind sich sicher, dass die CO2-Steuer auch sozialpolitische Effekte haben kann  – sofern sie richtig konzipiert ist. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) veröffentlichte wenige Tage vor dem Weltklimagipfel in Paris eine Untersuchung, wonach eine CO2-Steuer äußerst positive Auswirkungen auf das Gemeinwohl hätte. Hierbei geht es schlicht um eine Stütze für den Staatshaushalt: „Von den Finanzministern werden – bei knappen Kassen – immer lautstark öffentliche Investitionen in Bildung, Sicherheit oder das Transportwesen gefordert;  ein CO2-Preis könnte hier ein geeignetes Mittel sein, um die hierfür nötigen Einkünfte zu erzielen“, so der Leitautor Max Franks vom PIK. Alle Analysen hätten gezeigt, dass eine CO2-Steuer volkswirtschaftlich durchaus positiv wirke. 

Das bestätigen auch Studien des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Eine im Januar veröffentlichte Analyse des MCC untersuchte, welche sozialen Auswirkungen eine CO2-Abgabe hat, gäbe man ein Teil der Einnahmen an die Bürger zurück. Das Ergebnis: eine jährliche Gutschrift an alle Bürger, beispielsweise wie ein „Scheck an Weihnachten“, würde vor allem sozial schwachen Haushalten zu Gute kommen. Hingegen würde eine Absenkung der Einkommenssteuer mithilfe der CO2-Einnahmen eher der Mittelschicht und Vermögenden nützen – die Kluft zwischen Arm und Reich also vergrößern. 

Denn in absoluten Zahlen verursachen Menschen mit höherem Einkommen auch mehr CO2. Jedoch relativ zu ihrem Einkommen geben Geringverdiener mehr Geld für CO2-intensive Produkte aus. Eine CO2-Steuer würde sie über steigende Preise also besonders hart treffen, deshalb sei eine gut bemessene Pauschale der beste Weg, die steigenden Ausgaben zu kompensieren und – so die These der Studienautoren – den armen Haushalten dabei noch zu einem kleinen Plus zu verhelfen. 

„Das Argument, Umweltsteuern würden arme Haushalte überproportional belasten, ist aus unserer Sicht eines der größten Hindernisse zur Durchsetzung von mehr Klimaschutz“, erklärten die MCC-Forscher David Klenert und Linus Mattauch. Das gelte weniger für Deutschland, wo es mit dem Emissionshandel schon ein Klimaschutz-Instrument gebe. In der Mehrheit der Staaten auf der Welt habe CO2 jedoch noch überhaupt keinen Preis. „Für diese Länder ergibt sich aus unserer Studie, dass das Argument, die CO2-Bepreisung belaste vor allem die ärmeren Haushalte, entkräftet werden kann“, so die Studienautoren.
 

Schweiz: 57 Euro für Weihnachtsgeschenke

Ein Praxisbeweis für diese These steht allerdings noch aus. Auch wenn das Modell der Schweiz beispielsweise auf den ersten Blick sehr verlockend klingt: Das Land ist wie in vielen Sachen auch hier ein Vorreiter. Seit 2008 gibt es dort eine sogenannte Lenkungsabgabe. Die Abgabe auf Brennstoffe wurde im Januar 2016 auf 84 Schweizer Franken pro Tonne CO2 erhöht, das sind derzeit rund 77 Euro. Beim Heizöl, bei dessen Verbrennung pro Liter 2,65 Kilogramm CO2 entstehen, zahlen die Schweizer rund 22 Rappen (20 Cent). Auch andere Energieträger wie Erdgas und Kohle werden belastet. Nicht mit dabei sind hingegen Benzin und Diesel. Neben der CO2-Abgabe gibt es noch eine Abgabe auf flüchtige organische Verbindungen (volatile organic compounds, VOC). 

Das Besondere an dem Modell: Bis zu zwei Drittel der Einnahmen werden an die Bevölkerung zurückerstattet. Für das vergangene Jahr konnten sich die Schweizer Bürger über eine Rückerstattung pro Person in Höhe von 62,40 Franken, also rund 57 Euro freuen; Unternehmen bekommen ebenfalls einen Bonus. In einem Merkblatt „Warum Sie 62.40 Franken erhalten“ wird den Bürgern erklärt, warum sie eigentlich beschenkt werden. 

Aber auch wenn sich sicher viele Haushalte über 62 Franken freuen – ein Beweis dafür, dass die Einmalzahlung einer überschaubaren Summe bestehende Ungleichheiten in der Schweizer Gesellschaft auch nur im Ansatz eingeebnet hätte, ist das noch lange nicht. Von einer Umverteilung à la Robin Hood kann in diesem Fall wohl kaum die Rede sein – vor allem, weil auch sozial Schwache mehr für ihre Heizung im Winter zahlen müssen. 

Eine direkte Auszahlung gibt es ohnehin nur in den wenigsten Staaten. In den kanadischen Bundesstaaten wie beispielsweise British Columbia werden die CO2-Steuereinnahmen verwendet, um die Einkommensteuer zu senken. Auch in Schweden, wo die CO2-Steuer schon seit den 1990er Jahren besteht, fließen die Gelder ohne Zweckbindung nur ganz allgemein in den Staatshaushalt. Die Gelder aus den Versteigerungen von Emissionszertifikaten werden in Deutschland hingegen in Klima- und Umweltprojekte gesteckt, und auch in Frankreich geht das Geld in den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die Idee, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und Klimawandel und Armut zu stoppen, ist also in der Umsetzung schwieriger als gedacht. Wie die Robin-Hood-Tax könnte auch die CO2-Steuer zu einem Alibi für konservative Politik werden, die noch nie vorhatte, eine „andere Welt“ zu ermöglichen. 

Sowohl bei der Finanztransaktions- als auch bei der CO2-Steuer kommt es letztlich auf die konkrete Ausgestaltung an. Ebenso wie beim Emissionshandel stellt sich eine nachweisbare Wirkung erst ab einer bestimmten Höhe des Preissignals ein. Ist dieses nicht stark genug, machen weder eine Steuer, noch ein Cap-und Trade-System Sinn.

Sicher sollte man von einer Steuer generell keine Revolutionen erwarten. Aber: Ist die Steuer richtig justiert, kann sie längerfristig eine beachtliche Lenkungswirkung erzielen. Besonders in Entwicklungsländern, wo die Einführung eines komplexen Emissionshandels schlicht unrealistisch ist, kann die Steuer ein probates Mittel sein, schnell und effizient CO2 zu reduzieren und Rohstoffe zu sparen. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob das von der Politik wirklich gewollt ist.

Dr. Susanne Götze arbeitet als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie schreibt seit 2002 in verschiedenen Tageszeitungen und Magazinen über Umwelt- und Klimathemen, etwa für Spiegel Online, Paris-Berlin, Der Freitag, Frankfurter Rundschau, die tageszeitung, Zeit Online oder Dow Jones News. Sie hat Politik und Geschichte in Potsdam studiert, vier Jahre in Paris und Brüssel gearbeitet und 2014 ihre deutsch-französische Promotion in Neuerer Geschichte abgeschlossen.

Mehr Beiträge zum Themenspektrum Divestment, zum Ausstieg aus der Finanzierung fossiler Energiewirtschaft und zum Investment in Erneuerbare Energien, Nachhaltiges Wirtschaften und Bildung gibt es nicht nur online, sondern auch im factory-Magazin Divestment, das kostenlos zum Download zur Verfügung steht. Das ist aufwändig illustriert und gut lesbar auf Tablet-Computern und Bildschirmen, zudem enthält es sämtliche Beiträge und Fotos sowie zusätzliche Zahlen und Zitate.

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